Olaf Lies kennt noch ganz andere Zeiten. Als der heutige Wirtschaftsminister von Niedersachsen Anfang der 1990er-Jahre Elektrotechnik studieren wollte, gab es mehr Bewerber als Plätze. „Aber ich wollte unbedingt in diesen Bereich“, erzählte Lies (SPD) neulich der WirtschaftsWoche. Also ging er in die Ausbildung zum Funkelektroniker und ergatterte dann eine Zulassung an der Fachhochschule (FH) Wilhelmshaven.
Dieses Wissen als Ingenieur verschaffe ihm heute, da er als Minister den Wind an den Küsten und auf dem platten niedersächsischen Land bestmöglich für die Energiewende einsetzen muss und auf Fotos mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) an LNG-Terminals „Deutschlandgeschwindigkeit“ demonstrieren darf, „die Kompetenz, einzuschätzen, ob Industrievorhaben realistisch sind“.
Die Zeiten mit mehr Bewerbern als Studienplätzen sind lange vorbei. Die Zahl der Erstsemester in dem Fach ist seit 2011 um 38 Prozent gesunken. „Wir haben ein massives Imageproblem“, sagt Michael Schanz vom Verband der Elektrotechnikbranche VDE. Insbesondere die Hochtalentierten, Abiturienten mit ausgezeichneten Noten in Mathematik und Physik, entschieden sich immer seltener für Ingenieurstudiengänge. Personaler sehnen sich nach Elektroingenieuren wie Lies.
Ihre Favoriten kommen 2023 aus München von der TU und aus Aachen von der FH. Das zeigt das aktuelle Hochschulranking der WirtschaftsWoche. Die Employer-Branding-Beratung Universum befragte dafür etwa 500 Personalverantwortliche von Unternehmen mit zehn bis zu Tausenden Beschäftigten, wo sie ihre Mitarbeiter am liebsten rekrutieren – und worauf sie dabei achten.
27,4 Prozent der Personaler gaben in der Befragung an, ihre Absolventinnen und Absolventen am liebsten an der TU München zu rekrutieren. Auf dem zweiten Platz folgt die TU Berlin (26,8 Prozent) und dahinter die RWTH Aachen (25 Prozent), die im Vergleich zum Vorjahr um 3,5 Prozentpunkte verliert und den Spitzenplatz abgibt.
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Bei den FHs ist der Abstand größer, wenn auch etwas kleiner als noch 2022: 16,5 Prozent der Personaler schwören auf Abgänger der FH Aachen. Dahinter folgen die Berliner Hochschule für Technik (14,3 Prozent) und die TH Köln (12,8 Prozent). Die größte Fachhochschule Deutschlands verbessert sich damit in der Elektrotechnik um zwei Ränge und 1,2 Prozentpunkte.
RWTH Aachen bietet Schnuppersemester
Den größten Satz nach oben macht in diesem Jahr die TU Dresden. Sie springt vom siebten auf den fünften Platz, mit nun 19 Prozent Zustimmung. Überhaupt liegt die sächsische Hauptstadt hoch im Kurs der Personaler. Die Dresdener Fachhochschule HTW verbessert sich von 9,1 auf 11,6 Prozent. Die vollständigen Ergebnisse des Rankings finden Sie hier.
Abweichungen gibt es von Jahr zu Jahr immer wieder. So lieferten sich TU München und RWTH Aachen über viele Befragungen hinweg ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Doch die TU Berlin wurde in den vergangenen Jahren kontinuierlich beliebter. Gemein haben sie alle: Das Fach Elektrotechnik gehört nicht gerade zu den heißesten Themen auf dem Schulhof, zu den beliebtesten Antwortmöglichkeiten auf die Frage: Was will ich eigentlich studieren?
Martina Dahm, Geschäftsführerin der Fakultät für Elektrotechnik an der RWTH, zählt pro Jahr rund 800 Erstsemester in den Bachelor-Studiengängen. Etwa 60 Prozent machen am Ende auch einen Abschluss. Damit liegt sie noch ganz gut: Über alle MINT-Fächer verteilt liegt die Abbrecherquote deutschlandweit noch ein paar Prozentpunkte höher.
„Diejenigen, die den Weg zu uns noch finden, versuchen wir bei der Stange zu halten“, sagt Dahm. Aber viele hätten falsche Vorstellungen oder unterschätzten etwa den Anteil von Mathe und Naturwissenschaften. Abiturienten brächten seltener die Voraussetzungen aus der Schule mit, die für die Uni nötig seien. Um Enttäuschungen zu vermeiden und klarer zu machen, was Elektrotechnik eigentlich beinhaltet, bietet die RWTH gemeinsam mit der FH Aachen ein Schnuppersemester vor dem eigentlichen Studienbeginn, in dem Interessierte für sich herausfinden können, ob ihnen die Uni oder die FH mehr liegt – und ob die Elektrotechnik überhaupt etwas für sie ist.
Unis müssen Werbung für sich machen
Dahm ist selbst klar, dass das nicht reicht. Unis müssen, wie Unternehmen auch, Werbung für sich machen, der nachrückenden Generation zeigen, was sie zu bieten haben. Dahms Fakultät unterhält einen Instagram-Account, hält von TikTok aber noch Abstand. Sie ist mit Social-Media-Persönlichkeiten, die Wissenschaft generell oder Elektrotechnik im Detail alltags- und vor allem onlinetauglich machen, auf Instagram vernetzt, arbeitet aber noch nicht aktiv mit solchen Influencern zusammen. Dabei können die als Mittler fungieren, die anschaulich und altersgerecht darüber sprechen, was man als Elektroingenieur konkret zum Bau von Solardächern oder einem klimaschonenderen Verkehr beisteuert.
Sichtbarkeit im Alltäglichen, losgelöst von Schule und Uni, ist für Dahm ein Schlüssel, um Interesse an dem Fach zu wecken und dessen Nutzen zu veranschaulichen. In chinesischen Serien stelle sie fest: „Da kommen Ingenieure, Informatikerinnen und Raumfahrttechniker häufiger vor. Nicht nur in Science-Fiction, sondern auch in Liebesschnulzen.“
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