Bildungsökonomie Vergesst die OECD!

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Auf die Forschung kommt es an

Bildung sei die entscheidende oder gar einzige Ressource in technisch fortgeschrittenen Volkswirtschaften. Dieses Mantra von Ökonomen, Politikern und Journalisten ist natürlich nicht falsch, aber auch nicht die ganze Wahrheit. Denn nicht nur Bildung, sondern Bildung und Forschung zusammen sind der Schlüssel zum ökonomischen Erfolg einer Gesellschaft. In Griechenland und den anderen Südländern der EU zum Beispiel mangelt es nicht so sehr an Studenten, sondern an Forschungseinrichtungen, also dem Humus, aus dem technische Innovationen und damit wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit erwachsen. In den arabischen Staaten wird das noch sehr viel deutlicher. Sie züchten an ihren Universitäten alljährlich ein Heer von Akademikern heran, doch in den Autorenlisten der angesehensten Fachzeitschriften - dem wichtigsten Indiz für exzellente Forschung - kommt die gesamte islamische Welt kaum vor. Forschungsleistungen, nicht Akademikerquoten sind ein untrüglicher Indikator für wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit.

Die beliebtesten Abschlüsse

Die Forschungsstärke wiederum hängt unmittelbar mit der Qualität der Bildung in Schulen und Universitäten zusammen. Nur wenn Bildungs- und Forschungssysteme eng miteinander verwoben sind, gedeiht die Wissenschaft und am Ende meist auch die Wirtschaft. Diese weitsichtige Erkenntnis von Wilhelm von Humboldt gerät in der aktuellen Bildungspolitik immer mehr in Vergessenheit. Nur aus Abiturienten, die wirklich zu einem wissenschaftlichen Studium befähigt sind, kann das Wissenschaftssystem die geeigneten jungen Forscher rekrutieren, die sein Rückgrat bilden. An Universitäten, die die Hälfte eines Geburtsjahrganges durch ihre Hörsäle schleusen, und dabei möglichst wenige Abbrecher zurücklassen sollen, wird diese Aufgabe schnell vernachlässigt.

Nicht die Zahl der Menschen mit irgendwelchen Abschlüssen ist das entscheidende Kriterium für die Güte eines Bildungssystems, sondern die tatsächlichen Kenntnisse und Fähigkeiten, die junge Menschen in diesem System erlernen. Dass die Gesamtheit dieser Kenntnisse mit dem statistischen Handwerkszeug des Ökonomen nicht eindeutig messbar und kaum vergleichbar sind, liegt eigentlich auf der Hand. Man müsste sich in den Ministerien nur trauen, die OECD und andere Bildungserbsenzähler daran zu erinnern.

Wie erfolgreich ein Bildungssystem tatsächlich ist, können allenfalls im Nachhinein die Historiker beurteilen. Dafür dass das humboldtsche System in Preußen und Deutschland wohl nicht ganz so schlecht war, spricht der große Erfolg der deutschen Wirtschaft vor 1914 und nach 1945. Davon profitierten übrigens nicht nur, wie Bildungsreformer uns weismachen wollen, die etwa zehn Prozent Abiturienten und Studenten, sondern auch Real- und Volksschüler, denen oft berufliche Chancen offenstanden, für die ihre Enkel heute ein abgeschlossenes Studium benötigen.

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