Schulpolitik Gymnasiallehrer drohen "Revolte" in Niedersachsen an

Der Lehrerverband wirft der Hannoveraner Regierung vor, das Gymnasium abschaffen zu wollen. In Nordrhein-Westfalen eskaliert derweil der Streit um die Inklusion.

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In Niedersachsen sollen Real- und Hauptschulen zusammengelegt werden. Einige Lehrer sehen darin das ziel, das Gymnasium langsam abzuschaffen Quelle: dpa

Josef Kraus gilt nicht gerade als Revoluzzer. Doch  die Schulpolitik der Landesregierung von Niedersachsen treibt den Präsidenten des Deutschen Lehrerverbands  auf die Barrikaden. Beim „Philologentag“ der niedersächsischen Gymnasiallehrer rief er dazu auf, notfalls eine „bürgerliche Revolte“ zu inszenieren.

Bildungspolitik, das zeigt nicht nur Niedersachsen, entwickelt sich zum emotionalsten und konfliktträchtigsten Politikfeld in den Bundesländern. Konfliktstoff ist nicht nur die vielerorts als gescheitert angesehene und in den meisten Ländern teilweise zurückgenommene  Verkürzung der gymnasialen Oberstufe (G8). Dazu kommt die problematische Umsetzung der so genannten Inklusion, also des gemeinsamen Unterrichts auch der behinderten Kinder in Regelschulen und ganz generell der seit Jahrzehnten schwelende Streit um die Schulformen.

Was Schüler in der neunten Klasse können sollen

Haupt- und Realschulen sollen zusammengelegt werden

Die rot-grüne Hannoveraner Landesregierung plant nun ein Gesetz, das integrierte Gesamtschulen gegenüber den anderen Schulformen deutlich stärken dürfte. So sollen beispielsweise Haupt- und Realschulen auch zu einer Integrierten Gesamtschule (IGS) zusammengelegt werden, falls ausreichend Schüler dafür vorhanden sind. Ein Gymnasium soll dagegen weiterhin „unter zumutbaren Bedingungen“ erreichbar bleiben. Bislang dürfen Gesamtschulen in Niedersachsen nur als ergänzende Schulform angeboten werden. In Zukunft könnten sie auch mit Grundschulen organisatorisch zusammengefasst werden. Die Entscheidung über die angebotenen Schulen liegt alleine bei den Städten und Gemeinden.

Kraus wirft der Landesregierung eine ideologiegeleitete Politik der „Trojanischen Pferde“ vor, die letztlich das Ziel verfolge, das Gymnasium abzuschaffen.  „Niedersachsen tut genau das, was man tut, wenn man trickreich eine Schulform kaputt machen will: Dazu gehören unter anderem die Abschaffung einer eigenständigen Gymnasiallehrerbildung, der Verzicht auf jede Laufbahnempfehlung am Ende der Grundschule, die Abschaffung des Sitzenbleibens, der curriculare Nihilismus kompetenzorientierter Lehrpläne sowie die totale Frustration der Lehrerschaft der Gymnasien durch eine dramatische Verlängerung der Arbeitszeiten.“

Kraus bezeichnete in Goslar die niedersächsische Schulpolitik als ein „Recycling eines Gebräus aus Marxismus, Behaviorismus und Egalitarismus.“ Das geplante neue Gesetz sei kein „Bildungschancengesetz“, als welches es Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) anpreise, sondern ein „Chancenvernichtungs- und Einebnungsgesetz“.

Heiligenstadts Sprecherin wies den Vorwurf, das Gymnasium schwächen oder gar abschaffen zu wollen, zurück. Im Gegenteil habe man die Gymnasien durch die Rückkehr zum Abitur nach 13 Schuljahren (G9) schließlich gestärkt.

Streit um Inklusion in NRW

Ein neuer schulpolitischer Aufruhr herrscht derzeit auch in Nordrhein-Westfalen. Anlass ist die Inklusion. Die Befürchtung vieler Skeptiker, dass die Auflösung der Förderschulen von der Landesregierung als Möglichkeit zum Geldsparen missbraucht würde, hat neue Nahrung erhalten durch einen Brief, der der „Rheinischen Post“ vorliegt: Die Bezirksregierung Köln als Schulaufsichtsbehörde fordert darin die Schulträger, also in der Regel die Gemeinden, auf, dem gemeinsamen Unterricht generell zuzustimmen, um „Verwaltungsaufwand“ zu begrenzen.

Es geht dabei um die besonders förderungsbedürftige Kinder der Bereiche Lernen, Sprache sowie emotionale und soziale Entwicklung. Schließlich, so heißt es in dem Brief, sei für diese Kinder „in der Regel zusätzliche sächliche oder personale Ausstattung nicht vonnöten“.

Zu Deutsch: Die Lehrer an den Regelschulen sollten mit den besonders schwer beschulbaren Kindern halt irgendwie klarkommen.

Der Landeschef des NRW-Philologenverbands, Peter Silbernagel, ist empört: „Diese Aufforderung zum Blankoscheck missachtet jede pädagogische Verantwortung.“ Bereits jetzt, so Silbernagel seien die Lehrer völlig unzureichend auf die Inklusion vorbereitet. Oft fehlt der für die förderbedürftigen Schüler eigentlich vorgesehene zweite Lehrer im Unterricht.

In Sylvia Löhrmanns Kultusministerium kündigte ein Sprecher an, man werde „der Sache nachgehen“. Für Löhrmann und ihre Kollegen in den anderen Bundesländern dürfte die Inklusion noch für so manchen Konflikt sorgen. 

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