Mit 18 Jahren kam Ahmed Jomaa von Tunesien nach Deutschland. Er wollte Karriere machen. „Die wirtschaftliche Lage in Tunesien ist hoffnungslos schlecht“, sagt er. Das Problem: Er sprach kein Deutsch. Mittlerweile ist er 20 Jahre alt und studiert im zweiten Semester BWL mit dem Schwerpunkt Digitale Wirtschaft an der Beuth Hochschule für Technik in Berlin.
„Die Sprache ist immer noch mein größtes Problem, aber sie verbessert sich im Laufe der Zeit“, sagt er. Doch wieso wollte er unbedingt in Deutschland studieren? „Die deutsche Wirtschaft boomt. Die weltweit anerkannte Lehre gibt es hier zum Nulltarif“, sagt Jomaa.
Aus diesen Gründen wurde Deutschland jetzt als Nummer-Eins-Ziel für ausländische Studenten ausgezeichnet. Das Study.EU Länderranking 2018, das der WirtschaftsWoche exklusiv vorliegt, bewertet für alle Länder Europas die Kategorien Lehre, Lebenshaltungskosten inklusive Studiengebühren sowie Leben und Karriere. Deutschland hat es zwar in keiner der Kategorien auf den ersten Platz geschafft, jedoch in allen Kategorien mindestens in die Top-Ten. An einer Stelle hakt es nach Einschätzung der Studienautoren jedoch: Im Bereich Leben und Karriere hinkt der Preis-Leistungssieger hinter Ländern wie Großbritannien, Schweden und Island hinterher.
Das sind die besten europäischen Länder für Studenten
Deutschland
Die Bundesrepublik ist das Ziel, das am besten für ein Studium im Ausland geeignet ist. In den meisten Bundesländern gibt es keine Studiengebühren, die Lebenshaltungskosten sind vergleichsweise gering. Nur in Sachen Leben und Karriere gibt es Punktabzug. Das Ziel für 2020, 350.000 Studenten aus dem Ausland nach Deutschland zu holen, wurde mit 358.000 im Jahr 2017 vorzeitig erreicht.
Das Vereinigte Königreich
England, Schottland, Wales und Nordirland haben es zusammen geschafft, in den Kategorien Lehre sowie Leben und Karriere auf den ersten Platz zu kommen. Doch der 30. Platz im Kosten-Vergleich entzieht dem Vereinigten Königreich den ersten Platz. Der anstehende Brexit könnte dafür sorgen, dass ein Studium dort noch teurer wird.
Frankreich
Der dritte Platz geht an die Franzosen. Ähnlich zu Deutschland, lockt Frankreich ausländische Studenten mit einem renommierten Ruf der Lehre und einem bezahlbaren Hochschulssystem.
Holland
Die Lehre der niederländischen Universitäten kann sich sehen lassen. Sie schafft es auf den dritten Platz hinter dem Vereinigten Königreich und Deutschland. 1600 Studienangebote in englischer Sprache stehen zur Auswahl.
Russland
Für die Lehre erhalten russische Hochschulen den 5. Platz, im Ranking der günstigsten Länder und der Lebensqualität schafft Russland es nicht in die Top Ten.
Schweiz
Lehre im mittleren Bereich (Platz sechs), teure Lebenshaltungskosten (inklusive Studiengebühren) und den siebten Platz in der Kategorie Leben und Karriere befördern die Schweiz auf den sechsten Platz des Study.EU Länderrankings.
Doch gute Leistungen in dieser Kategorie hat Deutschland bitter nötig. Denn gelingt die Integration in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt nicht, gehen die dann gut ausgebildeten Studenten wieder zurück in die Heimat. Nur die Hälfte der Absolventen bleiben auch in Deutschland. Aber auch die andere Hälfte wird gebraucht. Bis 2030 werden nach Angaben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales auf dem Arbeitsmarkt fast zwei Millionen Arbeitskräfte mit Hochschulabschluss fehlen.
Die Hoffnung ruht auf Studenten aus dem Ausland, denn die Zahl der deutschen Studienanfänger stagniert. Bis 2020 sollen nach Angaben des Hochschul-Bildungsreports vom Stifterverband und dem Beratungsunternehmen McKinsey elf Prozent der Studienabsolventen aus dem Ausland kommen. 2015 waren es noch 7,7 Prozent.
Wido Geis vom Institut der deutschen Wirtschaft hat berechnet, dass der deutsche Staat im Jahr 2014 durchschnittlich 7.700 Euro je Student für die Lehre ausgegeben hat. Bei einer durchschnittlichen Studiendauer von dreieinhalb Jahren ergeben sich Kosten von rund 27.000 Euro pro Student. Jeder zweite Bildungsausländer breche jedoch sein Studium ab. Von denen, die es abschließen, bleibt nur jeder zweite in Deutschland.
Um eine Fachkraft für den deutschen Arbeitsmarkt zu gewinnen, sind also im Durchschnitt vier Studienanfänger nötig. Trotzdem rentieren sich diese Ausgaben für den deutschen Staat. Laut Wido Geis führt der gewonnene Akademiker sogar zu deutlichen Mehreinnahmen. Das gelte auch dann noch, wenn ein Teil der ausländischen Absolventen Deutschland im Laufe des Erwerbslebens wieder verlässt.
„Damit mehr Absolventen in Deutschland bleiben, muss die Integration in den Arbeitsmarkt verbessert werden“, sagt der Geschäftsführer von Study.EU, Bruno Blöss.
Wer Erfolg haben möchte, muss Deutsch sprechen
Der erste Schritt ist getan: Studenten können in Deutschland ihre Aufenthaltsgenehmigung bis zu 18 Monate nach ihrem Abschluss verlängern, um einen Job zu finden, der ihrer Qualifikation entspricht. „Das ist vorbildlich“, sagt Blöss. Auch Wido Geis vom Institut der deutschen Wirtschaft meint: „Die Bürokratie kann zwar abschreckend wirken, an sich ist das deutsche Aufenthaltsrecht aber sehr liberal“, sagt er.
Die 18-monatige Aufenthaltsgarantie erhöht die Chance auf eine Arbeitsstelle. Eine Garantie gibt es trotzdem nicht. „Um auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich zu sein, müssen die Studenten Deutsch sprechen können“, sagt er. Ausnahmen seien die Finanzbranche in Frankfurt oder Tech-Startups in Städten wie Berlin oder Hamburg. In diesen Bereichen reicht die englische Sprache oft aus.
Und genau dort möchte Ahmed Jomaa punkten. „Ich glaube, meine Karrierechancen sind sehr gut. Das, was ich im Schwerpunkt Digitale Wirtschaft lerne, ist besonders in der Start-Up-Branche sehr gefragt“, erzählt der Tunesier.
Um Absolventen aber auch für andere Branchen fit zu machen, empfiehlt Blöss das Angebot von bilingualen Studiengängen oder Studiengänge mit integrierten Deutschkursen. Der Hochschul-Bildungs-Report rät, Praktika für ausländische Studierende verpflichtend zu machen. Bisher absolviere lediglich jeder dritte internationale Student ein Praktikum.
Bilinguale Studiengänge, mehr Praktika und eine bessere Betreuung der ausländischen Studenten würde gezielt den Branchen zugutekommen, die einen Fachkräftemangel beklagen. Ein Drittel der ausländischen Studenten schließt sein Studium nämlich im Bereich Ingenieurwissenschaften ab, ein Zehntel im naturwissenschaftlichen Bereich. Wido Geis vom Institut der deutschen Wirtschaft sieht den größten Bedarf in den Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Insbesondere Ingenieure werden gesucht.
Um Fachkräfte langfristig in Deutschland zu halten, müssen sie sich aber auch wohlfühlen. Eine Studie des Expat-Netzwerks Inter Nations zeigt, dass die guten Karrierechancen die Menschen zwar anlocken, sich viele jedoch nicht willkommen fühlen. 68 Prozent der 13.000 befragten Fachkräfte bezeichnen die Deutschen als reserviert, 58 Prozent fällt es schwer, deutsche Freunde zu finden.
Ahmed Jomaa kennt das Problem. „Manche Leute sind distanziert“, sagt er. Aber er möchte durchhalten: „Das alles verbessert sich mit der Zeit.“ Nach eineinhalb Jahren fühle er sich gut aufgenommen, jedoch noch nicht völlig integriert. Das bringt ihn nicht von seinem Ziel ab: „Ich möchte nach meinem Studium in Deutschland bleiben und berufliche Erfahrung sammeln“, sagt der 20-Jährige. Unterm Strich ist die Bundesrepublik für ihn auch nach anderthalb Jahren noch der Preis-Leistungssieger fürs Studieren in Europa.