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Exklusiv-Studie Deutsche Studenten scheuen Unternehmensgründungen

Zwar wächst unter deutschen Studierenden das Interesse an einer Existenzgründung. Im europäischen Vergleich ist es aber weiterhin sehr gering, so eine exklusive Studie. Die vorhandenen Fördermaßnahmen werden oft nicht genutzt.

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Konzentriert versucht Sven, der Vorlesung seines Professors über Mikroökonomie zu folgen. Doch mit seinen Gedanken ist der Student ganz woanders: „Anschlusstermin mit der Bank vereinbaren, Steuerberater sprechen, Werbematerial vom Drucker abholen“, kritzelt er auf die Rückseite seiner Vorlesungsunterlagen und spielt in Gedanken die nächsten Schritte für sein eigenes Startup durch.

Der 29-Jährige hat zwar Angst vor dem Risiko – aber er weiß von befreundeten Gründern, wie erfolgreich man mit seinem eigenen Unternehmen werden kann. Nun hat er sich gegen eine Festanstellung und für die Unabhängigkeit entschieden.

Sven gibt es nicht wirklich. Aber so wie er sehen typische studentische Gründer an einer deutschen Hochschule aus: 73 Prozent sind männlich, im Durchschnitt sind sie 29 Jahre alt.

In jedem Fall ist Sven eine Ausnahmeerscheinung. Nur zehn Prozent der Studenten in Deutschland wollen direkt nach dem Studium ein eigenes Startup gründen und sehen Selbstständigkeit nicht als Notlösung, sondern als interessante Karriereoption.

Studentische Gründer setzen auf Dienstleistung

Das sind zwar knapp zwei Prozent mehr als noch 2006. Dennoch gehört Deutschland mit Belgien und Frankreich in Europa zu den Ländern mit den geringsten unternehmerischen Aktivitäten.

Das ist das Ergebnis der Guesss-Studie, an der im vergangenen Jahr weltweit 60.000 Studenten aus 19 Ländern teilgenommen haben. Immerhin: Von den knapp 7500 deutschen Teilnehmern hatten nur knapp 2800 überhaupt kein Interesse an einem Startup. Fünf Jahre nach dem Studienabschluss können sich schon 29 Prozent der Studenten eine Unternehmensgründung vorstellen.

Guesss steht für Global University Entrepreneurial Spirit Students’ Survey, auf Deutsch: eine globale und universitäre Umfrage zum studentischen Unternehmergeist. Dabei handelt es sich um ein Forschungsprojekt des Lehrstuhls für Entrepreneurship im Strascheg Institute der European Business School in Oestrich-Winkel in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Institut für Klein- und Mittelunternehmen an der Universität St. Gallen. Die Studie untersucht die Gründungsabsichten und -tätigkeiten von Studierenden im geografischen und zeitlichen Vergleich.

Von Menschen wie Sven also, dem Gründer-Prototypen. Er ist – wie rund 50 Prozent der studentischen Gründer – seit etwa drei Jahren in einem Masterstudiengang eingeschrieben und hat einen ökonomischen Schwerpunkt gewählt. Die meisten Gründer studieren Betriebs-, Volks- oder Verwaltungswissenschaften (22 Prozent), gefolgt von IT-Wissenschaften (20 Prozent).

Nicht überraschend ist daher, dass Sven wie rund drei Viertel aller studentischen Gründer kein Produkt erfunden hat, sondern eine Dienstleistung anbietet. Etwa sechs von zehn wollen sich nichts Neues ausdenken, sondern auf ein bewährtes Konzept vertrauen. Nicht ganz unwahrscheinlich ist auch, dass Gründer wie Sven aus einem Unternehmerhaushalt kommen. Jeder fünfte studentische Jungunternehmer hierzulande hat einen selbstständigen Vater.

Studenten fordern zentrale Anlaufstelle für Gründungsfragen

Mehr Krisengründer

Viel entscheidender als die Herkunft sind heute aber die Hochschulen, die Studierende für die Selbstständigkeit begeistern und ihnen bei der Gründung helfen können. Das steigende Interesse an Unternehmertum zeigt sich an der wachsenden Anzahl der Lehr- und Stiftungslehrstühle für Entrepreneurship in Deutschland. Ende der Neunzigerjahre wurde der erste eingerichtet, heute gibt es mehr als 60. Die Professoren wollen Existenzgründung populärer machen und sprechen sich für mehr Gründernetzwerke an Hochschulen aus, wie eine aktuelle Umfrage der WirtschaftsWoche belegt.

Gründer wie Sven wünschen sich von ihrer Uni aber mehr: Eine zentrale Anlaufstelle für Gründungsfragen, außerdem Gründungs-Coachings. Und sie finden nicht alles gut, was die Professoren anbieten. Die klassischen Gründungsseminare und -vorlesungen werden als eine der unwichtigsten Unterstützungsformen angesehen, die Hälfte der Befragten nimmt sie ohnehin nicht wahr. Auch Inkubatoren und Anschubfinanzierungen haben 99 Prozent nicht genutzt.

Das stärkste Motiv, sich selbstständig zu machen, ist für Gründer wie Sven die Freiheit, eigene Arbeitsweisen umsetzen zu können, als Person zu wachsen und zu lernen sowie mehr persönliches Einkommen zu erzielen. Schlechte Nachrichten für Familienunternehmen: Die geringste Motivation ergab sich für die Befragten daraus, eine Familientradition fortzusetzen oder dem Beispiel einer Person zu folgen, die sie bewundern.

Die vielleicht beste Nachricht der Studie: Sven wird seine Entscheidung, ein Unternehmen zu gründen, später nicht bereuen. 91 Prozent der Befragten sind rückblickend froh, den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt zu haben. 79 Prozent gaben an, dass sie danach alles in allem zufriedener geworden seien. Und 61 Prozent der Befragten würden jedem, der dazu in der Lage ist, empfehlen, sich ebenfalls selbstständig zu machen.

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