
Die Autobesitzer in Nordrhein-Westfalen sollten sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten möglicherweise auf längere Wartezeiten in den KFZ-Werkstätten einstellen und auf schlechteren Service dort. Denn in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland gibt es derzeit einen einzigen Referendar fürs Lehramt an Berufskollegs im Fach KFZ-Technik.
Wer soll aber den künftigen KFZ-Mechanikern in Nordrhein-Westfalen die notwendigen theoretischen und technischen Kenntnisse vermitteln, wenn es keine auf KFZ-Technik spezialisierten Berufsschullehrer mehr gibt? Keine technischen Fachlehrer bedeuten: Bald keine technischen Fachkräfte mehr.
In anderen Fächern an Berufskollegs ist die Lage nicht viel weniger dramatisch, wie Zahlen vom Verband der Lehrerinnen und Lehrer an Berufskollegs in Nordrhein-Westfalen (VLBS) zeigen: 979 Lehrer der Maschinentechnik in Nordrhein-Westfalen werden bis 2020 pensioniert, also rund 100 pro Jahr. Aber es gibt im größten Bundesland – Stand 2012 – insgesamt nur 115 Studenten für dieses Lehramt. Selbst wenn alle ihr fünf Jahre dauerndes Studium beenden, stehen nicht mehr als höchstens 23 künftige Referendare pro Jahr bereit, die also allenfalls ein Viertel der frei werdenden Stellen besetzen können – wenn sie nicht vorher abspringen. Insgesamt befürchtet der VLBS-Vorsitzende Wilhelm Schröder eine Deckungslücke von mindestens 2110 Fachlehrern bis 2020 in sieben besonders gefährdeten gewerblich-technischen Fachrichtungen.
Die duale Berufsbildung, also die Kombination von berufsbildenden Schulen – in NRW heißen sie Berufskollegs – mit betrieblicher Ausbildung wird mittlerweile auf der ganzen Welt als ein entscheidendes Erfolgsgeheimnis des Exportweltmeisters Deutschland erkannt. Wenn deutsche Bildungs- oder Arbeitsministerinnen ins Ausland reisen, haben sie meist Experten vom Bundesinstitut für Berufsbildung in der Delegation, die von den Anden bis Ostasien den Sinn der dualen Ausbildung propagieren: Praxis und Theorie kombinieren und dadurch Menschen ausbilden, die nicht nur für einen einzigen Arbeitgeber attraktiv sind. Spanien, Italien, die Türkei, Russland, China, Vietnam, Kolumbien, Indien und China sind dabei, ähnliche Systeme einzuführen, um ihre jungen Arbeitssuchenden für den sich wandelnden Arbeitsmarkt fit zu machen.
Doch in Deutschland selbst ist das duale Berufsbildungssystem mittlerweile in seinem Fortbestand gefährdet. Während allenthalben in Berlin und den Landeshauptstädten über die Stärkung der MINT-Fächer an den allgemeinbildenden Schulen debattiert wird, blutet die Schulform aus, die in erster Linie für den traditionell hohen technisch-naturwissenschaftlichen Sachverstand der Arbeitskräfte in Deutschland verantwortlich ist: die berufsbildenden Schulen.
Nicht nur werden den Berufsschulen und Ausbildungsbetrieben allmählich auf Grund der galoppierenden Studentenzahlen in manchen Fächern und Regionen die Schüler knapp. Ebenso verheerend ist der immer dramatischere Mangel an Nachwuchslehrern. Eine Prognose der Kultusministerkonferenz kam schon 2011 zum Ergebnis, dass der Einstellungsbedarf für Lehrer mit beruflichen Fächern bis 2020 bundesweit nur zu etwa 79 Prozent gedeckt werden kann. Demnach werden jährlich bundesweit ca. 700 Lehrer fehlen.
„Wenn in Kürze nichts passiert, kollabiert das duale System“, sagt Wilhelm Schröder, Vorsitzender des VLBS. „Die Lage ist in allen Bundesländern schwierig, aber in Nordrhein-Westfalen ist sie dramatisch.“