Erfolgsdruck im Studium Warum Studenten um ihre Noten feilschen

Klausuren im Studium: Noten sind Verhandlungssache Quelle: Getty Images

Immer häufiger nutzen Studenten die Klausureinsicht, um ihre Note anzuzweifeln und über die letzte Nachkommastelle zu verhandeln. Die Gründe dafür reichen vom jungen Alter bis hin zu Druck von Seiten der Wirtschaft.

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14 Uhr, Klausureinsicht. Eine Studentin knetet sich nervös die Hände, als sie die Tür zur Einsichtnahme öffnet. Aus einem Online-System weiß sie schon, dass sie die Klausur an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften an der TU Dortmund nicht bestanden hat. Trotzdem möchte sie einen Blick auf ihre Ergebnisse werfen. Kaum hält sie die Klausur in der Hand, wirkt sie erschrocken und enttäuscht zugleich. Zwei Punkte hätten zum Bestehen gefehlt. Aufgabe für Aufgabe spricht sie mit der Prüferin durch, lässt sich die Aufgaben erklären - und sucht nach Korrekturfehlern. „Hätten Sie für diese Antwort nicht noch einen Punkt mehr geben können?“, fragt sie. Die Nervosität ist ihr ins Gesicht geschrieben. Ihr Bemühen zahlt sich aus. Die Prüferin gibt ihr in zwei Aufgaben jeweils einen Punkt mehr und die Prüfung ist bestanden. Aufatmen bei der Studentin.

Sie ist kein Einzelfall. Immer mehr Studenten treten mit ihrem Professor an den Verhandlungstisch. Dies bestätigen verschiedene Professoren und Studenten in Gesprächen mit der WirtschaftsWoche. Nach dem Erhalt der Prüfungsnote haben Studenten an den meisten Universitäten die Möglichkeit, ihr Geschriebenes und dessen Bewertung einzusehen. Studenten, die diese Möglichkeit nutzen, haben selten bloß vor, Fehler nachzuvollziehen. Stattdessen schnappen sie sich ihre Klausur, legen sie dem Professor auf den Tisch und fangen an um jeden rot markierten Punktabzug zu verhandeln. Oft geht es dabei gar nicht ums reine Bestehen, sondern darum, ob der Student beispielsweise statt der 2,7 eine 2,3 erhalten kann. Woran liegt es, dass Noten zunehmend zum Verhandlungsgegenstand werden?

„Der eine oder andere wirkt schon recht verbissen, wenn es darum geht, noch Punkte rauszuholen“, sagt ein BWL-Student der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. „Die Aufsichten bei der Klausureinsicht tun mir manchmal leid, wenn die Kandidaten nicht von ihnen ablassen und die Korrektur bis aufs kleinste Komma diskutieren wollen.“ Wirklich übel nehmen kann er es denen, die es versuchen, aber nicht. „Solche Diskussionen führen oft zum gewünschten Erfolg“, erzählt der Student.

Ein Grund für die Diskutierfreudigkeit vieler Studenten ist ihr junges Alter. Das mittlere Alter von Erstabsolventen lag nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 2016 bei 24,1 Jahren und damit 1,5 Jahre unter dem Wert von 2006. Die Gründe dafür sind vielfältig: zum einen werden viele Kinder jünger eingeschult, die Wehrpflicht wurde 2011 abgeschafft und die Schulzeit für Abiturienten auf 12 Jahre verkürzt. Dadurch beginnen einige Abiturienten ihr Studium bereits im Alter von 17 Jahren. „Bachelor-Studenten verwechseln Universität und Schule manchmal“, sagt Philip Jung, Professor für Makroökonomie an der TU Dortmund.

Aber nicht nur das junge Alter, sondern auch der gestiegene Druck führen zu hitzigen Diskussionen bei Klausureinsichten. Mit der Bologna-Reform und der zugehörigen Umstellung von Diplom- auf Bachelor-und Masterstudiengänge, sitzt oft die Zeit den Studenten im Nacken. „Seit der Einführung des Bachelor-Master-Systems werden immer häufiger Klausuren über den Stoff von maximal einem Semester geschrieben. Das verleitet zum Notenfeilschen“, sagt Jung. Sind alle Prüfungen bestanden, können Studenten aufatmen. Wirklich freuen können sich die meisten Bachelor-Absolventen erst, wenn die Noten so gut sind, dass die für die Zusage zum Wunsch-Masterprogramm reichen.

Es geht mehr um die Noten als um die eigene Entwicklung

Was beim Kampf um gute Noten verloren geht, ist der Anspruch an den eigenen Lernerfolg. „Die Note scheint den Studenten wesentlich wichtiger zu sein, als die zu vermittelnden Inhalte“, sagt Metzger, Professor für Mikroökonomie in Dortmund. 1000 Personen haben in seiner Veranstaltung eine Aufgabe bearbeitet, die Bonuspunkte für die Klausur brachte. Die Folien zur Vorlesung haben dagegen weniger als 300 Personen heruntergeladen.

Schon in der Schule werden viele künftige Studenten auf Erfolg getrimmt. „Bereits auf dem Gymnasium haben Mitschüler auf den Lehrer eingeredet, doch die 15 statt der 14 Punkte zu geben, damit das angestrebte Medizin- oder Psychologiestudium nicht in Gefahr gerät“, sagt der BWL-Student aus Münster. „Von klein auf wurde uns eingetrichtert, wie wichtig Noten sind.“ Sie bestimmen, welches Fach junge Leute an welcher Hochschule studieren können und an welcher Stelle sie auf der Liste stehen, wenn es darum geht, eine Uni für das Auslandssemester zu wählen. Auch in Hinblick auf den künftigen Beruf fühlen Studenten sich oft unter Druck. „Wer zu den angeblichen Top-Adressen wie McKinsey und Co möchte, muss schon einen Top-Notendurchschnitt vorweisen können“, sagt der Student.

In diesem Strudel aus Ansprüchen kommen manche Studenten an ihre Grenzen. Wissen sie nicht mehr weiter, hilft Nina Müller. Sie ist psychologische Beraterin beim Studentenwerk Frankfurt am Main. „Viele Studenten sind von hohem Druck geplagt“, sagt sie. „Der kommt von ihnen selbst, aber auch aus der Gesellschaft heraus.“ Die To-Do-Liste, die viele Studenten im Kopf haben, ist lang: schnell den Bachelor machen, schnell den Master hinterher, am besten noch vier Auslandspraktika dazu. Das alles, um überhaupt eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu haben. Wer da die Möglichkeit hat, in einer Klausureinsicht noch ein paar Punkte herauszuholen, nutzt die. „Ein Kommilitone von mir diskutiert bei jeder Einsichtnahme und das mit Erfolg“, erzählt der Student aus Münster. „Ich vermute, dass er so lange diskutiert, bis die Aufsicht keine Lust mehr hat und nachgibt.“

Das sind Deutschlands beste Unis
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RWTH Aachen Quelle: RWTH Aachen/Peter Winandy
Ludwig-Maximilians-Universität München Quelle: imago images
LMU München Quelle: LMU/Jan Greune
Uni Mannheim Quelle: Universität Mannheim/Norbert Bach

Ist es wirklich so einfach, eine bessere Note durch Beharrlichkeit zu erschleichen? In vielen Fächern gibt es bei den Antworten nicht nur richtig oder falsch. Die Bewertung des Geschriebenen liegt bei dem Professor. „Jeder Prüfer würde sich in die Tasche lügen, wenn er behauptet, dass er exakt dieselbe Punktzahl geben würde, wenn er dieselbe Klausur ein Jahr später noch einmal korrigieren würde“, sagt Jochen Struwe, Vizepräsident des Hochschullehrerbundes. Über einen oder zwei Punkte könne man schon mal nachdenken, wenn das Geschriebene das zulässt. Jedem eine bessere Note zu geben, der danach fragt, sei aber keine Option. „Ein Prüfer muss die nötige Persönlichkeit an den Tag legen, um mit der Drucksituation umgehen zu können“, sagt Struwe.

Besonders heikel wird die Situation, wenn es von der einen Note abhängt, ob der Student das Studium abbrechen muss. „Ich kann nachvollziehen, dass Studenten dann versuchen, um jeden Punkt zu kämpfen“, sagt Struwe. „Aber letzten Endes ist eine Prüfung eine Prüfung und die muss bestanden werden.“

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