
Wenn sich Valerianne Walter in den Hörsaal der Technischen Universität München setzt, spürt sie überall die Aufregung: das Getuschel und Gekicher, die nervösen Fragen nach Raumnummern und das hektische Wühlen nach Stundenplänen. Walter ist umgeben von zappeligen Erstsemestern.
Im Hörsaal herrscht Ausnahmezustand. Nie zuvor wurden die bayrischen Hochschulen von so vielen so jungen Studenten gestürmt. Eine ganz eigene Studentengeneration sei das, sagen selbst die Professoren. Ehrgeizig – und unerfahren zugleich. Einige werden morgens noch von ihren Eltern gebracht oder dürfen den Mietvertrag im Studentenwohnheim nicht selbst unterzeichnen. Sie sind noch nicht volljährig. Auch Valerianne Walter ist erst 17.
Seit drei Jahren bereiten sich die Universitäten des Freistaats minutiös auf das Jahr 2011 vor. Aktuell machen in Bayern 70.000 Schüler ihr Abitur – doppelt so viele wie noch 2010. Das liegt aber nicht etwa am sprunghaft gestiegenen Bildungsniveau der Bayern. Grund ist vielmehr der Umbruch im Schulwesen.
Das bislang neunstufige Gymnasialsystem, kurz G9 genannt, wird vom verkürzten achtstufigen Modell abgelöst. Kritisch wird es, wenn beide Jahrgänge einmalig zusammentreffen – so wie in diesem Jahr in Bayern und Niedersachsen: Dort erhalten die letzten G9- und die ersten G8-Schüler gleichzeitig ihre Abiturzeugnisse. Und verursachen so allerlei Chaos.
Allein in Bayern rechnet man mit deutlich mehr Studienanfängern und investiert rund eine Milliarde Euro in 38.000 zusätzliche Studienplätze. „Es ist randvoll, aber wir kommen hin“, zieht Christian Kredler von der TU München eine erste Bilanz. Vorläufig. Denn zum Wintersemester werden noch einmal deutlich mehr Studienanfänger erwartet.
Nicht nur Bayern hat sich auf eine Bewerberflut vorbereitet. Die Welle von Abiturienten rollt bundesweit auf die Hochschulen zu. Die Doppeljahrgänge kreuzen sich nach und nach in allen Bundesländern, im kommenden Jahr beispielsweise gleich in Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen und Hessen (siehe Shortfacts auf der nächsten Seite).
Überfüllte Hörsäle
Die Turboabiturienten treffen dabei auf ein überlastetes Hochschulsystem – noch nie haben in Deutschland so viele junge Leute studiert. Doch das Lehrangebot wächst nicht mit den Studentenzahlen mit, im Gegenteil: Seit Jahren kämpfen viele Hochschulen mit drastisch gekürzten Mitteln. Und nun fallen in einigen Bundesländern auch noch die Studiengebühren weg. Deutschlands Unis geraten immer mehr in Bedrängnis – sie haben weniger Geld für mehr Studenten.
Erst vergangene Woche beschloss die rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen, die Hochschulen bis zum Jahr 2020 mit mehr als zehn Milliarden Euro zusätzlich auszustatten. Damit sollen dann 11.000 neue Studienplätze geschaffen, Mensen und Wohnheime ausgebaut werden.