Erinnern Sie sich noch an das BIZ? Das Berufsinformationszentrum. Dahin haben wir in der 11. Klasse einen Ausflug gemacht, etwas über verschiedene Berufe erfahren und einen Test gemacht, der uns zeigen sollte, was für uns ein passender Beruf sein könnte. Erinnern Sie sich an Ihr Ergebnis? Ich nicht.
Meine Tochter war auch im BIZ, allerdings schon in der 9. Klasse. Der Papiertest ist heute ein Online-Fragebogen und auch sie hat am Ende Jobs vorgeschlagen bekommen. Aber auch sie erinnert sich nicht an ihr Ergebnis. An ihr Schulpraktikum wiederum erinnert sie sich gut. Drei Wochen lang hat es gedauert und am Ende haben alle Schüler und Schülerinnen einen Vortrag darüber gehalten. Sie hat so auch etwas über die Praktika der anderen erfahren.
Das Schülerpraktikum ist ein sehr guter Schritt, denn er gibt Jugendlichen die Möglichkeit, praxisnah in einen Beruf reinzuschnuppern. Aber in der 9. Klasse ist es meiner Meinung zu weit weg vom Berufsleben. Und vor allem war es das auch mit praktischer Berufsorientierung. Wenn ich mir das Curriculum meiner Tochter ansehe, unterscheidet sich das nicht wirklich von dem, was ich in meiner Schulzeit gelernt habe. Zwölf Jahre Theorie, sehr wenig Praxis. Da muss sich doch etwas ändern. Und das sehe nicht nur ich so.
Zu viele Möglichkeiten, zu wenig Orientierungshilfe
Ich habe zu dieser Thematik verschiedenste Umfragen gelesen und möchte zwei Ergebnisse aufgreifen, die mir nachhaltig im Kopf geblieben sind. Schon 2014 ergab eine Umfrage der Vodafone-Stiftung, dass sich fast die Hälfte aller Schülerinnen und Schüler in Deutschland über berufliche Möglichkeiten nicht ausreichend informiert fühlt.
Das ist mittlerweile sieben Jahre her. Zeit genug, um sich seitens der Schulen damit zu befassen, mehr praxisnahe Orientierung fürs Berufsleben, in dem wir den Großteil unseres Lebens verbringen, in den Stundenplan einzubinden, oder?
Die OECD hat sich 2020 mit der Frage nach der Berufswahl befasst und ist in Deutschland zu folgendem Ergebnis gekommen: Knapp 50 Prozent der 15-Jährigen träumt von Berufen, die es aufgrund der Digitalisierung bald nicht mehr geben könnte. 40 Prozent der deutschen Teenager fokussieren sich auf die Berufe, die seit Jahren (oder sogar Jahrzehnten) zu den beliebtesten gehören. Bei Mädchen sind dies Lehrerin, Ärztin oder Erzieherin. Bei Jungen ist es der Mechaniker, Polizist oder der IT-Fachmann. Bei Letzterem bin ich hellhörig geworden. IT ist mittlerweile ein so breites Feld und ich wage zu bezweifeln, dass Schüler die Bandbreite an Jobmöglichkeiten begreifen können. Ich werfe mal ein paar Begriffe in den Raum: Customer-Experience-Designer, Mobile Developer, (Big) Data Scientist, DevOps Engineer, Fullstack Engineer u.v.m. Fragen Sie mal Ihre Kinder, ob sie damit etwas anfangen können.
Wie sollen Schüler und Schülerinnen den Überblick gewinnen und eine Entscheidung treffen? Drei Wochen Praktikum und ein Tag im BIZ reichen meiner Meinung nach nicht aus. Was Jugendliche brauchen, ist Aufklärung und Orientierung. Ich möchte daher zwei Möglichkeiten aufzeigen, wie unsere Kinder einen praxisnahen Einblick in die Berufswelt bekommen können.
Außerschulische Berufsorientierung als Kick-Start für die Karriere
Mithilfe digitaler Tools ist es heute einfacher denn je, Schülerinnen die Welt zu erklären und zugängig zu machen. Eine außerschulische Lösung bietet Startup Teens, die als reichweitenstärkste digitale Bildungsplattform für Unternehmertum und Coding mit verschiedenen Maßnahmen die Lücke zwischen Schule und Arbeitsleben schließt. Ein 900-Personen starkes Mentoren-Netzwerk aus Unternehmern und Führungskräften aus unterschiedlichen Branchen und Berufen steht jungen Menschen mit Rat rund um Berufsfragen zur Seite.
Des Weiteren bieten Nicolai Schork und Alexander Giesecke, die Gründer von Simple Club, altersgerechte Lernvideos rund um Coding und Entrepreneurship. Für die beiden Unternehmer ist eines klar: Bildung von morgen wird – ob wir das nun wollen oder nicht – eine andere sein. Die beiden Gründer zeigen bereits heute, wie Lernen der Zukunft funktioniert, denn sie unterstützen Startup Teens ehrenamtlich als Gesellschafter und ganz praktisch mit ihren Lernvideos. Ihrer Vorstellung nach wird Schule ein Ort der Zusammenkunft, der Kollaboration sein, der Kindern bei der Sozialisierung hilft und Ihnen gemeinsame Projektarbeit beibringt. Lehrer stehen ihnen dabei als Mentoren und Coaches zur Seite. Finde ich ein super Konzept.
Kontinuierliches Jobprofiling – per Videocall ins Klassenzimmer
Eine weitere Möglichkeit, Schüler bei der Berufswahl zu unterstützen, wäre Jobprofiling, sprich, ihnen regelmäßig verschiedenste Jobs vorzustellen. Am besten von Menschen, die den Job ausüben. Schulen könnten mit Unternehmen zusammenarbeiten und regelmäßig Menschen aus verschiedenen Berufen und Branchen zu Gast ins Klassenzimmer einladen. Das können Menschen aus der Region sein, die physisch ins Klassenzimmer kommen und den Schülerinnen von ihrem Job erzählen, welche Skills dafür benötigt werden und wie sie beispielsweise Data Scientist werden können. Mithilfe digitaler Tools können sie zudem auch Menschen aus anderen Ländern einladen, per Videocall direkt ins Klassenzimmer. Wäre es nicht auch mal cool, einen Unternehmer aus dem Silicon Valley als Gast einzuladen? Schüler können Fragen stellen und so wirklich ein Gefühl dafür bekommen, was alles möglich ist.
Bevor wir das in der Praxis umsetzen können, brauchen wir vor allem eins: Ein neues Mindset. Nur weil wir Dinge so machen, wie wir sie immer gemacht haben, heißt dies nicht, dass sie auch wirklich gut sind.
Mehr zum Thema: Unser Schulsystem wird in diesem Jahr auf eine harte Probe gestellt. Ein Stresstest, wie wir ihn uns besser nicht hätten ausdenken können. Er zeigt: Unser Schul- und Bildungssystem ist nicht zukunftsorientiert.