Fachhochschulen Unterschätzte Kaderschmieden

Studieren bedeutet immer, viel zu lesen, ob an der FH oder an der Uni. Quelle: imago images

Ein Studium an einer Fachhochschule führt nur selten in akademische Höhen. Der Praxisbezug vom ersten Semester an hat aber sein Gutes: Absolventen sind bei Unternehmen zunehmend beliebt.

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Vor der großen Karriere kommt das Studium an einer  renommierten Universität – so der verbreitete Glaube. Doch der führt offenbar ein wenig in die Irre. Dass die Fachhochschulen mittlerweile bei Unternehmen mindestens ebenso beliebt sind, zeigt das aktuelle Uni-Ranking der WirtschaftsWoche.

Im vergangenen Wintersemester 2019/20 waren rund 35 Prozent (etwas mehr als eine Million) von ihnen an den 213 Fachhochschulen des Landes eingeschrieben, während knapp 1,8 Millionen an 107 Universitäten eingeschrieben waren. Bei steigenden Studierendenzahlen bleibt der Anteil der Fachhochschulen seit Jahren konstant bei etwa einem Drittel. Absolventen von Fächern wie Maschinenbau, Elektrotechnik oder Wirtschaftsinformatik sind am Arbeitsmarkt begehrt und punkten vor allem, weil sie ihr theoretisches Wissen im Unternehmen direkt praktisch umsetzen können.

Fachhochschulen – kurz FHs oder heute oft auch Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) genannt – sind in ihrer Struktur so etwas wie Universitäten light: Weniger Studierende, nahbare Professoren, kein aufgeblähter Mittelbau aus Assistenten und Doktoranden.

Das heißt auch: kein Heer von Mitarbeitern, deren Dasein von Drittmitteln und immer neuen befristeten Verträgen abhängt. Die Uni wird hier für einen Teil der Studierenden zum Arbeitgeber und Karriereziel, nicht zur temporären Station auf dem Weg in die Unternehmenskarriere.

Nicht so an der Fachhochschule. Das Ziel sei die Befähigung, einen Beruf auszuüben, sagt Hanno Weber, Prorektor für Studium und Lehre an der Hochschule Pforzheim. Man könnte sagen: An der HAW lernen Studierende so viel Theorie wie nötig und so viel praktische Anwendung wie möglich, häufig mit festen Kooperationen mit regionalen Unternehmen. Semesterlange Seminare in die Tiefen der Mathematik ungeachtet der genauen Fachrichtung kommen nicht vor – wer für seinen Beruf Mathe braucht, lernt an der HAW alle dafür nötige Mathematik und die wichtigsten Grundlagen, weiß dabei aber stets, was die Formeln mit seinem konkreten Berufsfeld zu tun haben und warum sie zu lernen sind.

Für den Eintritt ins Berufsleben reicht in der Regel der Bachelor, der an Universitäten heute eher als „besseres Vordiplom“ gelte, sagt Weber. Danach folgt ein Master, der weitere vier Semester dauert. „FHs bieten auch Masterstudiengänge an, aber der Bachelor ist ein vollwertiger Berufsabschluss“, sagt der Professor aus dem Südwesten. „Die Betriebe der Region nehmen unsere Bachelorabsolventen mit Kusshand, gerade im Ingenieur- und MINT-Bereich, aus der Elektrotechnik oder die Wirtschaftsingenieure. Die meisten haben schon vor ihrem Abschlusszeugnis einen Arbeitsvertrag auf dem Tisch“, berichtet Weber.

Natürlich bringt auch der rigorose Praxisbezug seine Tücken mit sich. Warum noch eine Bachelorarbeit und Klausuren schreiben, wenn der Wunscharbeitgeber schon am Schwarzen Brett wartet und mit dem Arbeitsvertrag wedelt? „An der FH gibt es unterschiedliche Typen von Studierenden“, sagt Hanno Weber. „Es gibt Theoretiker, die später vielleicht sogar noch an einer Uni promovieren. Und es gibt extreme Praktiker, die lieber irgendwo anpacken und ein konkretes Problem lösen, als am Schreibtisch zu sitzen. Die sind anfällig für solche Angebote“, räumt er ein.

Die Problematik kennt auch Stefanie Molthagen-Schnöring, die Vizepräsidentin für Forschung und Transfer an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin, mit 14.000 Studierenden die größte Fachhochschule im Osten Deutschlands. „Der Abschluss ist unter anderem wichtig, wenn man bestimmte Karrierestufen in einem Unternehmen erklimmen möchte. In einem Startup-Umfeld ist das vielleicht nicht sofort relevant. Wenn man aber zum Beispiel bei Daimler Karriere machen will, braucht man doch eher den Masterabschluss“, sagt Molthagen-Schnöring. 

Promotionsrecht an FHs oder nicht?

Der Elektroingenieur Gerold Bausch aus Leipzig hat einen für FH-Absolventen nicht ganz typischen Weg eingeschlagen. Statt in die Industrie zog es den heute 40-Jährigen nach Bachelor und Master an der HTWK Leipzig und in Schottland zur Partneruniversität nach Rostock, wo er in seinem Fach promovierte. Zwischendurch gründete er mit einem Freund ein Startup und arbeitete mehrere Jahre am Forschungs- und Transferzentrum FTZ in Leipzig. Sein Startup Triforx soll eine Schnittstelle zwischen Forschung und Unternehmen sein.

Das Projekt ruht inzwischen aber, denn Bausch ist als Professor an seine ehemalige Hochschule zurückgekehrt. Er hat die Freude an der Lehre bei sich entdeckt. Die Berufung war ohne Habilitationsschrift möglich, denn für einen Lehrstuhl ist dies nicht wie an vielen Universitäten Bedingung. Stattdessen müssen FH-Professoren an den meisten Fachhochschulen rund fünf Jahre Berufserfahrung vorweisen, um als qualifiziert zu gelten.

Dass ein Absolvent nach Abstecher zur Uni mit Promotion und Praxiserfahrung an eine FH zurückkehrt, kommt nicht so oft vor. Wegen des fehlenden Promotionsrechts können sich Fachhochschulen ihr Lehrpersonal nicht selbst heranziehen, wie es an vielen Unis möglich und üblich ist. Wäre es einfacher, wenn HAWs Promotionsrecht hätten? Bausch sieht das trotzdem als Herausforderung: „Gerade in den Ingenieurwissenschaften ist es nicht so einfach, entsprechende Lehrkräfte zu finden, die eine Weile in der Wirtschaft waren. Dort ist der Bedarf ebenfalls groß und die Bezahlung häufig besser.“

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Würden die Fachhochschulen wie Universitäten auf Grundlagenforschung und Doktorgrade setzen, findet Bausch, würden sie sich letztlich um ihr Alleinstellungsmerkmal bringen – die reizvolle Mischung aus fundierter Ausbildung mit konkretem Praxisbezug in einem Lehrbetrieb mit Lehrkräften, die Kontakte zu Unternehmen pflegen und wissen, welche Fähigkeiten und Software-Kenntnisse gebraucht werden. Die Entwicklung der Studierendenzahlen zumindest scheint das zu bestätigen. 

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