Was beim Kampf um gute Noten verloren geht, ist der Anspruch an den eigenen Lernerfolg. „Die Note scheint den Studenten wesentlich wichtiger zu sein, als die zu vermittelnden Inhalte“, sagt Metzger, Professor für Mikroökonomie in Dortmund. 1000 Personen haben in seiner Veranstaltung eine Aufgabe bearbeitet, die Bonuspunkte für die Klausur brachte. Die Folien zur Vorlesung haben dagegen weniger als 300 Personen heruntergeladen.
Schon in der Schule werden viele künftige Studenten auf Erfolg getrimmt. „Bereits auf dem Gymnasium haben Mitschüler auf den Lehrer eingeredet, doch die 15 statt der 14 Punkte zu geben, damit das angestrebte Medizin- oder Psychologiestudium nicht in Gefahr gerät“, sagt der BWL-Student aus Münster. „Von klein auf wurde uns eingetrichtert, wie wichtig Noten sind.“ Sie bestimmen, welches Fach junge Leute an welcher Hochschule studieren können und an welcher Stelle sie auf der Liste stehen, wenn es darum geht, eine Uni für das Auslandssemester zu wählen. Auch in Hinblick auf den künftigen Beruf fühlen Studenten sich oft unter Druck. „Wer zu den angeblichen Top-Adressen wie McKinsey und Co möchte, muss schon einen Top-Notendurchschnitt vorweisen können“, sagt der Student.
In diesem Strudel aus Ansprüchen kommen manche Studenten an ihre Grenzen. Wissen sie nicht mehr weiter, hilft Nina Müller. Sie ist psychologische Beraterin beim Studentenwerk Frankfurt am Main. „Viele Studenten sind von hohem Druck geplagt“, sagt sie. „Der kommt von ihnen selbst, aber auch aus der Gesellschaft heraus.“ Die To-Do-Liste, die viele Studenten im Kopf haben, ist lang: schnell den Bachelor machen, schnell den Master hinterher, am besten noch vier Auslandspraktika dazu. Das alles, um überhaupt eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu haben. Wer da die Möglichkeit hat, in einer Klausureinsicht noch ein paar Punkte herauszuholen, nutzt die. „Ein Kommilitone von mir diskutiert bei jeder Einsichtnahme und das mit Erfolg“, erzählt der Student aus Münster. „Ich vermute, dass er so lange diskutiert, bis die Aufsicht keine Lust mehr hat und nachgibt.“
Ist es wirklich so einfach, eine bessere Note durch Beharrlichkeit zu erschleichen? In vielen Fächern gibt es bei den Antworten nicht nur richtig oder falsch. Die Bewertung des Geschriebenen liegt bei dem Professor. „Jeder Prüfer würde sich in die Tasche lügen, wenn er behauptet, dass er exakt dieselbe Punktzahl geben würde, wenn er dieselbe Klausur ein Jahr später noch einmal korrigieren würde“, sagt Jochen Struwe, Vizepräsident des Hochschullehrerbundes. Über einen oder zwei Punkte könne man schon mal nachdenken, wenn das Geschriebene das zulässt. Jedem eine bessere Note zu geben, der danach fragt, sei aber keine Option. „Ein Prüfer muss die nötige Persönlichkeit an den Tag legen, um mit der Drucksituation umgehen zu können“, sagt Struwe.
Besonders heikel wird die Situation, wenn es von der einen Note abhängt, ob der Student das Studium abbrechen muss. „Ich kann nachvollziehen, dass Studenten dann versuchen, um jeden Punkt zu kämpfen“, sagt Struwe. „Aber letzten Endes ist eine Prüfung eine Prüfung und die muss bestanden werden.“