Christoph Glock ist Professor am Fachgebiet Produktion und Supply Chain Management der Technischen Universität Darmstadt sowie Dekan der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Seit 2018 ist er Lehrbeauftragter für Maschinenbau an der Universität Toronto. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Produktionsplanung und Lagerwirtschaft.
WirtschaftsWoche: Herr Glock, als Kind wollten Sie Feuerwehrmann werden…
Christoph Glock: ...ja, so wie mein Vater. Aber die Faszination hielt nicht lange an. Auf dem Gymnasium konnte man sich in der Oberstufe auf Betriebswirtschaftslehre fokussieren. Dabei bin ich bis heute geblieben.
Was hat Ihren beruflichen Lebensweg am stärksten beeinflusst?
Ich habe mein letztes Studiensemester am Indian Institute of Management in Bangalore, dem Silicon Valley Indiens, verbracht und in Zusammenarbeit mit Siemens meine Diplomarbeit geschrieben. Mein Aufenthalt in Asien war eine sehr prägende Erfahrung. Die Heimat in Würzburg zu verlassen und neue Kulturen und Wissenschaftssysteme kennenzulernen – das hat mir wichtige Impulse gegeben.
Wieso gerade Indien?
Der Lehrstuhl, an dem ich später meine Doktorarbeit geschrieben habe, hatte zu diesem Zeitpunkt eine länger bestehende Kooperation mit Siemens. Das Unternehmen baute damals seine Einkaufsorganisation in Asien um und war auf der Suche nach Studierenden, die den Aufbau internationaler Einkaufsbüros in asiatischen Ländern unterstützen. Ich sah darin eine gute Gelegenheit, eine praxisnahe Abschlussarbeit zu schreiben und Erfahrungen in einem neuen Kulturkreis zu sammeln. Noch heute habe ich Kontakt zu meinen damaligen Kollegen und reise ab und an nach Indien und Nepal. Die Region fasziniert mich – beruflich und privat.
Womit befassen Sie sich derzeit wissenschaftlich?
Mit Strategien, um mathematische Planungsverfahren in der Logistik besser auf die Anforderungen der Mitarbeitenden abzustimmen. Das Thema ist relevanter denn je. Coronabedingt bestellen viele Menschen im Internet. Die Unternehmen müssen sich überlegen, wie sie ihr Lager organisieren und wo die Artikel im Lager platziert werden. Schließlich sollen sie möglichst schnell beim Kunden ankommen. Wir versuchen, die Wegzeiten zu optimieren und soziale Aspekte dabei nicht außer Acht zu lassen.
Was meinen Sie damit?
Nicht alle Produkte liegen ergonomisch an bester Stelle. Wir versuchen, Verletzungsrisiken abzuschätzen und in die Planung zu integrieren. Effizienz ist wichtig, doch darf der Effizienzgedanke nicht dazu führen, dass man die Gesundheit und die Zufriedenheit der Mitarbeitenden vernachlässigt. Das ist gerade dann relevant, wenn Prozesse automatisiert werden sollen. In der Logistik lassen sich viele Abläufe durch Maschinen ersetzen. In einigen Unternehmen unterstützen Drohnen die Angestellten bei der Inventur, indem sie durch die Lagerhalle fliegen und Barcodes scannen. Andere Unternehmen setzen fahrerlose Transportsysteme ein, um Waren zu transportieren. Dieser Automatisierungstrend wird sich weiter durchsetzen, ob man das gut findet oder nicht. Wenn Angestellte nur dann tätig werden, wenn die Maschine nicht weiterkommt, ist das unbefriedigend.
Ist die deutsche BWL, so wie sie heute an den Hochschulen gelehrt wird, zu verkopft?
Das sehe ich nicht so. In Studiengängen der Betriebswirtschaftslehre wird heute stärker auf eine praxisnahe Ausbildung geachtet, viele Studierende machen im Laufe ihres Studiums Praktika oder arbeiten nebenbei als Werkstudenten. Das schafft Verständnis für Probleme, mit denen Unternehmen heute konfrontiert sind. Die Betriebswirtschaftslehre weist auch viele Anknüpfungspunkte zu anderen Disziplinen auf. Auch das trägt dazu bei, dass die Studierenden andere Perspektiven kennenlernen.
Beobachten Sie aktuell Veränderungen in der Logistik großer Unternehmen?
Kurzfristig sehe ich keine Prozessveränderungen. Mit Corona hat natürlich niemand gerechnet. Die Versandhändler waren zunächst überrascht vom starken Anstieg der Kundennachfrage und mussten die Zusatzbestellungen abarbeiten. Vielleicht werden Unternehmen ihre Logistik mittelfristig verändern, je nachdem, ob die Pandemie das Einkaufsverhalten langfristig verändert. Große Versandhändler wie Amazon haben den Vorteil, dass sie aufgrund von Rabattaktionen wie dem „Black Friday“ Prozesse etabliert haben, um mit Nachfragespitzen umzugehen. Das hat die Anpassung erleichtert. Kleinere Unternehmen mussten erst Wege finden, um ihre Kapazitäten anzupassen, etwa mithilfe von Aushilfskräften. Das hat in einigen Bereichen zu Beginn der Pandemie zu Lieferverzögerungen geführt.
Sie haben mehr als 200 Paper veröffentlicht und 15 Preise gewonnen. Worauf sind Sie besonders stolz?
Wissenschaftliche Veröffentlichungen mit Studierenden gemeinsam zu verfassen, das ist ein großer Erfolg. Ich arbeite mit Menschen zusammen, die etwas lernen wollen. Die für ihr Fach brennen. Das gefällt mir sehr. Gleichzeitig habe ich mir ein interdisziplinäres Arbeitsumfeld geschaffen und kann mit Menschen aus der ganzen Welt kooperieren. Das motiviert und macht Spaß.
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Inwiefern hat Corona Ihren Arbeitsalltag verändert?
Auf der einen Seite verzögern sich Forschungsarbeiten, weil Unternehmen nicht mehr so einfach besucht und Arbeiten vor Ort durchgeführt werden können. Zum anderen bin ich seit Kurzem Dekan meines Fachbereichs an der TU Darmstadt und mit der Online-Lehre und Eingliederung neuer Studierender in den Universitätsalltag beschäftigt. Den Studierenden einen gelungenen Start in einer fremden Stadt und einer neuen Disziplin zu ermöglichen, ist aktuell eine Herausforderung.
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