Der eine heißt "Ford", einer "Aachen Münchener" und noch einer ist nach der Sparkasse benannt: Wer genau hinsieht, entdeckt an diversen Sälen an der RWTH Aachen Logos von Unternehmen. Der Schriftzug "Aachen Münchener" etwa prangt groß in goldenen Lettern über dem Eingang eines Saals im Hauptgebäude der Universität. Und Unternehmen lassen sich noch mehr einfallen: Miele-Mitarbeiter veranstalten Bewerbungscoachings, zuhauf stürmen Unternehmen die Firmenkontaktmesse der RWTH "bonding" mit Werbeplakaten und Infoständen. Der Grund für das Spektakel: Die Arbeitgeber wollen künftige Fachkräfte ins Unternehmen holen. Nach Ingenieuren sind sie besonders gierig.
81.080 offene Stellen zählte der Verein Deutscher Ingenieure für das dritte Quartal 2017 - ein Rekordhoch. Der Verein ruft Unternehmen dazu auf, dringend die Ausbildung des Nachwuchses weiter zu fördern. Ein guter Anlaufpunkt für die führenden Industrieunternehmen sind die Top-Universitäten Deutschlands. Hier suchen jedoch nicht die Unternehmen ihren Nachwuchs aus, sondern der Nachwuchs sucht sich seinen Arbeitgeber aus.
Um als Unternehmen im Rennen um Fachkräfte nicht unterzugehen, lohnt es sich, früh an den Universitäten präsent zu sein: Werbeaktionen, Unternehmens-Präsentationen oder kostenloser Kaffee in Kombination mit einem Personaler-Gespräch. Die deutsche Wirtschaft lässt sich einiges einfallen. Mit etwas Glück binden sie so Studenten früh ans Unternehmen. Doch die Aktionen sind nicht überall gleich gerne gesehen.
Die bei Unternehmen beliebtesten Wirtschaftsingenieure und Elektrotechniker kommen von der RWTH Aachen. Das hat das Uni-Ranking der WirtschaftsWoche ergeben. Wer diese Fächer dort studiert hat, dem stehen auf dem Arbeitsmarkt alle Türen offen. Doch wer als Arbeitgeber an der RWTH präsent sein möchte, muss erst einmal an den Professoren und dem “Career Center” vorbei. Bei ihnen kommen die Werbeanfragen der Unternehmen nämlich an. “Einige Professoren könnten ganze Vorlesungen mit Werbung füllen”, sagt Aloys Krieg, Prorektor für Lehre. Genau das möchte er verhindern. Professoren müssten auch mal zu Torwächtern werden, die die Studenten davor beschützen, von ihrem Studium zu sehr abgelenkt zu werden. “Forschung und Lehre first”, bestätigt auch Anja Robert vom "Career Center". Wer an der RWTH werben will, sollte genau da anknüpfen. “Wir sind an langfristigen Kooperationen interessiert”, sagt Robert. “Unternehmen können Workshops anbieten oder sich in Recruiting-Veranstaltungen vorstellen”, erläutert sie. Wichtig sei, dass beide Seiten von der Kooperation profitieren und nicht einzig und allein der Posteingang der Personaler.
Die Studenten begrüßen diese geregelten Werbemaßnahmen. „Die Hochschule filtert gut, sodass wir nicht überschwemmt werden“, sagt beispielsweise Florian Grötschla. Er ist Mitglied der Fachschaft Informatik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Besonders die Möglichkeit, Unternehmenspräsentationen zu besuchen, sagt ihm zu. „Es ist alles freiwillig“, sagt er. Doch es gibt auch Werbeaktionen, die ihn verärgern. “Es gab Plakate, die zu mehr Teamarbeit aufgerufen haben, weil das Klischee des Einzelgängers noch immer existiert”, erzählt er.
Peinliche Kampagnen
Doch die Realität sehe ganz anders aus: Stehen Informatik-Studenten in Gruppen vor Plakaten, die sie indirekt als Einzelgänger bezeichnen, ist der Werbeerfolg gleich Null. Auch Slogans wie “Deutschlands bester Coder gesucht”, verfehlen ihr Ziel. “Informatiker sind nicht nur Programmierer”, sagt Grötschla. Unternehmen sollten sich laut Grötschla mehr Gedanken um ihre Kampagnen machen. „Es ist peinlich, wenn den Studenten auffällt, dass die Kampagne von einem fachfremden Marketing-Spezialisten erstellt wurde.“
Um die Unternehmen nicht wahllos auf die Studenten loszulassen, bieten viele Hochschulen Firmenkontaktmessen an. Hier können sich interessierte Studenten mit potenziellen Arbeitgebern austauschen. Oft geht der Nachwuchs mit einer guten Praktikumsstelle nach Hause.
Gerhard Flaig sieht das Buhlen um seine Studenten kritisch. Er ist Studiendekan der Volkswirtschaftlichen Fakultät der Ludwig-Maximilian-Universität München. “Diese Veranstaltungen nehmen langsam Überhand”, sagt er. Die Unternehmen würden den Studenten einreden, dass sie so viele Praktika machen müssen wie möglich. “Manche unserer Studenten machen ein Praktikum nach dem anderen. Die finden gar keine Zeit mehr fürs Studium”, klagt der Ökonometrie-Professor.
Unis können als Arbeitgeber nicht mithalten
Die Zeit in der Schutzzone der Universität ist irgendwann vorbei und die Nachwuchskräfte stürmen auf den Arbeitsmarkt. “Unser schwarzes Brett ist so voll mit Stellenanzeigen, dass wir die ersten oft nach wenigen Tagen schon wieder abhängen müssen, um Platz für neue zu schaffen”, erzählt Thomas Bartoschek von der Uni Münster. Er ist Professor am Institut für Geoinformatik. Er freue sich natürlich für seine Studenten, dass sie so beliebt sind. Dennoch: “Viele talentierte Studenten überlegen gar nicht mehr, Karriere als Wissenschaftler zu machen”, sagt er. Seine Studenten, insbesondere die des Faches Geoinformatik werden so stark umworben, dass der Gang in die Wirtschaft wie ein goldener Weg erscheint. “Bei den Angeboten können die Fakultäten als Arbeitgeber nicht mithalten”, sagt er.
Abgesehen von den verloren gegangenen Wissenschaftlern ist Campuswerbung für Unternehmen eine große Chance, dem Fachkräftemangel zu begegnen und für Studenten die Gelegenheit, Zukunftspläne zu schmieden. Doch Unternehmen, die sich nicht an die Vorgaben der Hochschulen halten, werden mit einem Werbeverbot bestraft - und das nützt nun wirklich niemandem etwas.