Hochschulzugang Vom Meister zum Master

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Drei Jahre Wartezeit

Manfred Wannöffel kennt diese Zahlen, aber im Gegensatz zu den meisten anderen hat er nicht nur Vermutungen, sondern auch Indizien, wieso sich an ihnen bisher so wenig ändert. Wannöffel arbeitet an der Ruhr-Universität Bochum, und er hat die erste Befragung in der Gruppe der Studierenden ohne Abitur gemacht. Die Gruppe war lange so klein, dass „ihre Interessen lange Zeit einfach ignoriert wurden", sagt Wannöffel. Er sprach mit allen Betroffenen an der Universität mit ihren 34000 Studenten, es waren 30. Die Studierenden ohne Abitur sind demnach vor allem eines nicht: klassische Studenten. Diese haben vor Beginn des Studiums nichts oder sehr wenig verdient, beruflich Erfahrene verfügen meist über ein gesichertes Einkommen. Studenten nutzen die Universität oft, um von zu Hause wegzukommen. Berufstätige wollen ihren Job behalten und deshalb nah an der Heimat studieren. Sie wollen abends lernen und am Wochenende oder nur von zu Hause. Mit anderen Worten: Sie wollen genau das, was die Institution Uni nicht ist. Und in vielen Fällen auch nicht sein will.

Wer kein Abitur hat, der muss sich an der Universität deshalb ganz hinten anstellen. So stellte Wannöffel fest, dass relativ viele beruflich Qualifizierte Interesse an einem Medizinstudium hatten. Mit Ausbildungen in Pflegeberufen brachten sie zudem ein hohes Vorwissen mit. Einen Studienplatz im Traumfach konnte dennoch keiner von ihnen ergattern: Die Universität wertete ihre Vorkenntnisse unabhängig von Ausbildungsnoten pauschal mit der Note 4,0. Das bedeutet mindestens drei Jahre Wartezeit.

Neue Strukturen

Doch nicht überall wird mit der neuen Kundschaft rüde umgegangen. Schon jetzt bieten Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz die Möglichkeit, in einzelnen Fächern vom Meister in den Masterkurs einzusteigen. Auf der anderen Seite stehen Entwicklungen wie in Baden-Württemberg, wo sich die Berufsakademien, bisher für die Meisterausbildung zuständig, zur "Dualen Hochschule" zusammengeschlossen haben, Bachelor und Master kann man hier studieren. Es sind erste Schritte in Richtung einer neuen Institution, auf die Bildungsaufsteiger Dobischat sich freut: "In zehn Jahren wird die Universität bunter sein", prophezeit er, "es wird Unterricht am Abend und am Wochenende geben, in den Kursen werden 40-jährige Handwerksmeister neben 17-jährigen G8-Abiturienten sitzen."

Bildungsforscherin Nickel steht dieser Entwicklung durchaus positiv gegenüber. Aber: "Ich kann nicht verstehen, warum diese Debatte hauptsächlich von Lobbyisten geführt wird, so grundlegend wie die Folgen sein werden." Denn ein Teil des Erfolgsrezepts des deutschen Ausbildungssystems war stets die Separation: So hat sich ein eigener Korpsgeist in der beruflichen Bildung entwickelt, der sein Selbstbewusstsein stets auch daraus schöpfte, nicht nur der minderwertige Ableger einer akademischen Elite zu sein. Wird jedoch aus gegenseitiger Anerkennung Verschmelzung, dann könnte das eine der beiden Säulen ihre Identität kosten. Und ein falsch verstandenes Kopenhagen würde im schlimmsten Fall zu dem, was Bologna für viele ist. Ein Schimpfwort.

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