Studium in Deutschland Bachelor und Master töten das Auslandssemester

Immer mehr Studenten kommen für ein Auslandssemester nach Deutschland. Nur die deutschen Studenten sind reisefaul. Warum sie keine Lust auf Erasmus haben und welche Berufsgruppen wirklich ins Ausland gehen sollten.

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Viele Studenten pfeifen auf das Auslandssemester. Quelle: Fotolia

Die deutschen Hochschulen haben international einen guten Ruf: Immer mehr Studenten kommen für ein Auslandssemester nach Deutschland. Laut dem Statistischen Bundesamt ist die Zahl der ausländischen Studenten zum Wintersemester 2014/2015 um rund sieben Prozent auf 321.569 angestiegen.

Die meisten ausländischen Studierenden kommen aus der Türkei, China, der Russischen Föderation, Italien und Indien. Für das zweitstärkste Herkunftsland China ließ sich zwischen dem Wintersemester 2013/14 und 2014/15 ein Zuwachs um sechs Prozent auf 32.460 Studierende in Deutschland beobachten. Das ist auch ganz im Sinne der Bundesregierung. Die hatte sich nämlich, gemeinsam mit dem DAAD, dem Deutsche Akademische Austauschdienst e. V., vorgenommen, bis zum Jahr 2020 mindestens 350.000 Studenten aus dem Ausland an deutschen Unis zu unterrichten. "Wir gehen davon aus, dass wir das gemeinsam mit der Bundesregierung gesteckte Ziel schon früher erreichen werden", sagt DAAD-Präsidentin Margret Wintermantel angesichts der Zahlen.

Was Studenten aus anderen Ländern wollen

Ein anderer Wert dürfte dagegen deutlich schwieriger zu erreichen sein. Die Bundesregierung will nämlich auch, dass bis zum Jahr 2020 jeder zweite Uniabsolvent "studienbezogene Auslandserfahrung" gesammelt hat. Zum jetzigen Zeitpunkt beträgt die Quote 37 Prozent. Am häufigsten gehen Wirtschaftswissenschaftler für ein oder mehrere Semester ins Ausland, erst danach kommen Sprach-, Sozial- und Geisteswissenschaftler.

Am wenigsten Fernweh haben dagegen Naturwissenschaftler. Laut dem DAAD gehen beispielsweise nur 24 Prozent der Ingenieure in diesem Jahr zum Studieren ins Ausland. Von den Mathestudenten zieht es nur jeden zehnten zum Studieren in ein anderes Land.

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Auslandsaufenthalt ist kein Karrieregarant mehr

Dass die deutschen Studenten lieber zuhause bleiben, hat mehrere Gründe: Weil es nichts Besonderes mehr ist, schrumpft auch der Karrierevorteil durch einen Auslandsaufenthalt: Eine Umfrage des Stellenportals Jobware hat beispielsweise ergeben, dass 33 Prozent der Bewerber überzeugt sind, dass ein Auslandsaufenthalt ihre Einstellungschancen nicht verbessert. Dadurch wird das Auslandsjahr für viele Studenten zur gefühlten Zeitverschwendung, die sich im verschulten Bachelorstudium nicht mehr leisten können beziehungsweise wollen.

"Seit der Einführung von Bachelor und Master schauen die Studenten mehr darauf, ob ein Auslandsaufenthalt ins Studium integrierbar ist", sagt Christiane Biehl von der Uni Köln. Der Freiraum, im Ausland auch einmal in andere Disziplinen hineinzuschnuppern, sei geschwunden.

So sieht das Austauschprogramm Erasmus plus aus

Damit das Auslandsstudium attraktiver wird, beschäftigten sich Ende September Vertreter der Europäischen Kommission und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) mit der Frage nach der Anerkennung von im Ausland erworbenen Studienleistungen. Auch Wintermantel sagt: "Bei der Anerkennung von Leistungen aus dem Ausland müssen wir noch bürokratische Hürden überwinden. Hier müssen die Europäische Kommission, die Partner in Europa und die deutschen Hochschulen gemeinsam handeln."

Kosten für das Auslandsjahr sind nicht ohne

Bislang ist es nämlich oftmals so, dass im Ausland erbrachte Leistungen nicht oder nur zum Teil anerkannt werden. Außerdem kommt es vor, dass an der Universität in Ausland andere Module unterrichtet beziehungsweise Inhalte vermittelt werden, die an deutschen Universitäten zu einem anderen Zeitpunkt im Lehrplan stehen. Wer dann aus seinem Auslandssemester zurück kommt und sich Kurse anrechnen lassen will, die es hier gar nicht gibt, hat zwar Lebenserfahrung gewonnen, aber Zeit verloren. Und das ist im Bachelor- und Mastersystem nicht geplant.

Das Erasmusjahr wird so zu einem teuren Vergnügen, dass die Studiendauer um ein Semester oder Jahr verlängert. Das kann beziehungsweise will sich nicht jeder leisten. Denn auch wenn Erasmus-Studenten monatlich 500 Euro bekommen und keine Studiengebühren zahlen müssen, kommen auf die Studenten hohe Kosten zu: Mit 500 Euro lassen sich Miete, Nebenkosten, Essen und Lehrmittel schwerlich bestreiten - von Freizeitprogramm einmal abgesehen.

Trotzdem wäre es in manchen Branchen wünschenswert, wenn Studenten das Risiko auf sich nähmen und in die Ferne gingen. Bei Sprachwissenschaftlern und Übersetzern versteht sich das ja nahezu von selbst, aber auch Deutsch- und Fremdsprachenlehrern würde ein Auslandssemester nicht schaden.

Doch auch die Lehramtsstudenten gehören zu den Reisemuffeln. Laut dem aktuellen Hochschul-Bildungsreport gehen nur 23 Prozent aller Lehramtsstudenten an eine ausländische Hochschule. Noch seltener als angehende Lehrer gehen nur noch die schon erwähnten Natur- und Ingenieurswissenschaftler ins Ausland. Die Lehrer haben allerdings eine plausible Entschuldigung: In den meisten Lehramtsstudiengängen sind Auslandsaufenthalte gar nicht vorgesehen.

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