Informatik-Studium Unis produzieren keine Digitalisierungs-Experten

Bei fast allen Jobs rund um die Digitalisierung übersteigt das Angebot der Unternehmen die Nachfrage der Jobsuchenden. Hinken die Unis mit der Ausbildung hinterher oder sind die Anforderungen der Unternehmen zu hoch?

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Die beliebtesten Arbeitgeber der Informatiker
Der Vorstandsvorsitzende der ProSiebenSat.1 Media AG, Thomas Ebeling, Quelle: dpa
Amazon.com fulfillment center in DuPont, Wash Quelle: AP
Computerspieler sitzen auf der Gamescom Spielemesse in Köln vor Computerbildschirmen. Quelle: dpa
Die Zentrale der Fraunhofer-Gesellschaft Quelle: dpa
Flugzeuge der Lufthansa stehen am frühen Morgen des 19.03.2015 am Flughafen in Frankfurt am Main (Hessen) auf dem Vorfeld am Gate. Quelle: dpa
Die Einfahrt zum Gelände des Bundesnachrichtendienst (BND) Quelle: dpa
Ein Schild mit einem Volkswagen Logo Quelle: dpa

Die Digitalisierung ist auf dem Arbeitsmarkt angekommen: Unternehmen aus allen Branchen suchen technikaffine junge Talente, die ihnen helfen, ihr Unternehmen für den Markt 2.0 und darüber hinaus fit zu machen. Nur: Die Berufseinsteiger wollen offenbar lieber weiterhin Arzt, Anwalt oder Pilot werden, Softwareentwickler scheint trotz Digitalisierung ein Job für Nerds zu sein.
„In vielen der Positionen gibt es einen Mangel an qualifizierten Bewerbern“, bestätigt Frank Hensgens, Deutschland-Chef der Jobsuchmaschine Indeed. Dort habe man schon lange festgestellt, dass Unternehmen nach Experten aus dem IT-Bereich suchen, es aber kaum Bewerber gibt, die nach Stellen aus dem IT-Sektor suchen.

Dekra-Arbeitsmarkt-Report: Das sind die meist gesuchten Jobs 2015

Er sagt: „Wir beobachten beispielsweise bei Positionen in den Bereichen “Embedded Software” und “Big Data“, dass die Jobangebote auf unserer Seite das Interesse von Jobsuchenden deutlich übersteigen. Das kann daran liegen, dass Technik nutzen und mit Technik arbeiten zwei Paar Schuhe sind. Ein anderer Grund mag die Geschwindigkeit sein, mit der sich Anforderungen an Berufsgruppen ändern, aber auch ganz neue Jobs entstehen.

Big Data Scientist

Das bestätigt auch eine Umfrage des IT-Beratungsunternehmens Avanade unter IT-Entscheidungsträger aus sieben Ländern – darunter 126 aus Deutschland – zum Thema Digital Workplace. 91 Prozent der Befragten gehen demnach davon aus, dass die heutigen Teenager Jobs mit dem Schwerpunkt Data und Analytics übernehmen werden, die es heute noch gar nicht gibt. Das stellt den akademischen Ausbildungsbetrieb vor Herausforderungen: Wer heute ein IT-Studium beginnt, dessen Wissen ist in drei Jahren völlig veraltet. Entsprechend sagen Nutzer von Stack Overflow, einem Internetforum rund um das Thema Softwareentwicklung, dass ein IT-Studium ohne entsprechendes Selbststudium nicht den nötigen Erfolg haben wird.

Ohne Selbststudium klappt es nicht

Für WirtschaftsWoche Online befragte Stack Overflow stichprobenartig Studenten der Fachrichtungen Wirtschaftsinformatik, Wirtschaftsingenieurwissenschaften, Informatik, Medieninformatik, Bioinformatik, Mediendesign, Computer Engineering, Technische Informatik, Energie und Automatisierungssysteme, Elektrotechnik sowie Medienwirtschaft, ob sie glauben, dass ein Studium beziehungsweise eine duale Ausbildung die schnellen Entwicklungsprozesse im IT-Sektor inhaltlich abfangen könnte.

52,4 Prozent sagten, dass an Universitäten nur gelegentlich auf neue Entwicklungen hingewiesen werde, man sich das entsprechende Wissen aber selbst aneignen müsse. Nur 26 Prozent sagten, dass die Universitäten einen guten Einblick in aktuelle Entwicklungen hätten und diese auch in die Lehrinhalte einfließen ließen. Das deckt sich mit der kürzlich erschienen Umfrage unicensus kompakt, nachdem ein Studium zwar vieles kann, nur eben nicht auf den Beruf vorbereiten.

Unternehmen müssen für Quereinsteiger offen sein


„Ich habe den Eindruck, dass die Uni fachlich vor allem eine Basis legt, auf die sich später im Beruf aufbauen lässt“, sagt Nora Berg. Sie macht derzeit ihren Master in Informatik an der HAW Hamburg und arbeitet dort als wissenschaftliche Mitarbeiterin.
So habe man im Berufsalltag mit einer großen Anzahl an speziellen Frameworks zu tun, die abhängig vom Projekt eingesetzt werden. „Die Uni lehrt uns daher abstrakt das Wissen, wozu Frameworks da sind, wie man mit einem Framework umgeht, wie man sich darin einarbeitet, und worauf man achten muss, aber nicht alle Frameworks einzeln - auch wenn wir natürlich mal eins nutzen zum Beispiel Ruby on Rails. Ähnlich verhält sich das dann auch bei Programmiersprachen, Versionsverwaltungstools und anderem Wissen.“

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Während 53,5 Prozent der von Stack Overflow befragten Studenten angaben, dass der von den Unis vermittelte Stoff veraltet oder nicht ausreichend sei, so dass sie sich autodidaktisch auf den Beruf vorbereiten müssen, sieht Berg die Studenten in der Pflicht. „Insgesamt denke ich, dass die Uni die Grundlagen gut vermitteln kann, und es liegt später an einem selber, sich zu spezialisieren und mit der technischen Entwicklung mitzugehen.“ Das sei in Fächern wie Medizin oder Jura ja schließlich nicht anders.
„Für meinen Job, der aber direkt mit meinem Masterthema verknüpft ist, habe ich mir zum Beispiel zusätzliches Wissen über Graphentheorie und Netzwerke angeeignet, das über den Vorlesungsstoff hinausgeht“, sagt sie.

Dieses Extrawissen erwerben die meisten (angehenden) IT-Profis laut Umfrage online (43,9 Prozent), über ihre eigenen Netzwerke, Messen oder IT-Events (26,67 Prozent) oder in klassischen Büchern (20,59 Prozent). Nur rund elf Prozent bilden sich in den Universitäten weiter. Entsprechend sagen nur rund 20 Prozent, dass ein IT-Studium zwingend notwendig ist, um im Beruf Fuß zu fassen.

Dass deshalb eine neue Offenheit der Unternehmen gegenüber Quereinsteigern notwendig ist, bestätigt auch eine Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung, wonach zunehmend Fachkräfte in artverwandten Bereichen arbeiten – ohne ein entsprechendes Zeugnis.

„Diese Art der Umorientierung und Qualifikation wird ein wichtiger Bestandteil der Digitalisierung sein. Bereits jetzt arbeitet weltweit nur einer von vier Software-Spezialisten für ein Software-Unternehmen, in den USA arbeiten sogar nur sieben Prozent der Entwickler in Software-Unternehmen“, so Hensgens von Indeed.


Wer fitte Entwickler für die Digitalisierung des eigenen Unternehmens sucht, muss also entweder die Erwartung über Board werfen, dass der für ihn passende Spezialist fertig von der Uni kommt, oder er muss auch Leuten eine Chance geben, auf deren Zeugnis nicht „Informatik-Profi“ steht. Dieses Abrücken vom Altbewährtem – glatter Lebenslauf, Einser-Abschluss - erfordert Mut. Aber dieser Mut lohnt sich bekanntlich schon, seit dem der erste Mensch auf die Idee kam, von seinem Baum herab zu steigen.

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