
Die Rituale vor dem Schlafengehen wollen seit frühen Kindestagen eingeübt sein. Ein Grundschulkind sollte bereits gelernt haben, dass vor dem Schlafen die Zähne geputzt werden. Dass die Eltern ihrem Kind am Bett etwas vorlesen, oder gemeinsam beten, ist dagegen nicht immer geläufig.
Die zwanzig Minuten Lektüre aus Grimms Märchen oder Prinzessin Lillifee können aber langfristig ausschlaggebend sein – für die Fähigkeiten eines Kindes bei der Lektüre von Büchern und Texten.
Die IGLU-Studie, die seit 2001 alle fünf Jahre durchgeführt wird, hat nun zum dritten Mal die Kompetenz deutscher Grundschulkinder bei der Lektüre und bei Mathematik und Naturwissenschaften geprüft. Demnach liegen die Leistungen beim Rechnen und Lesen gemessen am internationalen Durchschnitt im oberen Drittel.
"Wir haben unsere hohe Position halten können", sagte der Leiter des Instituts für Schulentwicklungsforschung der Technischen Universität Dortmund, Wilfried Bos, bei der Vorstellung der Ergebnisse von Schülervergleichsstudien am Dienstag in Berlin. Die Tests für die IGLU- und TIMMS-Untersuchungen fanden im Frühsommer 2011 in allen 16 Bundesländern statt. Rund 4.600 Schüler an 200 Grund- und Förderschulen wurden getestet. An der IGLU-Studie nahmen 45 Staaten teil.
Probleme in der Grundschule reduzieren Erfolge später
In der EU liegen Länder wie Finnland, Dänemark, Irland und England liegen vor Deutschland, im internationalen Bereich sind Hongkong, Russland, und Singapur besser. Bos sagte, Deutschland habe ähnlich gut abgeschnitten wie bei vergleichbaren Studien im Jahr 2001.
Der Anteil der Kinder, die erhebliche Leseschwierigkeiten haben, liegt bei 15,4 Prozent. Damit erreicht jedes sechste Kind ein nicht ausreichendes Kompetenzniveau beim Lesen. Ähnliche Ergebnisse hat die TIMSS-Untersuchung, bei der es um Mathematik und Naturwissenschaften geht, zu Tage gefördert: 19,3 Prozent der deutschen Schüler bleibt unter einem durchschnittlichem Niveau beim Erlernen von mathematischen Wissen und Fähigkeiten.
Die Defizite dieser Gruppe entwickeln sich nach Angaben der Studie langfristig zu einem Hindernis: Kinder mit Leseschwäche und Matheproblemen haben Schwierigkeiten beim späteren Lernen in der Sekundarstufe.
Nur jedes zehnte Kind an der Spitze





Deutsche Schüler, die eine hohe Lesekompetenz aufweisen, machen lediglich einen Anteil von 9,5 Prozent aus; gute Mathematikkenntnisse haben nur 5,2 Prozent der Schüler. Zum Vergleich: In Russland und Singapur haben 19,3 beziehungsweise 24,4 Prozent der Schüler gute Lesekenntnisse . Der Stadtstaat Singapur ist auch in Mathematik an der Spitze: 42,9 Prozent der Schüler verfügen über ein fortgeschrittenes Leistungsniveau, bei dem die Kinder komplexe Probleme lösen und ihr Vorgehen erläutern können.
„Das veranlasst einen zur Sorge. Wir vergeuden unsere Talente“, sagte Bos zu diesem Unterschied. „Das gilt für Lesen, für Mathematik und für die Naturwissenschaften.“
Immer mehr Kinder lesen gerne und oft
20 Minuten Lesen am Bett machen den Unterschied: Der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Lesekompetenz besteht nach wie vor in Deutschland, er hat sich seit 2001 kaum verändert. Ein Beispiel: Ein Kind, das mehr als 100 Bücher besitzt, verfügt über ein Lernjahr mehr Lesekompetenz als ein Kind das weniger als 100 Bücher verfügt.
Auch bei deutschen Migrantenkindern ist die Lesekompetenz schwächer als bei ihren Altersgenossen, sie hat sich jedoch seit der letzten Erhebung 2006 nicht verschlechtert. Jedes dritte Kind das zuhause nicht oder wenig Deutsch spricht, erzielt nach wie vor Leistungen unterhalb des Durchschnittsniveaus. Dabei fanden die Tests nach Angaben von Wilfried Bos unter „erschwerten Bedingungen" statt: 2011 seien sechs Prozent mehr Kinder mit Migrationshintergrund in den Schulen gewesen. „Man kann schwerlich von Parallelgesellschaft sprechen“, sagte Bos in diesem Zusammenhang. „Es sind gerade 4 Prozent unserer Migranten, wo zuhause nie Deutsch gesprochen wird.“
Beim Lesen räumten die Wissenschaftler zudem mit Vorurteilen auf. Denn immer mehr Kinder lesen gerne und oft - ungeachtet aller Warnungen vor einer verkümmernden Lesekultur wegen Fernsehen und Internet. Nie außerhalb der Schule lesen nur noch 11 Prozent. „Unsere Kinder lesen viel, und sie lesen gerne“, sagte Bos. „Das ist eine große Leistung unserer Grundschulen und auch unserer Elternhäuser.“ Die Lesemotivation sei hoch.
Diese Motivation kann noch weiter gefördert werden. Nach Angaben der Lehrer, die in der Studie befragt wurden, liegt der Anteil der Schüler, die Bedarf nach Förderunterricht haben, bei 23,1 Prozent. Doch nur 10,7 Prozent der Schüler erhalten diesen Unterricht tatsächlich auch.
Ob es an den geringen Ausgaben liegt, die Deutschland jedes Jahr in die Bildung pumpt? In die primäre Bildung gibt der deutsche Staat nach Unesco-Angaben nur 0,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus – der EU-Schnitt liegt dagegen bei 1,2 Prozent. Insgesamt summieren sich die deutschen Bildungsausgaben auf 4,6 Prozent des BIPs.
Mit Material von dpa