Bildungsökonomie Vergesst die OECD!

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Hilfe für orientierungslose Bildungspolitiker

Es liegt auch auf der Hand, dass das deutsche Bildungssystem vor dem PISA-Schock und dem Bologna-Reformwahn nicht so katastrophal schlecht gewesen sein kann. Schließlich manövrieren diejenigen, die es durchlaufen haben, derzeit recht erfolgreich deutsche Unternehmen durch die internationale Krise und erwirtschaften die Rettungsmilliarden für manch eine Volkswirtschaft, deren höheren Akademikerquoten wir nach Ansicht der OECD hinterherhinken.

Doch das Offensichtliche genügt orientierungslos gewordenen Bildungspolitikern immer weniger als Handlungsgrundlage. Sie verlangen zunehmend nach scheinbar handfesten Kriterien, also zählbaren Belegen für die Richtigkeit politischer Entscheidungen. So ist der OECD-Bericht als "Orientierungshilfe" auch beim BMBF willkommen. Die exakten Zahlenwerke, die die OECD und ähnliche Organisationen liefern, ändern aber nichts daran, dass man tatsächlichen Bildungserfolg nicht wirklich messen kann.

Eine gute, verantwortungsvolle Bildungs- und Wissenschaftspolitik würde sich dadurch auszeichnen, dass sie den Zahlenwüsten der OECD und den unablässigen Reformimpulsen der „empirischen Bildungsforschung“ sehr viel weniger Aufmerksamkeit widmete, und der unmessbaren Qualität der Bildungsgänge dafür umso mehr.

Dass das passiert, ist nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre leider höchst unwahrscheinlich. Der "Qualitätspakt Lehre", den Johanna Wankas Bildungsministerium heute auf einer eigens eingerichteten Programmkonferenz feiert, ist mit seinen 3.000 neu geschaffenen Stellen grundsätzlich zu begrüßen. Doch die Quantität der Dozenten allein ist eben gerade kein Garant für Qualität, wenn gleichzeitig die Prüfungsanforderungen für Abiturienten still und heimlich herabgesetzt werden. Aus Studenten, die nicht studierfähig von den Schulen kommen, machen auch neue Studienmodelle und Lehrformen keine Geistesgrößen.

Wenn von Qualität die Rede ist, führen meist "empirische Bildungsforscher" des "Instituts für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen" das Wort, die am Qualitätsverfall und der Inflationierung des Abiturs selbst großen Anteil haben. Deren Fetisch, nämlich die in den meisten Lehrplänen fixierte so genannte Kompetenz-Orientierung, ist die Grundlage dafür, dass die Anforderungen an Schüler stetig nach unten und damit die Zahl der Abiturienten nach oben reguliert wurden. "Kompetenz" bedeutet im Zweifelsfall die Fähigkeit des Schülers, in der Aufgabenstellung die verschlüsselt enthaltene Antwort zu finden. Im Geschichtsabitur in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel gibt es schon Punkte für das Abschreiben einer Jahreszahl.

Der Lackmustest für die Qualität des Abiturs wird die Umsetzung der Beschlüsse der Kultusministerkonferenz zur Einführung einer bundesweit gültigen Aufgabensammlung für die Prüfungen sein. Diese Standardisierung wäre eigentlich grundsätzlich zu begrüßen. Aber die Erfahrung lehrt, dass sich die KMK bei der Reform des Abiturs meist auf Kompromisse einigte, die allgemeine Qualitätseinbußen bedeuteten. Es ist also zu befürchten, dass das Abitur zwar einheitlicher, aber unterm Strich noch leichter werden wird.

In Hamburg und Bremen werden vermutlich nicht weniger Schüler Abi machen, sondern in Bayern und Sachsen-Anhalt mehr. Das vernünftige Ziel des Deutschen Philologenverbands - eine Angleichung der Standards nach oben - ließe sich nur erreichen, wenn sich die KMK zumindest auf stichprobenartige Überprüfungen der Einhaltung der Standards in allen Ländern einigen könnte. Das ist wünschenswert, aber unwahrscheinlich, weil es bedeutete, dass manche Länder eine niedrigere Abiturquote akzeptieren müssten. Für die OECD-gläubigen Kultusminister der Gegenwart eine undenkbare Zumutung.

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