Studium Angst vor der Überakademisierung

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Lohnt der Hochschulabschluss noch?

Viele Ökonomen sehen Bildung daher eher als eine Serie pragmatischer Abwägungen, als Investment, das der Markt belohnt. „In einer Marktwirtschaft gibt es niemals einen ,Mangel‘, sondern nur falsche Preise“, stellt Ludger Wößmann, Leiter des ifo-Zentrums für Bildungsökonomik, fest. Wäre der Bedarf an Fachkräften tatsächlich höher als an Akademikern, „müssten die Betriebe eben höhere Löhne für Ausbildungsberufe zahlen“. Das Bildungssystem sollte möglichst faire Preise schaffen und eine hohe Durchlässigkeit aufweisen. Dann wird Bildung zur Investitionsentscheidung: Lohnt es sich, Zeit und entgangenen Verdienst für einen Hochschulabschluss zu opfern?

Dass immer mehr junge Menschen diese Frage mit Ja beantworten, registrieren auch die Unternehmen. 2014 stellten nur noch 20,2 Prozent aller Betriebe Lehrlinge ein, 0,5 Punkte weniger als im Vorjahr. Damit ist die Quote zum sechsten Mal in Folge rückläufig. Wahrscheinlich haben viele Betriebe schlicht resigniert, denn auch die Anzahl der unbesetzten Ausbildungsplätze hat 2014 mit gut 37 000 einen Höchststand erreicht.

Mit diesen Studienfächern verdienen Sie am meisten
Platz 10: InformatikWie hoch sind die durchschnittlichen Löhne von Uniabsolventen der verschiedenen Fachrichtungen? Antwort gibt die Studie "Uni, Fachhochschule oder Ausbildung – welche Fächer bringen die höchsten Löhne?" von Daniela Glocker und Johanna Storck, die 69 Studiengänge analysiert haben. Sie griffen dabei auf Daten des Mikrozensus zwischen 2005 und 2008 zurück und errechneten das Nettoeinkommen von mehr als 200.000 Menschen mit Abitur im Alter von 21 bis 65 Jahren. Die Daten sind um Alterseffekte und regionale Unterschiede bereinigt. Männer, die an einer Fachhochschule Informatik studiert haben, haben einen durchschnittlichen Nettostundenlohn von 12,81 Euro. Studieren sie dagegen an einer Universität, bekommen sie pro Stunde schon 14,06 Euro. Informatikerinnen verdienen dagegen nur 9,32 Euro (Uni) beziehungsweise 9,29 Euro (Fachhochschule). Quelle: dpa
Platz 9: MaschinenbauEin ähnlich starkes Gehaltsgefälle gibt es zwischen männlichen und weiblichen Maschinenbauern: Männer, die an an einer FH studiert haben, bekommen 13,28 Euro netto pro Stunde. Wer an einer Uni studiert hat, verdient 13,81 Euro. Bei den Frauen sind es 7,78 Euro (FH) und 9,22 Euro (Uni). Quelle: dpa
Platz 8: VerwaltungswissenschaftenMänner, die an einer FH Verwaltungswissenschaften studieren, verdienen netto 13,36 Euro die Stunde. Bei den Frauen sind es 10,80 Euro. Im Jahr verdient sie also 22.457,86 Euro, er 27.787,16 Euro. Quelle: Blumenbüro Holland/dpa/gms
Platz 7: MathematikMännliche Mathematiker bekommen pro Stunde im Durchschnitt 13,71 Euro - wenn sie an einer Universität studiert haben. Für FH-Studenten liegt das spätere Gehalt bei durchschnittlich 12,02 Euro. Frauen verdienen dagegen durchschnittlich 9,81 Euro, wenn sie an einer Uni studiert haben und 7,72 Euro. Quelle: dpa
Platz 6: Betriebswirtschaftslehre Männer, die an einer FH Betriebswirtschaftslehre studieren, verdienen während ihres Arbeitslebens im Schnitt 14,14 Euro pro Stunde. Wer an einer Uni BWL belegt hat, bekommt später im Schnitt 16,58 Euro. Bei Frauen sind es 9,43 Euro (FH) und 10,00 Euro (Uni). Quelle: Fotolia
Platz 5: VolkswirtschaftslehreDie Ökonomen verdienen vom Ende ihres Unistudiums bis zum Renteneintritt im Durchschnitt 14,57 Euro netto pro Stunde. Bei den weiblichen Volkswirten sind es 9,41 Euro. Der durchschnittliche Netto-Jahreslohn eines studierten Volkswirts liegt bei 30.297,97 Euro beziehungsweise 19.571,74 Euro. Quelle: dpa
Platz 4: WirtschaftsingenieurwesenDie männlichen Wirtschaftsingenieure bekommen ihr Unistudium mit einem durchschnittlichen Stundenlohn von 15,00 Euro vergütet. Im Schnitt kommen sie auf einen Netto-Jahreslohn von 31.208,20 Euro. Während des gesamten Arbeitslebens verdienen sie durchschnittlich 1,34 Millionen Euro. Quelle: Fotolia

Die drohende Überakademisierung ist somit ein Kreislauf, den keiner will, obwohl alle dazu beitragen. Die Eltern, indem sie ihre Kinder darauf eichen, hohe Abschlüsse zu sammeln. Die Betriebe, indem sie es sich sparen, in den Nachwuchs zu investieren. Und die Politik, die ihre milliardenschwere Förderung höherer Bildung auf geistige Kompetenzen verengt hat. Nötig wäre beides: ein einfacherer Zugang für Menschen ohne Abitur. Aber auch bessere Aufklärung, was ein Studium für Anforderungen stellt.

Modellprojekt in Aachen

Die RWTH Aachen etwa, eine der Universitäten mit den höchsten Abbrecherquoten, bietet dieses Jahr zum ersten Mal ein „nulltes Semester“ für Maschinenbau an. Gemeinsam mit der Fachhochschule Aachen erhalten Interessierte seit April die Möglichkeit, ohne Risiko ein Studium zu beginnen. Sie starten als Gasthörer und können Scheine erwerben, müssen aber nicht. Intensive Studienberatung kommt hinzu. „Jeder kann so in Ruhe bis zum Wintersemester feststellen, welches Studium am besten zu ihm passt – falls überhaupt“, erklärt Jonas Gallenkämper. Der Mathematiker betreut das Projekt, für das sich mehr als 200 potenzielle Studenten eingeschrieben haben. Einziges Pflichtfach ist Mathematik, für viele später die höchste Hürde im Studium.

Genau dieser Realitätscheck ist der Bildungsrepublik vor lauter Kennzahlen und Systemdebatten abhanden gekommen. Das Studium bietet ein einzigartiges Maß an Freiheiten – man kann sich darin aber auch verlieren. Bildung bleibt am Ende eine individuelle Entscheidung, die zum Erfolg führt, wenn sie nicht gesellschaftlichen Moden, sondern der persönlichen Anlage folgt.

Bis zum 30. Lebensjahr hat es gedauert, bevor Studienabbrecher Hendrik Beyer diese Selbsterkenntnis überkam. Vor wenigen Wochen hat er seine Exmatrikulation erhalten. Sie war das schriftliche Eingeständnis: „Meine Talente liegen anderswo, aber nicht in der einsamen Arbeit am Schreibtisch.“ Er besuchte vor ein paar Wochen eine Messe für Studienabbrecher – und wurde fündig. Bald will er eine Lehre zum Luftverkehrskaufmann beginnen. Anderthalb Jahre Ausbildung liegen noch vor ihm. Dann dürfte er, wenn auch mit Umwegen, auf dem Arbeitsmarkt angekommen sein.

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