Alle Dissertationen auf einen Blick, so könnte das Projekt auch für die Suche nach Plagiaten hilfreich sein. Das sei aber nur ein positiver Nebeneffekt und nicht das eigentliche Ziel. "Wir sollten Doktoranden aus der Dunkelheit der Bibliothek rausholen", sagt Grupp. Nach den letzten Plagiatsfällen gab es Forderungen nach einer Digitalisierungspflicht. Das hieße, dass Promotionen nicht mehr nur als Buch veröffentlicht werden müssten, sondern für jeden im Internet einsehbar wären. Wissenschaftlich sei das sinnvoll, sagt Grupp. Alle Volltexte im Katalog zu haben sei natürlich der große Wunsch, der Traum von thesius. Die Seite möchte sich aber nicht als politisches Projekt positionieren.
Im Vordergrund stehe der Austausch unter Doktoranden. Nutzer erstellen ein Profil mit Publikationen, Interessensgebieten, Stipendien und Auslandsaufenthalten. Ein kleines Facebook für Promovierende. Die können suchen und sehen: Wer hat zu einem ähnlichen Thema veröffentlicht? Wo gibt es Schnittstellen? Wer kann mir vielleicht helfen?
Carolin Zimmerschmidt aus Köln hat nach Doktoranden gesucht, die sich mit internationalem Recht auskennen. In ihrer eigenen Arbeit forscht sie zum Verbraucherschutz, an der Uni hat sie dazu vertieft nur das deutsche Recht gelernt. "Meine Dissertation ist eine Zwitter-Arbeit, genau an der Schnittstelle." Jetzt hat sie über thesius nicht nur andere Doktoranden mit Expertise gefunden und angeschrieben, sondern auch Kollegen für gemeinsame Veröffentlichungen. Zimmerschmidt arbeitet nicht an der Uni, sondern nebenbei in einer Kanzlei. "Wer extern promoviert, ist manchmal außen vor", sagt sie.
Zimmerschmidt ist eine von mehr als dreihundert Doktoranden, die aktuell promovieren und sich angemeldet haben. Gründer und thesius-Geschäftsführer Grupp glaubt an das Potenzial. "Auch StudiVZ hatte in den ersten Wochen nur mehrere Hundert Nutzer", sagt er. Das Portal finanziert sich über Investoren, die mit ihrem Logo auf der Seite werben können. Auf die Daten sollen sie keinen Zugriff haben, sagt Grupp. Der Login soll nur tatsächlichen Doktoranden erlaubt sein, jede Registrierung werde von Hand geprüft. "Wir verlangen aber keine Immatrikulationsbescheinigung", sagt Grupp.
Er könne sich weitere Kooperationen mit Unternehmen vorstellen, wie zum Beispiel die Vermittlung von Themen für Bachelorarbeiten, Masterarbeiten oder Promotionen. Dann aber, so sagt Grupp, auf einer neuen Plattform, parallel zu thesius.
Dieser Artikel ist zuerst auf Zeit online erschienen.