Leistungsdenken - ob in der Schule oder im Arbeitsleben - ist nicht per se unmenschlich, sondern erst wenn Leistung zum Selbstzweck erklärt wird. Der Claim der Deutschen Bank - „Leistung aus Leidenschaft“ – ist das Eingeständnis der intellektuellen und emotionalen Leere, in der heute ein großer Teil des Wirtschaftslebens stattfindet: Die Bank will uns weismachen, dass man Leistung als solche lieben kann. Doch ein Arbeitsleben, das keinen Sinn jenseits des simplen „mehr“ verheißt, produziert unweigerlich die „erschöpfte Gesellschaft“, die der Psychologe Stephan Grünewald in seinem gleichnamigen Buch diagnostiziert. Diese Erkenntnis ist mittlerweile auch in mancher Chefetage angekommen: „Die Verkürzung des Lebens auf die Ökonomie ist eine der schlimmsten Entwicklungen der heutigen Zeit“, stellt Ex-Telekom-Vorstand Thomas Sattelberger in „Alphabet“ fest. Erstaunlich, solch ein Satz aus dem Mund eines Dax-Vorstands.
Mit einem klaren Ziel vor Augen sind Menschen zu ungeheuren Taten fähig. Wenige Tausend Bürger schufen in den kleinen Städten des mittelalterlichen Europa in jahrzehntelanger Plackerei Kathedralen, von denen sie wussten, dass frühestens ihre Enkel in ihnen beten würden können. Der Sinn der Anstrengung war der Ruhm Gottes. Längst haben Gott oder das Vaterland als große Sinngeber zumindest in der westlichen Welt ausgedient. In den Nachkriegsjahrzehnten war der Verlust der großen immateriellen Sinngeber zu verkraften, der Wiederaufbau und „Wohlstand für alle“ waren ein naheliegendes Ziel, das große Anstrengungen rechtfertigte. Doch jetzt stehen diejenigen, denen es nach dem Willen ihrer Eltern einmal besser gehen sollte, da - und sehen kein neues Ziel vor sich außer der Aussicht, immer noch mehr leisten und noch reicher werden zu müssen.
Hier ist die Schule gefragt. Statt wie Wagenhofer und seine antiautoritären Apostel dem verlogenen Heilsversprechen einer leistungsdruckbefreiten Schule hinterherzulaufen, sollten Eltern zum Wohl ihrer Kinder von der Schule vor allem eines fordern: Angebote der Sinnstiftung für junge Menschen. Nichts anderes bedeutet Bildung. Die Schule sollte ein Ort sein, an dem Kinder bei der Entwicklung ihrer Identität und ihres Wertesystems unterstützt werden. Ein Ort, an dem sie nicht nur ökonomisch verwertbares Wissen und Fertigkeiten erlernen, sondern auch Zugang zu den bewährten Quellen der Sinngebung aus der Kulturgeschichte erhalten. Diese Quellen sprudeln nicht, wie Arno Stern und Gerald Hüther predigen, unentdeckt im Gehirn oder der Phantasie des einzelnen Kindes, sondern im kulturellen Gedächtnis der Menschheit. Kulturgüter müssen immer wieder neu erschlossen werden. Für diese anstrengende Leistung sind Lehrer mit Autorität gefragt. Lehrer, die ihre Schüler bisweilen anstacheln und Lernerfolge mit Anerkennung honorieren.