MBA Business Schools in der Sinnkrise

Ein MBA-Titel galt einst als Turbo für erfolgreiche Manager-Karrieren, doch zu viele Absolventen haben in der Finanzkrise versagt. Kritiker fordern deshalb den Wandel der Ausbildung: mehr Praxis, mehr Bildung – und weniger Fallstudien.

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Absolventen der Harvard Quelle: AP

Schweigen. Manchmal beginnt Birger Priddat so seine Seminare. Dann wartet der Professor einfach, eine Minute, zwei. Viel länger dauert es selten, dann entsteht Unruhe unter seinen BWL- und VWL-Studenten an der Universität Witten/Herdecke. Irritierte Blicke gehen durch die Reihen, nervöses Lachen. Was ist denn nun mit der Einführung in die Politische Ökonomie, fragt endlich einer in die Stille. „Tja, was ist das, Ökonomie?“, fragt Priddat dann in die verdutzten Gesichter zurück. Was er sagen will: Denken Sie selbst, fragen Sie selbst. Die Diskussion hat begonnen.

Manchmal wird Priddat aber auch einfach nur zornig. Besonders dann, wenn es um das Thema MBA geht. Denn seine Meinung zu Manager-Ausbildung ist eine andere, als sie an vielen Business Schools weltweit bislang stets vertreten wurde. Und das sagt er auch. Ende des vergangenen Jahres wurde Priddat zwar als Präsident der Uni Witten geschasst, den Lehrstuhl für Politische Ökonomie leitet er aber weiterhin. Seine Leidenschaft ist ihm geblieben.

Gierige Absolventen ohne moralischen Kompass

Vor Kurzem hat Priddat seine Kritik am MBA in einem Gastbeitrag für das Wirtschaftsmagazin „Brand Eins“ veröffentlicht. Dort schrieb er mit Blick auf die Finanzkrise, dass vielen Führungskräften das Verantwortungsgefühl fehle, die richtige Haltung und die richtigen Ziele. Dass unter den Managern Inkompetenz und Verantwortungslosigkeit herrsche. „Ich habe einige positive Reaktionen darauf bekommen“, sagt Priddat heute, „Banker waren nicht dabei.“ 

Kritik am MBA ist keine Sache von wirtschaftsfeindlichen Weltverbesserern mehr – die Schulen selbst stellen ihre Ausbildung infrage. „Gierige Absolventen ohne moralischen Kompass“ hätten sie hervorgebracht, bemängelt etwa Michael Czinkota, Professor an der Graduate School of Business der Georgetown-Universität. Die Finanzkrise ist zu einer Sinnkrise vieler Business Schools geworden.

Zwar hat sich an der Nachfrage bisher nichts verändert – knapp 60 Prozent der amerikanischen Unternehmen wollen auch in diesem Jahr MBA-Absolventen einstellen, ergab eine Umfrage des Graduate Management Admission Councils, ein Zusammenschluss großer wirtschaftswissenschaftlicher Fakultäten.

Gleichwohl werden es sich viele Schulen, die ihre klangvollen Namen, ihre vermeintlich erstklassigen Lehrpläne und ihre prominenten Absolventen international vermarkten, in Zukunft nicht mehr leisten können, mit Misserfolg in Verbindung gebracht zu werden.

Der MBA-Titel ist teuer, die Einnahmen aus Spenden oder den Uni-eigenen Stiftungsfonds fließen immer spärlicher, die weltweite Konkurrenz ist groß. Die Hochschulen haben erkannt, dass sie ihren Ruf nur retten können, wenn sie bei Studenten und Arbeitgebern auch weiterhin für eine sinnvolle Ausbildung stehen. Alfons Sauquet, Dekan der Esade Business School in Barcelona, ist daher überzeugt: „Die Schulen müssen ihre Lehrpläne ändern.“

Platz 3: Insead, Frankreich

Das Aspen-Institut, ein angesehener amerikanischer Thinktank, hat Daten über mehr als 120 Business Schools weltweit gesammelt. Immer mehr Schulen machen demzufolge Kurse mit gesellschaftlichen Inhalten zur Pflicht – immerhin schon etwa zwei Drittel. Das Angebot an Umweltthemen hat in den vergangenen drei Jahren um 20 Prozent zugenommen. Insgesamt mehr als ein Viertel bietet sogar einen Schwerpunkt in den Bereichen Soziales oder Umweltmanagement an.

Die Schulen müssten den Studenten „Verantwortung und Ethik“ beibringen, fordert Robert J. Dolan, Dekan der Ross School of Business im US-Bundesstaat Michigan. Was passiert, wenn solche Qualitäten nicht vorhanden sind, konnte man in den vergangenen Monaten eindrucksvoll beobachten – prominente Beispiele für Manager-Versagen gibt es zuhauf.

Gescheiterte Spitzenkräfte mit Eliteabschluß

Richard Fuld etwa, Ex-Chef der insolventen Investmentbank Lehman Brothers, machte seinen MBA einst an der Stern School of Business in New York. John Thain, ehemals Vorstandsvorsitzender von Merrill Lynch, konnte die Investmentbank nur durch Fusion mit der Bank of America vor dem Untergang retten. Dann musste er seinen Hut nehmen. Immerhin der MBA der renommierten Harvard Business School (HBS) wird ihm bleiben. Und der Chef der Citigroup, Vikram Pandit, führte die einst größte Bank der Welt in Milliardenverluste. Er besitzt einen Doktortitel und MBA der Columbia Business School. Die Liste ließe sich noch weiter fortsetzen. 

Die Elite-Schulen sind Symbole — für ein System, in dem eine elitäre, teure Ausbildung über Netzwerke und Status beruflichen Erfolg versprach, quasi automatisch. Viele Universitäten werden nun einen neuen Weg einschlagen: mehr Praxis, mehr Bildung, mehr Diskussion. 

Dieser Wandel stellt einen Standard der MBA-Ausbildung infrage — die Fallstudie. Komplex und raffiniert aufgebaut, aber dennoch zu statisch, zu weit weg von der Wirklichkeit, lautet die Kritik. Der Trend geht in eine andere Richtung: Studenten sollen eigene Erfahrungen sammeln, am besten schon vor dem Studium oder in Praktika, die wirklich fordern. Die besten Fälle sollen dann diejenigen sein, die die Studenten selbst mitbringen. Mit echten Herausforderungen und Konflikten — auch Scheitern ist erlaubt. All das können Fallstudien nicht bieten.

Henry Mintzberg zieht schon seit Langem gegen die klassische Manager-Ausbildung zu Felde. Der Autor des Buches „Managers, not MBAs“, der in Kanada an der McGill-Universität lehrt, untersuchte vor einigen Jahren die Werdegänge von 19 Vorständen, allesamt HBS-Absolventen. Das erschütternde Ergebnis: Zehn von ihnen mussten wegen Misserfolgs gehen oder führten ihre Unternehmen sogar direkt in die Pleite. Nur fünf machten anständige Arbeit. Nicht einen Pieps habe das damals ausgelöst, sagt Mintzberg heute.

Klar, 19 Manager mögen nicht repräsentativ sein – für eine so berühmte Institution wie Harvard sind es jedoch 19 zu viel. Mintzbergs Credo ist seitdem dasselbe geblieben: „Management ist Praxis. Kein Manager, geschweige denn eine Führungspersönlichkeit, wurde jemals im Hörsaal geschaffen.“ Programme, die das behaupten, verleiteten die Studenten bloß zur Überheblichkeit.

MBA-Abschlussfeier in den USA Quelle: AP

Das Umdenken wirkt sich bereits auf die internationalen Ranglisten aus. In der rankingverliebten Welt der Business Schools gibt es schon Ansätze, nach neuen Kriterien zu bewerten — etwa das Internet-Portal „Beyond Grey Pinstripes“. Dort werden die Schulen danach aufgelistet, in welchem Umfang soziale, ethische und umweltpolitische Probleme in den Hörsälen zur Sprache kommen — und nicht nach Einstiegsgehältern oder Zufriedenheit der Personalchefs.

In der alternativen Liste des Aspen-Instituts tummeln sich nicht nur die üblichen Verdächtigen wie Columbia oder Stanford – sondern auch Schulen, die MBA-Interessierte bislang wohl eher nicht auf dem Radar hatten: die Copenhagen Business School etwa, die finnische Jyvaskyla-Universität oder die katholische Duquesne Universität in Pittsburgh. 

Ergebnissorientierte Praxis statt zielloses Pauken

Für den MBA-Kritiker Birger Priddat ist diese Öffnung der richtige Weg. Denn Manager-Ausbildung sei vor allem eine Frage von Bildung und Vielfalt. Die lebt der umtriebige Forscher, der nicht nur VWL, sondern auch Philosophie studiert hat, selbst vor. Priddat vermeidet – wenn möglich – Lehrbücher und gibt seinen Studenten vor allem ökonomische und philosophische Klassiker zu lesen. Anregung sei wichtig, reflektieren, lernen zu urteilen, sagt er. Die Uni sei dafür „einer der letzten Freiräume“.

An der Insead Business School im französischen Fontainebleau steht für diesen Wandel das „Social Innovation Centre“. Dort wird neuerdings nicht nur die Lehre zu Themen wie Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung gebündelt; die Studenten verwalten auch Kontakte zu den Vereinten Nationen und Nichtregierungsorganisationen, absolvieren Praktika bei Entwicklungsprojekten oder organisieren Workshops. Die neue Profilierung gelingt: In der „Beyond Grey Pinstripes“-Rangliste landete die Schule auf Platz sieben in Europa.

  Studien zeigen aber auch, dass gesellschaftliche Verantwortung, intellektuelle Herausforderung und kreatives Arbeiten bei den MBA-Studenten selbst immer höher im Kurs stehen. 

Einer von ihnen ist Lukas Welser. Der 33-Jährige macht seinen MBA gerade an der Mannheim Business School (MBS). Von Beginn an arbeitet er in einem internationalen Team. Ihr Ziel ist es, innerhalb des MBA-Jahres ein soziales Projekt auf die Beine zu stellen – das ist seit Kurzem Pflicht an der MBS. Welsers Truppe hilft nun einem Jugendzentrum in Ladenburg nahe Mannheim bei der Organisation, dem Marketing und einem neuen Internet-Auftritt. 

 Einfach war das zu Beginn nicht. Die Studenten mussten bei den Betreibern zunächst Skepsis und Widerstände überwinden. Welser betrachtet das aber als eine wichtige Erfahrung. Weit weg vom Lehrbuch – nah dran an der Wirklichkeit.

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