Studienkredite in den USA „Ich werde tot sein, bevor ich frei bin“

Ein leerer Hörsaal in der University of Washington Quelle: imago images

US-Präsident Joe Bidens Erlass von Studienkrediten steht in der Kritik. Zu teuer, sagen die einen. Nicht weitreichend genug die anderen. Für die Betroffenen kann er jedoch das Leben verändern. Wenngleich nicht für alle.

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Die Zahl, die Robyn Hodgson anspringt, wenn sie den Stand ihrer Studienschulden überprüft, schockiert sie jedes Mal. Fast 68.000 Dollar schuldet die 52-Jährige der US-Bundesregierung – angehäuft über Jahre an unterschiedlichen Universitäten und Community Colleges, an denen sie sich immer wieder aus- und weiterbilden ließ. Eine klassische akademische Karriere war für sie nie in Reichweite. Die Highschool brach sie ab, an die Hochschule kam sie erst mit 25, damals schon als alleinerziehende Mutter. Neben dem Studium arbeitete sie als Journalistin im Süden Floridas, zog später für eine Stelle nach Pennsylvania. Nachdem sie dort ihren Job verlor, bildete sie sich zur Lehrerin weiter.

Doch in Amish Country sind Vollzeitstellen mit ihrem Profil nur schwer zu bekommen. Und auch gesundheitlich lief es für Robyn nicht rund. Vor einigen Jahren wurde eine seltene Erbkrankheit bei ihr diagnostiziert, die bereits mehr als 20 Operationen nötig machten. Derzeit arbeitet sie rund 15 Stunden die Woche, unterrichtet Schreibkurse am örtlichen Community College. „Es ist schwer“, sagt sie. Was sie verdient, geht für Medikamente und den Alltag mit ihrer Frau und den Kindern drauf.

Ihre Studienschulden erschweren die Lage für Hodgson deutlich. Zwar ist die Rückzahlung derzeit wegen der Corona-Pandemie ausgesetzt, doch im kommenden Jahr dürfte die Regierung wieder Raten verlangen. Geld, dass sie eigentlich nicht hat. Entsprechend dankbar war sie, als die Biden-Administration bekannt gab, Schuldnern wie ihr 20.000 Dollar ihrer Ausstände zu vergeben und die monatliche Rückzahlung bei fünf Prozent des Nettoeinkommens zu deckeln. Diese Schritte würden es ihr erleichtern, ihre Zahlungen zu leisten, sagt Hodgson, doch dass sie ihre Kredite zu Lebzeiten vollständig tilgen kann, hält sie für völlig ausgeschlossen. „Ich werde tot sein, bevor ich frei bin“, sagt sie.

Fälle wie der von Robyn Hodgson zeigen die Schwierigkeiten des Biden-Plans zum Umgang mit Studienkrediten. Das Weiße Haus hatte bekanntgegeben, jedem Schuldner mit einem Jahreseinkommen von weniger als 125.000 Dollar 10.000 Dollar zu erlassen – bei Beziehern von sogenannten Pell Grants, Beihilfen für Studenten aus einkommensschwachen Familien, sogar 20.000 Dollar. Es ist ein teurer Plan. Schätzungen des Haushaltsmodells der Wharton School of Business zufolge könnte er mehr als 600 Milliarden Dollar über zehn Jahre kosten. Das Weiße Haus taxiert die Kosten niedriger, auf rund 240 Milliarden Dollar – doch auch diese Summe ist noch enorm. Schon machen sich Ängste breit, der Plan könne die ohnehin hohe Inflation weiter befeuern.

Zu teuer, nicht weitreichend genug: Kritik an Bidens Vorhaben

Angesichts dieser Gemengelage steht das Vorhaben von mehreren Seiten in der Kritik. Zu teuer, monieren Konservative und Demokraten in schwierigen Wahlkämpfen. Nicht weitreichend genug, heißt es vom linken Flügel der Demokraten – und verweisen auf Fälle wie den von Hodgson.

Auch die oppositionellen Republikaner machen Front gegen den Plan. Warum sollte ausgerechnet die Schuld von Ex-Studenten vergeben werden, fragen sie, während andere Sorten von Schulden unangetastet bleiben. Tatsächlich betreffen Studienkredite zwar einen großen Teil der US-Bevölkerung, allerdings bei weitem nicht die Mehrheit. Im August hatten 43 Millionen Amerikanern – rund 14 Prozent – Studienschulden. Durchschnittlich hatten sie Ausstände in Höhe von knapp 59.000 Dollar.

Solche Schulden können den Start ins Leben erheblich erschweren. Sechs Monate nach dem Ende des Studiums beginnt in der Regel die Rückzahlungsphase. Die Höhe der Raten orientiert sich an der ausstehenden Schuld, die Verzinsung fällt höchst unterschiedlich aus. Eine Entlastung kann daher einen enormen Einfluss auf das Leben der Betroffenen haben.

Das spürt auch Betsadel Chicana. Die 31-Jährige hat viel dafür getan, dass ihre Schulden so niedrig wie möglich ausfallen. Über ein Community College wechselte sie an die University of California Santa Cruz, studierte Biologie. Sie wohnte bei ihren Eltern, jobbte nebenher, um die Kosten niedrig zu halten. Ihre Doktorarbeit schrieb sie an einer Universität irgendwo im nirgendwo, um Gebühren zu sparen. Auch profitierte sie von einem Pell Grant. Trotzdem häufte sie 15.000 Dollar an Schulden an. Ein bisschen konnte sie bereits zurückzahlen, dennoch war die Versuchung immer groß, schnell in die freie Wirtschaft zu wechseln, um ein höheres Gehalt zu erzielen, anstatt ihrer Leidenschaft, der Wissenschaft, zu folgen.

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Bidens Programm ermöglicht ihr nun, ihren Traum zu erfüllen. „Meine Schulden dürften vollständig gestrichen werden“, sagt sie. Ihre Post-Doc-Stelle in Seattle, eine schlecht bezahlte Anschlussverwendung für junge Akademiker in einem der teuersten Wohnmärkte der USA, verfolgt sie seit der Nachricht der Entlastung mit deutlich weniger Anspannung. „Es hat mein Leben wirklich verändert“, sagt sie. „Aber viele andere haben nicht so viel Glück wie ich.“

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