Bei den Bildungsreformen der vergangenen Jahre haben die Interessen der Professoren anscheinend keine große Rolle gespielt. Warum hat die deutsche Wissenschaft keine Lobby?
Die Pläne zum Umbau des deutschen Bildungssystems, die jetzt Realität geworden sind, gab es schon seit den 1960er Jahren. Sie kamen vor allem aus der Wirtschaft. Aber damals gab es eine unabgesprochene Koalition dagegen aus linken Studenten, die keine Ökonomisierung und Verflachung des Studiums wollten, konservativen Professoren, die sich nicht von irgendwelchen Agenturen reinreden lassen wollten, und den berufsständischen Verbänden, Lehrern und Ministerialbürokraten. Die haben gemeinsam diese Vorschläge blockiert. Erst über den Umweg Europa, teilweise auch von der OECD gesteuert, wurde dieses Bündnis aufgebrochen. Der Hochschulverband, dem ich selbst angehöre, hat sich mit über 80 Prozent-Mehrheiten gegen die Verschulung des Studiums, ausgesprochen. Aber das interessierte niemanden mehr. Früher wäre das ein großes Politikum gewesen. Jetzt orientieren sich die Ministerialbürokratien am internationalen Vergleich der Studentenzahlen. Die Professoren versuchen, sich irgendwie in dem neuen System zurechtzufinden. Die Älteren schreiben noch ein paar böse Artikel und verabschieden sich in den Ruhestand. Aber eine Lobby für die Wissenschaft kommt nicht wirklich zustande.
Und wie sieht es in der Wirtschaft aus? Interessiert man sich da für den Rat von Philosophen und Geisteswissenschaftlern?
Ich merke bei persönlichen Kontakten, dass es eine tiefe Verunsicherung gibt bei den Topmanagern, vor allem bei Bankern. Die suchen nach Orientierung in Grundsatzfragen. Da können Philosophie und Geisteswissenschaften etwas beitragen, wenn sie konkret und klar Stellung beziehen, gerade in Bildungsfragen. Ich bin von der DVFA, der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management gebeten worden ein Panel zusammenzustellen und zu leiten, das sich mit der ethischen Dimension der Finanzpraxis auseinandersetzt und Empfehlungen formuliert. Es ist etwas in Gang gekommen – das stimmt hoffnungsvoll.
Und was ist Ihre Leitidee dabei?
Wenn man in die Bildungsgeschichte zurückblickt, geht es immer um die Idee erfüllten Menschseins, die die Bildungsanstrengungen bestimmt hat. Jetzt geht eine Phase zu Ende, in der Persönlichkeitsbildung keine Rolle spielte, sondern das unmittelbar Verwertbare. Diejenigen, die in den Unternehmen mit Personalentscheidungen zu tun haben, entdecken jetzt die alten Elemente einer Persönlichkeitsbildung wieder neu. Stressresistenz, Verlässlichkeit, Urteilskraft, Kooperationsfähigkeit. Ich spreche auch von der Wiederentdeckung praktischer Tugenden. Darin besteht eine Chance.