Supermaster Das sind die besten Ideen deutscher Masterstudenten

Quelle: Illustration: Anton Hallmann

Wer Spitzenforschung sucht, muss nicht nach Stanford oder Cambridge schauen. In den Abschlussarbeiten deutscher Studenten schlummern brillante Ideen. Der Supermaster-Wettbewerb der WirtschaftsWoche stellt die besten vor.

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Wer die Fähigkeiten eines Menschen genau messen will, muss den Menschen an sich ausblenden. Die Gärtnerin beurteilt man nicht nach ihrer verbindlichen Art, sondern nach der Gesundheit ihrer Pflanzen. Den Polsterer schätzt man nicht, weil er freundlich ist, sondern, weil man auf seinen Stühlen gut sitzt. Das Werk spricht für den Autor. Und glaubt man Keesiu Wong, gilt dieses Prinzip nicht nur fürs traditionelle Handwerk, sondern erst recht für die begehrteste Berufsgruppe der digitalen Welt: Data Scientists.

Die Zahlenjongleure sind derzeit so gefragt, weil sie aus der Fülle der Daten, die in digital vernetzten Firmen und Fabriken anfallen, wertvolles Wissen für die Zukunft filtern können. Sie sagen in Industriebetrieben voraus, welche Maschine wann gewartet werden muss oder optimieren im Einzelhandel die Warenpalette. Ihr Werkstück sind viele Tausend Zeilen Code. Wong hat in der Abschlussarbeit seines Management-Masters eine Methode entwickelt, wie man die Qualität dieser Arbeit messen kann.

„Der Code eines Data Scientist ist für mich die Inkarnation seiner Fähigkeiten“, sagt der Absolvent der TU München. Für seine Abschlussarbeit hat er einen Algorithmus erdacht, der die Programmiersprache untersucht, um beurteilen zu können: Was macht einen guten Data Scientist aus? Unternehmen könnten damit Bewerber testen oder die Arbeit von bereits angestellten Mitarbeitern evaluieren – und dadurch viel Zeit und Geld sparen.

Das Beispiel von Wong, 25, zeigt: In den Abschlussarbeiten deutscher Wirtschaftswissenschaftler schlummern fundierte Analysen, die Wirtschaft und Gesellschaft voranbringen. Ein enormer Wissensschatz, den deutsche Firmen zu selten heben. „Dabei liegt es eigentlich auf der Hand, dass in wirtschaftswissenschaftlichen Abschlussarbeiten Ideen liegen, die nicht in der Schublade verschwinden sollten“, sagt Matthias Meyer-Schwarzenberger, Geschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Volks- und Betriebswirte (bdvb). Dieser Entdeckung wollen WirtschaftsWoche und bdvb nun auf die Sprünge helfen. Im Rahmen des Supermaster-Wettbewerbs reichten Masterabsolventen von rund 100 verschiedenen Hochschulen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz ihre Arbeiten ein. Fachleute des bdvb bewerteten ihre Nützlichkeit, Innovationsgehalt, Aktualität und Nachhaltigkeit. Die zehn besten, von einer Vorjury ausgewählten und hier vorgestellten Kandidaten werden ihre Forschung am 4. Juli vor einer prominent besetzten Jury präsentieren. Diese kürt dann den Gewinner.

Auch Wiebke Hagedorn wird dann auf der Bühne stehen und ihre Forschung zu einem drängenden Thema vorstellen: dem Schutz von Klima und Umwelt. Während junge Aktivisten jeden Freitag für ihre Zukunft demonstrieren und Politiker um verbindliche Ziele für die Senkung von ausgestoßenem Kohlenstoffdioxid (CO2) ringen, versuchen inzwischen viele Menschen, sich auch individuell klimaschonend zu verhalten. Hagedorn ist nun der Frage nachgegangen, ob die gut gemeinten Handlungen am Ende tatsächlich positiv wirken oder ob die sogenannten Reboundeffekte überwiegen. Die Absolventin der Bergischen Universität Wuppertal hat diese bei Abfallvermeidungsprogrammen festgestellt. „Grundsätzlich ist es eine gute Sache, Lebensmittelabfälle zu vermeiden“, sagt sie. „Es wird nur dann schwierig, wenn man dadurch mehr Geld zur Verfügung hat und dieses verwendet, um mehr Auto zu fahren, mehr zu heizen oder mehr Strom zu verbrauchen.“ Der Reboundeffekt schmälert den positiven Einfluss auf die persönliche CO2-Bilanz. „Die Einsparung ist nicht so hoch, wie sie sein könnte, wenn man das zusätzliche Geld nutzen würde, um etwa Biolebensmittel oder nachhaltige Kleidung zu kaufen“, sagt Hagedorn. Besonders stark zeige sich das bei ärmeren Menschen.

WiWo Supermaster: Die Finalisten, Teil 1




Hagedorn hat das anhand einer Auswertung von Einkommens- und Verbrauchsdaten der deutschen Bevölkerung und dem jeweiligen CO2-Verbrauch herausgefunden. „Menschen mit niedrigem Einkommen geben einen höheren Anteil ihres Einkommens für Grundbedürfnisse wie Mobilität, Wohnen und Ernährung aus“, so die 26-Jährige. Das Geld, das sie durch Abfallvermeidung einsparen, könnte deshalb genau dort ausgegeben werden, wo es die Umwelt besonders belastet. Deshalb plädiert sie dafür, eher von höheren Einkommensklassen mehr Umweltschutz einzufordern. Besserverdienende richten mehr ökologischen Schaden an, weil sie öfter fliegen, in größeren Wohnungen leben und insgesamt mehr konsumieren. Bei ihnen lasse sich mehr einsparen, Reboundeffekte seien kleiner.

Roboter statt Dieselschleuder

Hagedorns Arbeit verbindet ökonomische Theorie mit gesellschaftlichen Fragen und weist damit auf einen Trend, der sich in der gesamten Ökonomie immer stärker zeigt: wachsende Interdisziplinarität. Ökonomische Theorien gehen nicht mehr von rein rationalen Akteuren aus, praktische Methoden reichen über das bloße Rechnen hinaus. Absolventen verstehen deshalb psychologische Entscheidungsprozesse und können Optimierungsalgorithmen programmieren. Das zeigt sich in den Forschungen vieler Supermaster-Kandidaten.

Karrierehindernis Selbstlosigkeit

Florian Molder etwa hat ein Thema angepackt, das auf der Schnittstelle zu Informatik und Ingenieurwissenschaften liegt – und für saubere Luft in Städten sorgen könnte. Der Absolvent der Friedrich-Schiller-Universität Jena hat sich mit der Paketlieferung auf der letzten Meile, zwischen Verteilzentrum und Empfänger, beschäftigt. „Viele Lieferwagen sind Abgasschleudern, deren Motor läuft, während die Boten Pakete zustellen“, sagt Molder.

Molder tat in seiner Masterarbeit, womit sich viele Unternehmen noch schwertun: „Einen realen Prozess verstehen, abbilden und dann mithilfe von Algorithmen optimieren.“ Sein untersuchtes Szenario war das eines Lieferwagens, der kleine Roboter als Mitfahrer hat, die den Boten nach Belieben Touren abnehmen können. Automatisch finden sie den Weg zum Empfänger, der Fahrer kann derweil seine Route fortsetzen. Doch welche Pakete stellt der Mensch zu, welche die Maschine? Mit einem mathematischen Modell konnte Molder den optimalen Robotereinsatz auf einer Lieferroute berechnen.

Schwierig wurde es erst, als er mit dem Modell die optimale Belieferung von mehr als zehn Kunden herausfinden wollte. „Ab diesem Punkt kann kein Computer das Problem in endlicher Zeit lösen“, so Molder. Er musste ein Näherungsverfahren finden, das zwar keine optimale, aber doch eine „sehr, sehr gute“ Lösung errechnen konnte: Die Pakete kämen so pünktlicher zum Kunden, in einer Tour könnte mehr zugestellt werden, die Boten hätten mehr Zeit. Ein Forschungsergebnis, das Unternehmen viel Geld einsparen helfen könnte – und den Arbeitsalltag der Paketboten erträglicher machen dürfte.

WiWo Supermaster: Die Finalisten, Teil 2




Ebenso verdient die Arbeit von Supermaster-Kandidatin Ann-Christin Heilig die Aufmerksamkeit der Wirtschaft: Die Absolventin der Uni Köln wollte wissen, warum Frauen, die fachlich genauso gut sind wie Männer, seltener in Führungspositionen vertreten sind. Sie führt den Gender Gap auf unbewusste Stereotype in den Köpfen zurück. „Das klassische Bild einer Führungskraft geht davon aus, dass sie nicht altruistisch ist, wenig sensibel gegenüber Ungerechtigkeit und stark extrovertiert“, sagt Heilig. Dieses Bild versuchte sie mit der Realität in der Arbeitswelt abzugleichen. Dazu analysierte sie einen Datensatz des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), in dem von mehr als 7500 deutschen Befragten Einkommen und Position im Unternehmen, aber auch Persönlichkeitsfaktoren und Präferenzen festgehalten wurden.

Ihr Ergebnis: Frauen waren altruistischer als Männer und fanden sich seltener in Führungspositionen. Mehr noch: Altruistische Frauen landeten seltener dort als weniger altruistische Frauen oder altruistische Männer. Ist Selbstlosigkeit also ein Karrierehindernis? Für Ann-Christin Heilig ist nicht Altruismus das Problem, sondern der Leader-Stereotyp. Altruistische Frauen gingen oft davon aus, nicht dem vermeintlichen Ideal zu entsprechen, und würden sich gar nicht erst auf höhere Positionen bewerben. „Wenn wir wissen, dass es einen Stereotyp gibt, verhalten wir uns entsprechend“, sagt Heilig. So versuchten viele Frauen, die vermeintlich unpassenden Eigenschaften wie Altruismus zu unterdrücken, um für eine Führungsposition geeigneter zu erscheinen. „Auch wenn man nicht dem Stereotyp entspricht, sollte man sich auf Führungspositionen bewerben“, sagt Heilig.

Manche Masterarbeit verstaubt in Bibliotheken. In den Forschungsergebnissen der Supermaster-Kandidaten aber steckt viel Wertvolles: die rationale Argumentation, die Ann-Christin Heilig in die emotionale Genderdebatte bringt. Die unorthodoxen Methoden, mit denen Keesiu Wong seinen eigenen Berufsstand vermisst. Die Weitsicht von Wiebke Hagedorn, für die nachhaltiger Konsum alleine noch kein Gewinn ist. Die mathematische Klarheit, mit der Florian Molder zeigt, wie hilfreich Paketroboter sein können. Und die vielfältigen Ideen ihrer Mitbewerber. Der Wettbewerb könnte nun dazu beitragen, ihnen zu ein bisschen mehr von der Aufmerksamkeit zu verschaffen, die sie längst verdienen.

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