Intel und die Uni Magdeburg „Intel hat den Kosmos einer deutschen Uni sehr gut begriffen“

Hörsaal an der Magdeburger Uni: Das Aushängeschild ist die Medizintechnik. Für Intel plant die Hochschule, ihr Portfolio auszubauen. Quelle: PR

Die Ansiedlung von Intel in Magdeburg ist für die Hochschullandschaft in Sachsen-Anhalt eine Chance. Jens Strackeljan, Rektor der Otto-von-Guericke-Universität, erklärt, wie er Studenten aus dem Westen überzeugen will, warum eine Hochschule einen Reinraum braucht – und was Intel von ihm wissen wollte.

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Der Chiphersteller Intel wird ab kommendem Jahr eine Fabrik in Sachsen-Anhalts Hauptstadt bauen. Geht sie wie geplant 2027 in Betrieb, benötigt der US-Konzern Tausende Fachkräfte. Einige davon sollen Jens Strackeljan und seine Kolleginnen von der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg ausbilden. Strackeljan wurde vor 20 Jahren in Technischer Mechanik habilitiert. Seit 2012 ist er Rektor. Zum Video-Interview mit der WirtschaftsWoche kommt er ein paar Minuten zu spät. Er hatte noch einen Termin, war die Tage zuvor im Ausland. Ihn sprechen zu können, erfordert mehr als eine Woche Vorlaufzeit – selbst wenn es um das Großprojekt geht, das auch der Magdeburger Uni einen Schub verpassen soll.

WirtschaftsWoche: Herr Strackeljan, wie locken Sie Abiturienten aus Bremen, Leverkusen oder Eichstätt nach Magdeburg?
Jens Strackeljan: Vor allem durch Alleinstellung im Studienprogramm. Für den ingenieurtechnischen Bereich ist uns das sehr gut in der Medizintechnik gelungen. In diesem Studiengang kommen 70 Prozent der Anfängerinnen und Anfänger nicht aus Sachsen-Anhalt. Besonders bemerkenswert: Der Frauenanteil liegt bei 40 Prozent.

Okay, aber geht es den meisten 18-Jährigen nicht eher um etwas anderes?
Ich kenne das selbst: Unser Sohn studiert Jura in Leipzig. Das könnte man auch gut woanders. Aber er hat nicht primär auf die Reputation der Uni geachtet. Leipzig als Stadt ist halt attraktiv.

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Was bieten Sie?
Wir haben ein Umfeld das junge Leute beeindruckt: Auf unserem Forschungscampus zeigen wir, wie spannend ein Studium sein kann. Davon gibt es, gefördert vom Bundesministerium, nur neun Stück in Deutschland. Wir machen da viel Bildgebung und arbeiten an innovativen Magnetresonanztomografen (MRT). In direkter Nachbarschaft hat sich eine Firma angesiedelt, die einen Säuglings-MRT entwickelt. Wenn wir also mehr als einen Hörsaal zeigen, motivieren wir auch Studieninteressierte aus Bremen oder Braunschweig.

Ihr Steckenpferd ist die Medizintechnik.
Es ist ein Schwerpunkt der Uni. Wir haben in der Medizintechnik viel auf eine Karte gesetzt, haben investiert, uns MRTs außerhalb der Uni-Klinik gekauft, damit die Ingenieure „basteln“ können. Durch die Firma mit den Säuglings-MRTs und anderen Start-ups bieten wir reale Jobmöglichkeiten. Wir haben aktuell 60 bis 70 Studienplätze. Dieses Niveau können wir auch halten – gegen den aktuellen Trend in den MINT-Fächern.

Wie hoch ist denn der Anteil derer, die von außerhalb kommen?
Fast zwei Drittel sind nicht aus Sachsen-Anhalt. Es gibt kaum ein Bundesland, das so viele Leute von außen anzieht.

Und wie viele bleiben?
Zwei Drittel verlassen das Land laut einer Umfrage der Uni Maastricht auch wieder. Das sind viele. Wenn man eine Kostenrechnung macht, sind es noch zu viele, weil unsere ingenieurtechnischen Studiengänge teuer sind. Wir können und müssen noch treffsicherer werden. Intel wird dabei ganz sicher helfen. Aber es ist natürlich in einem klassischen Studiengang wie Maschinenbau unglaublich schwer, sich gegen Braunschweig, Hannover, Berlin und Dresden durchzusetzen. Warum sollte ich aus Hannover kommen, um in Magdeburg Maschinenbau zu studieren?

Viele Absolventen gehen auch (zurück) in den Westen, weil sie dort besser verdienen. Denken Sie, dass Intel dem entgegenwirken kann?
Sicher, die Einstiegsgehälter sind in der Region noch niedriger, da gibt immer noch ein Ost-West-Gefälle. Aber die Hoffnung ist natürlich, dass Intel und die anderen Firmen, die kommen werden, die Lücke weiter schließen.

Wie wird sich Intel auf das Leben in und das Bild der Stadt Magdeburg auswirken?
Die Intel-Ansiedlung wird die Landeshauptstadt attraktiver und internationaler machen. Intel wird schon in der Anfangsphase viele Fachkräfte, auch aus dem Konzern, für den Bau der Fabrik nach Magdeburg holen. So ein Werk baut man nicht ohne Erfahrung auf. Die Verkehrsanbindungen, die Schullandschaft, das Kulturangebot – diese Bereiche beeinflusst so eine Ansiedlung natürlich.

Jens Strackeljan wurde vor 20 Jahren in Technischer Mechanik habilitiert. Seit 2012 ist er Rektor der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Quelle: Harald Krieg

Spüren Sie darüber hinaus schon einen Intel-Effekt?
Wir hatten in den vergangenen Monaten vermehrt Anfragen von Unternehmen – es kommt also etwas in Bewegung. Aber wir müssen aufpassen, dass wir unsere Studenten nicht doppelt und dreifach versprechen.

Wenn Intel nicht in fünf, sondern in zwei Jahren die Produktion aufnehmen würde – wären Sie bereit?
Die akademischen Fachkräfte, die man für den Start bräuchte, stünden momentan nicht zur Verfügung. Wir denken aber auch über die Rolle der Uni Magdeburg hinaus, denn die Fachkräftesicherung ist eine Aufgabe für das gesamte Land und fordert alle Hochschulen. Wir haben die Studiengänge, die Intel braucht, ja nicht exklusiv.

Welche Ausrüstung brauchen Sie, um für Intel interessant zu sein?
Ein stumpfes Stück Stahl ist nicht die Zukunft. Inzwischen brauchen smarte Technologien Sensoren. Die meisten von denen sind mit Chips ausgestattet und übermitteln direkt über 5G oder andere Kommunikationswege permanent Informationen. Solche Entwicklungsumgebungen haben wir an der Uni. Aber Intel braucht für die Produktion Reinraumatmosphäre.

Und Sie haben einen?
Ja, als einzige Uni im Bundesland. Aber der ist unglaublich teuer und wartungsintensiv. Darum wollten und konnten wir uns eine Ausbildung in unserem Reinraum auch nicht mehr leisten. Wir haben im Land kaum Jobchancen für diese Absolventinnen und Absolventen. Was macht es für einen Sinn, 15.000 Euro im Jahr für ein Hightech-Masterprogramm auszugeben, das nicht anschlussfähig an den regionalen Arbeitsmarkt ist? Mit Intel und den anderen Firmen werden wir diese Infrastruktur neu aufbauen.

Wie schnell geht das?
Der Reinraum würde theoretisch in vier Wochen wieder laufen können. Im kommenden Wintersemester könnten wir mit Studienprogrammen starten, 50 bis 80 junge Leute immatrikulieren und ihnen sagen: ‚Nach eurem Studium könnt ihr wahrscheinlich bei Intel arbeiten.‘ Aber das ist natürlich noch nicht die Größenordnung, die Intel benötigt.

Wie hat sich der Konzern konkret mit Ihnen auseinandergesetzt? Intel-Vertreter betonen stets, die Nähe zu den Unis mit starkem technischem Fokus und Einrichtungen wie dem Fraunhofer-Institut in Magdeburg seien ein wesentlicher Faktor gewesen.
Intel hat einen sehr klar definierten Kriterienkatalog. Das Thema Human Resources steht dabei erwartungsgemäß weit oben. Intel war bei der Entscheidung für Magdeburg sicher klar: In zwei Jahren befriedigen die Hochschulen die Nachfrage nicht. Aber für Intel war es eine Frage der Skalierbarkeit, also, ob wir grundsätzlich das Potenzial haben.

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Und? Haben Sie?
Ja. National hatte ich das schon beschrieben und mit unseren 3700 internationalen Studierenden haben wir das in der Vergangenheit bereits gezeigt. Wir haben gerade einen internationalen Studiengang für Industrial Engineering mit mehr als 100 Einschreibungen eingeführt und hätten deutlich mehr Studierende aufnehmen können. Intel möchte wissen, ob wir das auch in anderen Studiengängen hinbekämen und eine Bindung zwischen den Studierenden und dem Unternehmen herstellen könnten. Wir haben gut laufende Duale Studienprogramme, die hier hervorragend passen.

In den USA bekommen die Unis Geld von Unternehmen, Wissenschaft und Wirtschaft sind viel enger verflochten. Fürchten Sie eine Beeinflussung?
Es gibt in den USA natürlich eine viel direktere Finanzierung, auch von Campusinfrastruktur. Ein wenig mehr Investition von Unternehmen in Bildung, zum Beispiel über Stipendien, könnten wir aber auch vertragen. Und gegen projektbezogene Kooperationen spricht überhaupt nichts. Gleichzeitig muss aber die Grundfinanzierung der Uni ohne die Gefahr externer Einflüsse abgesichert sein. Intel hat den Kosmos einer deutschen Uni sehr gut begriffen und weiß um die Autonomie und die Befindlichkeiten, wenn es darum geht, als Unternehmen einen Fachbereich „zu kapern“. Wir werden so offen bleiben, dass wir eine gute Anschlussfähigkeit haben, aber die Uni wird an ihre Pforte nicht Intel-Uni schreiben.

Auch an Rennwagen tüfteln die Nachwuchsforscher. Quelle: PR

Seit wann sprechen Sie mit Intel?
In der ersten Runde im Oktober 2021 war alles noch sehr verschwiegen, als wir den Intel-Besuchern den Campus gezeigt haben. Wir haben einige Kollegen, die auf sehr hohem Niveau zum Thema Halbleiter arbeiten. Zum Glück waren auch Studenten da. Denn eine Präsenzuni in Coronazeiten kann einen erschreckenden Eindruck vermitteln.

Was wollte Intel konkret von Ihnen wissen?
Eine Frage war, ob wir unsere dualen Studienmodelle ausbauen und mit Intel verknüpfen können. Wir haben zum Beispiel den Studiengang Ingenieurinformatik, den ein großer Autohersteller pro Jahr mit rund 20 Studierenden bestückt und die er auch bezahlt. Das sind Stipendienmodelle, die eine Bindung herstellen, in denen Studierende ein Jahr länger studieren, aber in der Zeit auch ein Praktikum machen können – bei Intel in Magdeburg oder auch woanders.

Die Produktion soll erst 2027 beginnen. Kann sich der Konzern etwas vom Tesla-Fabrikbau im brandenburgischen Grünheide abschauen?
Das Tempo war schon beeindruckend und hatte Vorbildcharakter. Aber es gibt zwischen dem personengeführten Tesla und Intel einen großen Unterschied. Intel wird nicht auf eigenes Risiko und ohne Betriebsgenehmigung bauen. Elon Musk kann für sich entscheiden, einige Millionen in den Sand zu setzen und rückbauen zu müssen. Das kann Intel nicht.

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