WirtschaftsWoche Online: Herr Herrmann, die Zahl der Volkswirtschaftsstudenten in Deutschland ist in den vergangenen zehn Jahren gesunken. Wird die VWL zur Nischenwissenschaft?
Herr Peter Herrmann: Der Begriff Nische gefällt mir nicht. Richtig ist aber, dass die Entscheidung für ein VWL-Studium die Berufswahl verengt – und das ist womöglich den Studenten bewusster als früher. Mit der VWL ist es ein bisschen so wie mit Geschichte oder Germanistik – tolle Fächer, die Freude machen, aber nicht unbedingt als natürliches Sprungbrett taugen. Die Studienentscheidung fällt immer häufiger mit Blick auf die berufliche Perspektive und das Portemonnaie. Und wer primär nach Karrieregesichtspunkten studiert, was ich weder lobe noch verdamme, ist bei der Betriebswirtschaftslehre besser aufgehoben. Das muss man klar sagen.
Zur Person
Peter Herrmann, 56, ist seit 2012 Präsident des Bundesverbands Deutscher Volks- und Betriebswirte (bdvb) und seit 2006 Geschäftsführer des 250-Mitarbeiter-Unternehmens i-Solutions Health in Bochum.
Während der Finanz- und Wirtschaftskrise hat das Image der Ökonomenzunft arg gelitten. Schreckt auch das junge Menschen vom VWL-Studium ab?
Das kann man nicht völlig ausschließen. Wobei die Attacken auf die Ökonomen zum Teil unverhältnismäßig und politisch gesteuert waren – und sind. Ich erinnere mich zum Beispiel an Heiner Geißler, der gesagt hat, die Ökonomie sei die armseligste Wissenschaft überhaupt. Solch billige Polemik trägt nicht zu einer sachlichen Auseinandersetzung mit den Fehlern und Verdiensten der Wirtschaftswissenschaften bei. Mittlerweile hat sich das Bild wieder gewandelt. Die Ökonomen sind nicht mehr der Watschenmann für jedermann. Und das ist auch gut so.
Wo sehen Sie die deutschen Wirtschaftswissenschaften im internationalen Vergleich?
Wir haben nicht den gleichen Ruf wie etwa die Ingenieurwissenschaften. Das ist schade. Der Erfolg der deutschen Wirtschaft hängt nicht nur davon ab, dass wir tolle Techniker haben, die tolle Autos bauen. Sondern auch davon, dass es hervorragende und innovative Ökonomen gibt, die nicht zuletzt der Politik auf die Finger schauen. Die deutschen Hochschulen haben vielfach aber auch schlicht ein Marketingproblem.
Was meinen Sie damit?
Angelsächsische Hochschulen sind uns in Didaktik und Selbstvermarktung überlegen. Wir werden in der Ökonomie international unzureichend wahrgenommen, obwohl auch wir viele exzellente Wissenschaftler haben. Bei ausländischen Ökonomiestudenten ist Deutschland auch deswegen nicht die erste Wahl, die gehen lieber nach Großbritannien oder in die USA.
Und was ist mit den Inhalten? Kritiker monieren eine anhaltende Dominanz von neoklassischen Methoden und eine Überbetonung der Mathematik in den VWL-Lehrplänen.
Da bin ich gespalten. Natürlich hat die Frage der Realitätsnähe und praktischen Umsetzbarkeit ökonomischer Forschung enorm an Bedeutung gewonnen. Das muss sich in Forschung und Lehre widerspiegeln. Gerade die zentrale Frage, wie sich die Nationalökonomie vor dem Hintergrund von Globalisierung und Digitalisierung verändert, lässt sich nicht wie eine Rechenaufgabe beantworten. Anderseits ist es für Ökonomen extrem wichtig, das theoretische Rüstzeug zu besitzen. Man muss mit dem wissenschaftlichen Instrumentarium umgehen können. Und das ist nun mal anspruchsvoll, das kann man nicht schnell im Internet nachlesen.
Ist die klassische Unterteilung zwischen BWL und VWL dabei noch zeitgemäß? Die beiden Disziplinen greifen doch immer stärker ineinander über.
Das stimmt, es gibt Überschneidungen. Ich würde die Fächer trotzdem nicht zusammenpacken. Ich selber habe ein Mischstudium aus beiden Disziplinen absolviert und war damit nicht immer glücklich. Die Schwerpunkte und wissenschaftlichen Herangehensweisen sind so unterschiedlich, dass eine Trennung Sinn macht.
Wie hoch ist im Schnitt das Einstiegsgehalt von Wirtschaftswissenschaftlern, wenn sie frisch von der Uni kommen?
Das ist je nach Region und Branche unterschiedlich. Bei Betriebswirten sind es im Schnitt so um die 40.000 Euro. Bei Volkswirten lässt sich das nicht genau sagen, da ist ja auch der öffentliche Dienst mit im Boot.
Und wie sind generell die Berufsperspektiven für Wirtschaftswissenschaftler in Deutschland?
Es gibt nach wie vor eine hohe Nachfrage am Arbeitsmarkt. Allerdings ist bei den Absolventen, vorsichtig ausgedrückt, die qualitative Bandbreite größer als früher. Viele Hochschulabgänger bringen mittlerweile nicht mehr das theoretische Rüstzeug mit, das wir für anspruchsvollere Jobs voraussetzen. Das gilt für mein Unternehmen, ähnliche Kritik höre ich aber auch aus vielen anderen Betrieben.
"Modestudiengänge" entstehen
Vielleicht haben Sie ja nur Ihre Anforderungen hochgeschraubt.
Nein. Wir leiden vielmehr unter den Folgen der Umstellung auf Bachelor- und Master-Abschlüsse. Die Ökonomenausbildung war früher generalistischer, die Absolventen hatten inhaltlich ein breiteres Spektrum. Dafür stand das Diplom. Nun entstehen vielerorts Modestudiengänge. Es findet eine frühe Spezialisierung der Studenten statt, da gibt es Eventmanagement und Gesundheitsmanagement und Medienmanagement; für jeden ist etwas dabei. Viele betrachten das Bachelor-Studium mittlerweile als Ersatz für eine klassische Ausbildung. So geht der Eliteanspruch, den eine universitäre Ausbildung haben sollte, verloren.
Heißt das: Wer seinen Bachelor in BWL oder VWL macht, sollte in jedem Fall das Master-Studium dranhängen, um die für Top-Jobs nötige wissenschaftliche Breite zu bekommen?
Wer als Ökonom Karriere machen will, sollte dies unbedingt tun – und womöglich auch noch die Promotion dranhängen. Es ist nun mal so, dass der Bachelor-Abschluss für viele Aufgabenbereiche, die die Unternehmen früher mit Diplom-Absolventen besetzt haben, nicht ausreicht. Selbst ein notenmäßig guter Bachelor-Abschluss ist kein Selbstläufer auf dem Arbeitsmarkt. Auf Zeugnisse und Zertifikate vertrauen viele Unternehmen nicht mehr. Die Bedeutung der Abschlussnote nimmt in vielen Personalabteilungen ab.
Konkret: Wie gehen Sie als Unternehmer vor, wenn Sie neues Personal rekrutieren?
Wenn wir Berufsanfänger von der Hochschule einstellen, wollen wir die Leute vorher im Arbeitsalltag kennenlernen, etwa durch Praktika in den Semesterferien oder kleine Nebenjobs. So lässt sich die Persönlichkeit der Bewerber besser beurteilen. Wir nutzen zudem die Netzwerke unserer Mitarbeiter, indem wir sie in die Personalakquise einbinden und sie im Erfolgsfall mit Prämien belohnen. Und was ganz wichtig ist: Der introvertierte Einzelkämpfer ist out – selbst wenn er über exzellente Kenntnisse verfügt.
Wen suchen Sie stattdessen?
Gefragt sind Mitarbeiter, die ihre Vorgehensweisen, Ideen und Ergebnisse vermitteln können. Es nützt nichts, wenn ich tolle Ergebnisse produziere, diese aber anderen nicht begreiflich machen kann. Die Ansprüche an soziale und kommunikative Kompetenz sind deutlich gestiegen.
Und am Ende regieren die eloquenten Schaumschläger, während die stillen Tüftler untergehen.
Es kommt nicht darauf an, besonders geschliffen zu reden. Sondern darauf, dass ich andere abholen kann, dass ich teamfähig bin. Leute, die nicht im Team arbeiten können oder wollen, versuchen wir von vornherein herauszufiltern. Wer als Volks- oder Betriebswirt Schwächen im kommunikativen Bereich hat, muss daran arbeiten. Sonst wird es schwer, einen guten Platz im Unternehmen zu finden.
Gibt es speziell für Volkswirte überhaupt noch Top-Jobs in Deutschland?
Ja, auch wenn die Zahl der attraktiven Stellen tendenziell abnimmt. Der klassische Einsatzbereich sind Verbände, politiknahe Institutionen und Forschungsinstitute. In der Privatwirtschaft ist es schwieriger. Vereinzelt stellen Beratungsunternehmen gezielt Volkswirte ein, aber auch Banken oder große Konzerne, die sich eine eigene volkswirtschaftliche Abteilung leisten können.
Müssten mit dem Wandel der Wirtschaft nicht auch neue Berufsbilder für Ökonomen entstehen?
Das passiert doch. Die Unternehmen fragen zum Beispiel immer stärker Informatiker nach, die betriebswirtschaftliche Kenntnisse mitbringen – oder suchen umgekehrt Betriebswirte, die sich gut mit IT-Fragen auskennen. Ähnlich ist es im Maschinenbau. Die Kombination aus technischem und ökonomischem Wissen wird auf dem Arbeitsmarkt immer wichtiger. Die zunehmende Vernetzung der Wirtschaft erhöht zudem in vielen Berufsbildern den Stellenwert von Logistikwissen. Darauf müssen die Hochschulen mit ihren Angeboten reagieren.
Und wie ist es mit den Schulen? Kommen wirtschaftliche Fragen im Unterricht ausreichend vor?
Nein, im Gegenteil. Wirtschaft findet an den meisten Schulen nur völlig unzureichend statt. Ökonomische Bildung muss daher dringend ein fester Bestandteil der schulischen Ausbildung werden. Unser Verband fordert seit Langem ein Pflichtschulfach Wirtschaft. Dass das Bundesland Baden-Württemberg entsprechende Pläne angekündigt hat, begrüßen wir ausdrücklich.
Wie soll das aussehen? Wollen Sie mit 11-Jährigen über Konjunkturtheorie diskutieren?
Es geht nicht darum, Dinge aus dem Studium vorwegzunehmen, sondern um das Verständnis ökonomischer Zusammenhänge. Die Schule sollte junge Menschen auf die vielen Facetten des Wirtschaftslebens vorbereiten. Das kann schon damit anfangen, wie Versicherungen funktionieren oder was man bei einem Sparplan oder Handyvertrag beachten muss.