Ökonomisierung der Bildung "Junge Menschen werden wie Maschinen behandelt"

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"In der Ausrichtung auf internationale Vorgaben liegt das Problem"

Beide Seiten gehen also von der totalen Formbarkeit des menschlichen Individuums aus und wollen „neuen Menschen“ erziehen: Die Politik will Entfaltung, die Wirtschaft angepasste Arbeiter.

Beide verstehen Lernen als Anpassung an die Umgebung. Beide vernachlässigen Bindung und Beziehung, vereinzeln die Schüler und bringen sie in verschärfte Konkurrenz zueinander. So eint beide Seiten ein Fortschrittsdenken, in dem jede Reform oder Innovation besser ist, als das Alte. Wer diese permanente Reform kritisiert, gilt als fortschrittsfeindlich und reaktionär und auf den wird auch vereint eingedroschen.

Und letztlich profitieren international operierende Unternehmen, die so aus einem großen Pool standardisiert ausgebildeter Arbeitsmigranten wählen können?

Ja, genau in dieser Ausrichtung auf internationale Vorgaben liegt das Problem. Im Bildungswesen ist das ganz konkret vor allem die OECD, die seit 50 Jahren ihre gleiche Propaganda verbreitet.

Die dualen Berufsausbildung gilt als Erfolgsmodell. Sie sorgt für eine geringe Jugendarbeitslosigkeit und Fachkräfte. Aber sie ist auch Schuld, dass Deutschland in jeder Statistik zum Land der befristeten Jobs wird.
von Kerstin Dämon

Die historische Bildungsforschung hat inzwischen sehr genau gezeigt, dass und wie dies strategisch geplant und umgesetzt wurde. Man hat ganz gezielt die nationale Souveränität unterlaufen und das Bildungswesen beeinflusst, das eigentlich in der Verantwortung der Bürger liegt.

Klingt reichlich undemokratisch.

Die OECD hat dazu schlicht kein Mandat, setzt aber massiv manipulative Mittel ein, um ihr ökonomistisches Konzept durchzusetzen. Dabei geht es von Beginn an - ganz offen deklariert – um die kulturelle Entwurzelung der Menschen, um sie bereit für den „ökonomischen Fortschritt“ zu machen. Anpassung ist also das Ziel, nicht Mündigkeit. So hat die OECD mit den PISA-Studien ihr Kompetenzkonzept eingeführt, nach dem nun alle Schulen unterrichten. Durchgesetzt wird das mit einem Überwachungssystem von Tests und Standards, ständig überprüft mithilfe sogenannter „empirischer Bildungsforschung“.

Können Sie diese PISA-Aufgaben lösen?

Welche Folgen hat das für die deutsche Wirtschaft?

Diese Entwicklung schadet dem Mittelstand, der hochqualifizierte Mitarbeiter benötigt. Beschädigt wird also das Kernstück der deutschen Wirtschaft, das sich auch einmal in einer dementsprechenden sozialen Verantwortung sah. Gerade die mit Penetranz vorgetragene und verdeckt durchgesetzte Forderung der OECD nach einer Akademikerquote von 50 Prozent, der eine so simple wie falsche theoretische Annahme zugrunde liegt, hat gravierende Folgen für den Mittelstand.

Ihr Lösungsvorschlag?

Meines Erachtens sollte sich die Wirtschaft am besten schlicht aus einem Feld heraushalten, von dem sie nichts versteht. Sie sollte darauf drängen, aus der genannten Internationalisierung auszusteigen, PISA schlicht abzuschaffen, an den Universitäten die Bologna-Reform zu reformieren, das System von Monitoring, Qualitätssicherung, Standardisierung und Tests, das aus den Managementlehren an die Bildungseinrichtungen importiert wurde, als untauglich zurückzuweisen usw.

Also schlicht: Man sollte als erstes einmal diejenigen, die etwas von der Sache verstehen, also Lehrer und Hochschullehrer, ihre Arbeit machen lassen und dafür sorgen, die Qualitätsverhinderungsmechanismen abzubauen.

Was macht denn guten Unterricht aus?

Man muss das Rad nicht neu erfinden, sondern man sollte Urteilskraft und Verantwortung derjenigen stärken und zur Geltung kommen lassen, die etwas von der Sache verstehen. Nach nichts anderem sehnen sich die Lehrer an den Schulen: endlich wieder ihrem Kerngeschäft von Unterricht und Erziehung nachgehen zu können - und das ist anspruchsvoll genug, gerade heute.

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