Informatik-Studium Unis produzieren keine Digitalisierungs-Experten

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Unternehmen müssen für Quereinsteiger offen sein


„Ich habe den Eindruck, dass die Uni fachlich vor allem eine Basis legt, auf die sich später im Beruf aufbauen lässt“, sagt Nora Berg. Sie macht derzeit ihren Master in Informatik an der HAW Hamburg und arbeitet dort als wissenschaftliche Mitarbeiterin.
So habe man im Berufsalltag mit einer großen Anzahl an speziellen Frameworks zu tun, die abhängig vom Projekt eingesetzt werden. „Die Uni lehrt uns daher abstrakt das Wissen, wozu Frameworks da sind, wie man mit einem Framework umgeht, wie man sich darin einarbeitet, und worauf man achten muss, aber nicht alle Frameworks einzeln - auch wenn wir natürlich mal eins nutzen zum Beispiel Ruby on Rails. Ähnlich verhält sich das dann auch bei Programmiersprachen, Versionsverwaltungstools und anderem Wissen.“

Diese Tech-Jobs werden im Jahr 2020 gesucht

Während 53,5 Prozent der von Stack Overflow befragten Studenten angaben, dass der von den Unis vermittelte Stoff veraltet oder nicht ausreichend sei, so dass sie sich autodidaktisch auf den Beruf vorbereiten müssen, sieht Berg die Studenten in der Pflicht. „Insgesamt denke ich, dass die Uni die Grundlagen gut vermitteln kann, und es liegt später an einem selber, sich zu spezialisieren und mit der technischen Entwicklung mitzugehen.“ Das sei in Fächern wie Medizin oder Jura ja schließlich nicht anders.
„Für meinen Job, der aber direkt mit meinem Masterthema verknüpft ist, habe ich mir zum Beispiel zusätzliches Wissen über Graphentheorie und Netzwerke angeeignet, das über den Vorlesungsstoff hinausgeht“, sagt sie.

Dieses Extrawissen erwerben die meisten (angehenden) IT-Profis laut Umfrage online (43,9 Prozent), über ihre eigenen Netzwerke, Messen oder IT-Events (26,67 Prozent) oder in klassischen Büchern (20,59 Prozent). Nur rund elf Prozent bilden sich in den Universitäten weiter. Entsprechend sagen nur rund 20 Prozent, dass ein IT-Studium zwingend notwendig ist, um im Beruf Fuß zu fassen.

Dass deshalb eine neue Offenheit der Unternehmen gegenüber Quereinsteigern notwendig ist, bestätigt auch eine Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung, wonach zunehmend Fachkräfte in artverwandten Bereichen arbeiten – ohne ein entsprechendes Zeugnis.

„Diese Art der Umorientierung und Qualifikation wird ein wichtiger Bestandteil der Digitalisierung sein. Bereits jetzt arbeitet weltweit nur einer von vier Software-Spezialisten für ein Software-Unternehmen, in den USA arbeiten sogar nur sieben Prozent der Entwickler in Software-Unternehmen“, so Hensgens von Indeed.


Wer fitte Entwickler für die Digitalisierung des eigenen Unternehmens sucht, muss also entweder die Erwartung über Board werfen, dass der für ihn passende Spezialist fertig von der Uni kommt, oder er muss auch Leuten eine Chance geben, auf deren Zeugnis nicht „Informatik-Profi“ steht. Dieses Abrücken vom Altbewährtem – glatter Lebenslauf, Einser-Abschluss - erfordert Mut. Aber dieser Mut lohnt sich bekanntlich schon, seit dem der erste Mensch auf die Idee kam, von seinem Baum herab zu steigen.

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