Eltern in Deutschland sind unzufrieden mit dem Bildungssystem - beziehungsweise den 16 verschiedenen Bildungssystemen. 92 Prozent der Eltern in Deutschland wünschen sich einer Studie zufolge ein bundesweites Zentralabitur für ihre Kinder. Das gegenwärtige föderale System bewerteten sie als willkürlich und ungerecht, sagte Bildungsforscher Klaus-Jürgen Tillmann bei der Vorstellung einer repräsentativen Umfrage unter 3000 Vätern und Müttern. Den Eltern sei wichtig, dass schulische Leistungen in verschiedenen Bundesländern vergleichbar würden. Er sieht in diesem Umfrageergebnis eine Handlungsaufforderung für die Politik: "Wenn neun von zehn Eltern das länderspezifische Abitur als ungerecht und abschaffungswürdig ansehen, kann das in einem demokratischen Staat nicht ohne Reaktionen bleiben."
Andrea Spude, stellvertretende Vorsitzende des Bundeselternrats, fordert, das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern komplett aufzuheben: "Bund, Länder und Kommunen müssen gemeinsam die Verantwortung dafür übernehmen, dass Bildung und Ausbildung in ganz Deutschland unter gleichen Rahmenbedingungen stattfinden. Der Bildungserfolg eines Kindes darf nicht davon abhängen, in welchem Bundesland es aufwächst." Seit 2005 bekommen Abiturienten innerhalb eines Bundeslands mit Ausnahme von Rheinland-Pfalz zwar die gleichen Aufgaben, zwischen den Ländern aber gibt es weiterhin Unterschiede. Unter Bildungspolitikern ist die Einführung eines Zentralabiturs heftig umstritten.
Eltern gegen G8
Auch an G8 üben die Eltern weiterhin heftige Kritik: Wie bei der vorangegangenen Umfrage 2012 lehnt die Mehrheit der Eltern die auf acht Jahre verkürzte gymnasiale Schulzeit ab. Die Tatsache, dass in den vergangenen zwei Jahren immer mehr Gymnasialeltern selbst Erfahrungen mit G8 gemacht haben, habe die Akzeptanz des Turbo-Abis jedoch nicht erhöht, so Tillmann. Rund 80 Prozent würden ihr Kind lieber auf ein neunjähriges Gymnasium schicken. Gleichzeitig aber spiegele sich die häufig geäußerte Klage, die kürzere Schulzeit sorge für mehr Stress und Leistungsdruck, in der Studie kaum wider, sagte Tillmann. Sowohl in sogenannten G8- wie in G9-Bildungsgängen gehen Kinder nach Meinung ihrer Eltern gern zur Schule (86 beziehungsweise 89 Prozent). Nur wenige Mütter und Väter halten ihre Sprösslinge für überfordert - bei kürzerer Schullaufbahn neun Prozent, bei längerer fünf Prozent.
Nachholbedarf besteht der Studie zufolge vor allem beim Ganztagsangebot. „Der hohe Bedarf kann in keinem Bundesland gedeckt werden“, sagte Tillmann. 39 Prozent der Schüler besuchen den Daten zufolge eine Ganztagsschule, 70 Prozent der Eltern würden ihre Kinder gern in eine solche schicken. Vor allem bei der Hausaufgabenbetreuung und individueller Förderung müssten sich die Schulen aus Elternsicht aber noch verbessern. Besonders gute Noten bekommen Lehrer an Privatschulen. Eltern sehen sie als fachlich kompetenter und engagierter, lernschwache Schüler würden besser unterstützt, der Unterricht sei methodisch moderner. Insgesamt geht die Mehrheit der Mütter und Väter davon aus, dass Kinder an Privatschulen besser gefördert werden. Trotzdem sehen viele Eltern solche Schulen kritisch - unter anderem weil sie die soziale Ungleichheit im Bildungswesen verschärften.
Sozialer Ausgleich statt Elitedenken
Trotz der guten Bewertung stehen viele Eltern der größer werdenden Zahl an Privatschulen durchaus kritisch gegenüber. Nur die Hälfte aller Befragten hält solche Schulen für eine sinnvolle Bereicherung des Bildungsangebots. Die Gründe liegen auf der Hand: Gut zwei Drittel der Eltern, deren Kind eine öffentliche Schule besucht, machen Privatschulen für eine Verschärfung der Ungleichheit im Schulsystem verantwortlich. Dies meinen auch 41 Prozent der Eltern, deren Kind eine Privatschule besucht. Dass wohlhabende Eltern ihre Kinder über den Besuch einer Privatschule von anderen abschotten, befürchten sogar über drei Viertel der Eltern, deren Kind auf eine öffentliche Schule geht - aber auch 37 Prozent der Eltern von Privatschülern.
Was Schüler in der neunten Klasse können sollen
Es ging um die Leistungen in Mathematik und Naturwissenschaften (Biologie, Chemie, Physik) – und zwar über alle Schulformen hinweg. In Mathematik wurden sechs Kompetenzformen aus dem gesamten Spektrum mathematischen Arbeitens untersucht, wie „Probleme mathematisch lösen“ aber auch „Raum und Form“ sowie „Daten und Zufall“. In den Naturwissenschaften ging es vor allem um Grundbildung, aber auch um fachübergreifendes Problemlösen.
Die Aufgaben wurden auf der Grundlage der von den Kultusministern für alle Bundesländern verbindlich eingeführten Bildungsstandards für diese Fächer entwickelt – unter Mitwirkung von Schulpraktikern. Bildungsstandards beschreiben, was ein Schüler am Ende einer Jahrgangsstufe können soll. Sie gelten für Lehrer als pädagogische Zielvorgabe und haben damit die zuvor in allen Bundesländern unterschiedlichen Lehrpläne abgelöst.
Die Untersuchung fand vormittags in der Schule statt und dauerte jeweils etwa dreieinhalb Zeitstunden (inklusive Pausen). Hinzu kamen anschließend Interviews mit Schülern, Fachlehrern und Schulleiter über die Lernbedingungen.
Der „Klassiker“ ist die weltweite PISA-Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Des weiteren gibt es noch die internationale IGLU-Grundschulstudie und die internationale TIMSS-Untersuchung mit den Schwerpunkten Mathematik und Naturwissenschaften – sowohl für die Grundschule als auch für die achten Klassen. Allerdings haben die Kultusminister bei PISA und IGLU die zuvor üblichen Bundesländervergleiche gestoppt. Deutschland macht zwar bei den internationalen Studien weiter mit, aber nur noch mit einer kleineren nationalen Stichprobe – etwa 5000. Dies ermöglicht kein Bundesländer-Ranking.
Darüber lässt sich nur spekulieren: Die Kultusminister können die politisch brisanten Bundesländervergleiche auf der Basis ihrer eigenen vereinbarten Bildungsstandards sicherlich besser steuern. Auch das IQB arbeitet im Auftrag der Kultusministerkonferenz. Zuvor war es vor allem mit den internationalen PISA-Forschern der OECD wegen der ungünstigen deutschen Chancengleichheitswerte und der Schulstrukturfrage immer wieder zu Konflikten bei der Interpretation von Daten gekommen.
Überraschend ist, dass neben allen ostdeutschen Ländern diesmal aus dem Westen nur Bayern und Rheinland-Pfalz durchgängig gut abschneiden. Mathematik und Naturwissenschaften waren eine Domäne der DDR-Schulen. Auf die Fachlehrerausbildung legte man hier besonderen Wert. Auch spielen die Naturwissenschaften auf den Stundentafeln der ostdeutschen Schulen heute noch eine größere Rolle als im Westen.
Die Studie belegt erneut die erschreckend hohe Abhängigkeit von Bildungserfolg und sozialer Herkunft in Deutschland. Neuntklässler aus der Oberschicht haben gegenüber Gleichaltrigen aus bildungsfernen Schichten einen Lernvorsprung in Mathematik von fast drei Schuljahren.
Bildungsexperten raten seit Jahren, nicht ganze Bundesländer miteinander zu vergleichen, sondern besser Regionen mit ähnlichen Wirtschaftsstrukturen und Problemlagen. Also etwa Berlin mit dem Ruhrgebiet, wegen der hohen Ausländerquoten unter den Schülern, oder ländliche Gebiete im Osten Deutschlands mit denen im Westen, wegen Abwanderung und Bevölkerungsrückgang.
Mit 84 Prozent beziehungsweise 83 Prozent hält eine deutliche Mehrheit der Eltern es für "sehr wichtig", dass alle Kinder in Deutschland die gleichen Bildungschancen haben und dass Wert auf soziales Verhalten gelegt wird. Das widerspricht dem Gedanken der Privatschulen. 81 Prozent wünschen sich außerdem, dass lernschwache Schüler besser gefördert werden. Fast 73 Prozent fordern, dass in allen Bundesländern die gleichen Bedingungen herrschen. Der Leistungsgedanke sollte dagegen nur für die wenigsten Eltern im Vordergrund stehen.
Lediglich 27 Prozent halten dies für ein "sehr wichtiges" Ziel der Bildungspolitik. Aber: Von der aktuellen Praxis sind die Eltern massiv enttäuscht. Gerade die Ziele, die ihnen am wichtigsten sind, sehen sie am wenigsten realisiert. Gleiche Bedingungen in den verschiedenen Bundesländern kann nur eine Minderheit (16 Prozent) erkennen. Lediglich ein knappes Drittel (29 Prozent) meint, dass Chancengleichheit für alle Kinder herrscht und dass lernschwache Schüler ausreichend gefördert werden (32 Prozent). Das wenig gewünschte Leistungsprinzip dagegen halten 72 Prozent der Eltern an deutschen Schulen für überpräsent.
Gegen Früheinschulung und frühen Übergang
Außerdem stehen die Eltern dem Leistungsdruck - insbesondere bei Schulanfängern - kritisch gegenüber: 86 Prozent lehnen die Früheinschulung von Kindern vor dem 6. Lebensjahr ab. In immer mehr Bundesländern halten Eltern ihre Kinder noch ein Jahr zurück und lassen sie später einschulen. Und das mit gutem Grund: So haben Forscher vom Institut für Psychologie der Uni Frankfurt herausgefunden, dass etwa jedes siebte Kind, das vor dem sechsten Geburtstag eingeschult wird, noch während der Grundschule eine Klasse wiederholen muss. "Ein Monat Unterschied im Geburtstag kann zu fast einem Jahr Unterschied im Einschulungsalter führen", heißt es auch in einer Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung. Acht von zehn Eltern machen sich außerdem dafür stark, dass die Vorschulzeit frei von Leistungsdruck bleibt und verteidigen damit die kindlichen Spielräume.
Auch bei der Frage nach der Dauer der Grundschule beziehen die Eltern eindeutig Stellung: Nur 24 Prozent befürworten die gegenwärtig vorherrschende Praxis der vierjährigen Grundschule. Drei Viertel der Eltern möchten den Kindern mehr Zeit für das gemeinsame Lernen einräumen: 58 Prozent sprechen sich für eine sechsjährige Grundschule aus, 17 Prozent wollen den Übergang in die Sekundarstufe sogar erst nach der 9. Klasse.
Eltern zwischen Mitwirkung und Überforderung
Erstaunlich hoch ist die Zustimmung der Eltern gegenüber der Inklusion behinderter Kinder in Regelschulen. 88 Prozent sind davon überzeugt, dass die nicht behinderten Kinder durch das gemeinsame Lernen in ihrem Sozialverhalten profitieren. Allerdings befürchtet auch knapp die Hälfte, dass die nicht behinderten Kinder in ihrem fachlichen Lernen gebremst werden. Entscheidend für die Zustimmung zur inklusiven Beschulung behinderter Kinder ist für die Eltern die Art der Behinderung: Bei körperlich beeinträchtigten Kindern und Kindern mit Lernschwierigkeiten sind viele Eltern für gemeinsamen Unterricht. Bei Kindern mit geistigen Behinderungen und solchen mit Verhaltensauffälligkeiten sind die Eltern skeptischer: Nur 45 Prozent können sich hier eine gemeinsame Beschulung vorstellen.
Dass Kinder mit geistigen Beeinträchtigungen und mit Lernschwierigkeiten auch in Gymnasialklassen integriert werden sollten, halten lediglich 30 Prozent der Eltern für sinnvoll. "Positiv ist, dass Eltern, die bereits über Erfahrungen mit Inklusion verfügen, ihr etwas aufgeschlossener gegenüberstehen", so die Bildungsforscherin Dagmar Killus von der Universität Hamburg bei der Vorstellung der JAKO-O Bildungsstudie.
Doch egal, ob behindert oder nicht: Ohne die Eltern geht laut der Studie nichts. Viele Schüler werden von ihren Eltern zu Hause massiv unterstützt: Zwei Drittel erarbeiten mit ihrem Kind den Lernstoff, rund drei Viertel kontrollieren Hausaufgaben oder helfen gezielt vor Klassenarbeiten und Referaten. 89 Prozent der Eltern geben an, dass sie sich verpflichtet fühlen, sich intensiv um die schulischen Leistungen ihrer Kinder zu kümmern.
62 Prozent beklagen, dass sie dabei vieles von dem leisten müssen, was sie eigentlich als Aufgabe der Schule sehen. "Angesichts anhaltender Klagen über Rückzugstendenzen der Eltern sowie mangelndem Interesse an schulischen Belangen sind diese Ergebnisse positiv zu bewerten", sagte Bildungsexpertin Killus. Die intensive Unterstützung durch die Eltern müsse aber auch kritisch gesehen werden. Besonders wenn sie von der Schule vorausgesetzt oder sogar eingefordert werde. "Eltern mit einem niedrigeren Bildungsabschluss können ihre Kinder wahrscheinlich weniger gut unterstützen als Eltern mit einem höheren Abschluss. Ungleiche familiäre Voraussetzungen setzen sich damit in der Schule fort. Mit Chancengleichheit hat das wenig zu tun", so Killus.