Promotion mit Behinderung Neues Programm kämpft für Chancengleichheit

Der Weg zum Doktortitel ist steinig - erst recht für Menschen mit Behinderung. Sie scheitern an Vorurteilen und der Angst vor hohen Kosten. Ein neues Förderprogramm soll das ändern.

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Astrophysik-Doktorand Christoph Wendel sitzt in seinem Elektrorollstuhl an seinem Arbeitsplatz in der Universität Würzburg. Mit dem Projekt

Christoph Wendel zieht es zu den Extremen. „Die Sonne hat eine Masse von zweimal 10 hoch 30 Kilogramm, sowas fasziniert mich. Das ist viel mehr, als man sich vorstellen kann“, sagt der Würzburger Doktorand der Astrophysik. „In diesem Fachgebiet gibt es ganz oft Superlative.“ Schon in der Schulzeit vertiefte er sich in Sachbücher, nun will er die Strahlung bestimmter Objekte außerhalb der Milchstraße erklären - schwere Kost. Doch während sein Geist fit ist - körperlich ist der 28-Jährige stark eingeschränkt. Seine Muskeln bauen immer weiter ab, er sitzt im Rollstuhl und ist stets auf Unterstützung angewiesen.

Mit einer Schwerbehinderung ist der Weg zu einem Doktortitel in Deutschland nach Einschätzung von Experten oft steinig. Und auch wenn die UN-Behindertenrechtskonvention ein Umdenken in der Bildungspolitik befördert hat - das Thema Promotion fristet dabei bislang ein Schattendasein. „Wir stehen da leider erst am Anfang“, sagt Andreas Keller, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).

Das bundesweite Programm „Promotion inklusive“ will das ändern. Über mehrere Jahre sollen an 15 Unis Stellen für 45 Doktoranden geschaffen werden. Als erster begann im Herbst ein Legastheniker seine Promotion in Würzburg, inzwischen sind zehn „Promis“ gestartet. Auch Wendels Stelle wird darüber finanziert. Der Astrophysiker bekennt: „Ich weiß nicht, ob ich das ohne dieses Projekt gemacht hätte.“

Die Lage für Behinderte, die promovieren wollen, sei schlecht, bestätigt Sandra Ohlenforst, die sich in Würzburg um das Programm kümmert. Sie vermutet Vorurteile und - unbegründete - Angst vor höheren Kosten. „Es gibt für Promovierende mit Behinderungen Probleme, gerade wenn sie auf technische Unterstützung am Arbeitsplatz oder eine Arbeits-Assistenz angewiesen sind“, erklärt Christine Fromme, Referentin der Informations- und Beratungsstelle Studium und Behinderung des Deutschen Studentenwerkes. Während der Promotion besteht nur dann ein Anspruch auf die Finanzierung dieser Unterstützung, wenn der Doktorand eine sozialversicherungspflichtige Stelle hat. Stipendiaten fallen durchs Raster.

Kampf für Chancengleichheit

„Die allerwenigsten Promotionsordnungen tragen dem Rechnung, dass Promovierende mit Behinderung etwas länger brauchen oder Nachteile haben“, kritisiert GEW-Mann Keller. So sei eine Verlängerung der Höchstbefristung von Promotionsstellen bei Behinderung nicht möglich - anders als etwa für die Kinderbetreuung.

Das sind die besten deutschen Unis
Rang 1: Universität von Oxford Quelle: Creative Commons/Bill Tyne
Platz zehn: Uni Bonn Quelle: Universität Bonn, Dr. Thomas Mauersberg
Platz neun: Universität in Tübingen Quelle: dpa
Platz acht: Technische Uni Berlin Quelle: dpa
Platz sieben: Freie Universität Berlin Quelle: dpa/dpaweb
Platz sechs: Universität Freiburg Quelle: dpa/dpaweb
Platz fünf: Rheinisch-Westfaelische Technische Hochschule (RWTH) Aachen Quelle: dpa

„Wir zwingen die Hochschulen ein bisschen dazu, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen“, sagt Jana Bauer vom Lehrstuhl für Arbeit und berufliche Rehabilitation der Uni Köln, der „Promotion inklusive“ betreut. Das Programm wird unter anderem vom Bundesarbeitsministerium finanziert, die Stellen sind sozialversicherungspflichtig.

Wie viele Promovierende das Thema betrifft, ist unklar. Wie viele wegen der Schwierigkeiten gleich auf eine Promotion verzichten, erst recht. „Es gibt da keine zuverlässigen Daten“, sagt Jana Bauer. Aus der Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks ist bekannt, dass sieben Prozent aller Studierenden eine Beeinträchtigung haben, die ihr Studium erschwert. Und eine Studie im Auftrag der „Aktion Mensch“ habe gezeigt: „Absolventen mit Behinderung haben nicht die gleichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt“, sagt Bauer. Auch da soll das Programm helfen.

Voraussetzungen, um im PROMI-Projekt zu promovieren

Gewerkschafter Keller hält solche Initiativen für dringend nötig: „Wir werden in Zukunft immer mehr höherqualifizierte Leute brauchen“, sagt er. „Der Bedarf ist noch nicht gedeckt. Da kann man es sich gar nicht leisten, bestimmten Gruppen diese Chancen zu verwehren.“ Und falls Nachwuchswissenschaftler mit Behinderung später in die Lehre gingen, könnten sie zu wichtigen Vorbildern werden. Wendels Professor Karl Mannheim jedenfalls ist froh, dass das Projekt dem 28-Jährigen die Promotion ermöglicht. Wendel sei in der Lage, komplexeste Systeme zu analysieren und zu verstehen, sagt er. „Ich bin außerordentlich glücklich, dass ich so einen kompetenten Doktoranden gewonnen habe, der mit einer kaum vorstellbaren Gabe ausgezeichnet ist.“

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