Studium Angst vor der Überakademisierung

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Abbrecherquoten über 30 Prozent

Seitdem sind zehn Jahre vergangen. Heute ist Beyer 29, hinter ihm liegt ein Studium der Interkulturellen Wirtschaftskommunikation in Magdeburg. Erfolgreich? Eher nicht. Er hat viele Scheine gesammelt, aber seine Bachelorarbeit besteht nach drei Jahren Anlauf nur aus „unzusammenhängenden Absätzen“ – ohne Aussicht auf Vollendung im Computer gespeichert.

Der Abbrecher ist mit seiner Geschichte nicht allein. Denn was Beyer in seinem bürgerlichen Elternhaus gelernt hat, das gilt heute schichtübergreifend als Naturgesetz: ohne Studium kein beruflicher Erfolg. Höhere Durchschnittsverdienste und verschwindend niedrige Arbeitslosenquoten unter Akademikern gelten als Belege.

An die Universitäten strömen deshalb so viele junge Deutsche wie nie zuvor – aber es scheitern auch mehr denn je. Die Abbrecherquoten liegen im Schnitt bei deutlich über 30 Prozent, in manchen Ingenieur-Studiengängen kratzen sie an der 50-Prozent-Marke. 1999, bei der letzten großen Berechnung vor dem Bologna-Prozess, lagen sie noch bei 22 Prozent an den Universitäten und 17 Prozent an den Fachhochschulen. Dies sind die Schattenseiten des Booms.

„Wir erleben in den vergangenen Jahren eine totale Dominanz der kognitiven Bildung über alle anderen Formen“, klagt Julian Nida-Rümelin. Der Human-Development-Index der Vereinten Nationen etwa misst den Fortschritt der menschlichen Entwicklung anhand des Anteils „tertiärer Bildung“, also des Studiums. Alles andere gilt als minderwertig. „Wenn sich dieses Bild durchsetzt, stirbt die Ausbildung“, so der Professor.

Aber ist eine Ausbildung immer die Verheißung, die Nida-Rümelin ausmalt? Menschen wie Johannes Vollert passen nicht in das schlichte Schema. Er begann als Hauptschüler in Feldkirch bei Rosenheim, es folgte eine Ausbildung als Industrieelektriker bei einem lokalen Mittelständler. Vollert, heute 29, sattelte eine Meisterschulung drauf, danach erhielt er einen Posten als Werkstattleiter. Die Bezahlung war gut, aber die Routine ernüchternd. Er hatte mit Anfang 20 „ausgelernt“ – schon der Begriff offenbart die Grenzen, die der beruflichen Bildung gesetzt sind. Vollert gab sein sicheres Leben als Industriemeister für das Studium auf, zuvor absolvierte er einen Vorbereitungskurs für die Fachhochschulreife. Jetzt steht er kurz vor dem Maschinenbaudiplom und hat ein Jobangebot. „Das Studium“, sagt er, „war die beste Entscheidung meines Lebens.“

Durchschnittliche Lebensverdienste nach Bildungsabschluss (zum Vergrößern bitte anklicken)

Man muss die Klagen der Akademisierungsmahner angesichts solcher Aufstiegsgeschichten relativieren – auch weil die Klagen seltsam vertraut klingen. „Ein Hauptübel unseres höheren Schulwesens liegt in der Überzahl gelehrter Schulen und in der künstlichen Verleitung zum Besuch derselben“, mäkelte bereits Otto von Bismarck 1890. Zwar erwarben zu jener Zeit nur zehn Prozent der Bürger ein Abitur, die Warnung vor einem „Abiturientenproletariat“ bestimmte dennoch schon damals die Debatte. Unter dem Stichwort „Bildungsinflation“ wiederholte sie sich um 1930, eine weitere Diskussionswelle über eine „Akademikerschwemme“ gab es 1992. Doch die Schreckensszenarien sind nie wahr geworden.

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