Uni Eindhoven stellt nur noch Frauen ein „Vielleicht ist es an der Zeit, es etwas härter durchzuziehen“

In Deutschland liegt der höchste Professorinnenanteil an einer Universität bei knapp 38 Prozent. Quelle: imago images

Der Frauenanteil unter Professoren dümpelt in Deutschland bei 23 Prozent vor sich hin – trotz ambitionierter Förderpläne. Eine Universität in den Niederlanden will jetzt nur noch Frauen einstellen. Ist das die Lösung?

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Die akademische Welt müsste ihrem Selbstverständnis nach in Sachen Gleichberechtigung eigentlich weiter sein. Unis waren die Vorreiter bei der sogenannten geschlechtergerechten Sprache. Der Anteil der Studentinnen und Absolventinnen ist seit Jahren hoch. Unis sind der Ort, wo in Fächern wie Gender Studies über den Tellerrand der landläufigen Geschlechterdebatten geschaut wird. Doch ausgerechnet die Universitäten geben ein verheerendes Bild ab, wenn man den Anteil von Frauen in Lehre und Leitung betrachtet.

Ein Widerspruch, der zwar auch den meisten Universitäten längst aufgefallen ist. Doch allen Förderversuchen zum Trotz liegt der Anteil der Professorinnen in Deutschland bei 23 Prozent. Immerhin: Wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch mitteilte, wurden 32 Prozent der im vergangenen Jahr eingereichten Habilitationsschriften von Frauen verfasst. 2008 seien es lediglich 23 Prozent gewesen.

In den Niederlanden sieht es etwas besser aus, die Technische Universität Eindhoven bildete dort mit 12,6 Prozent aber ein trauriges Schlusslicht – und sorgt nun mit einer Radikalmethode zur Frauenförderung für Medienaufmerksamkeit. Die kommenden fünf Jahre sollen wissenschaftliche Positionen nur noch mit Frauen besetzt werden. Die Frauenquote für Neueinstellungen liegt damit bei 100 Prozent. Nur wenn innerhalb von sechs Monaten keine geeignete Kandidatin gefunden wurde, kann auch ein männlicher Bewerber zum Zuge kommen. Auf diese Weise will die Uni zumindest bald die 20-Prozent-Marke knacken, heißt es.

Niederländischen Medien sagte Rektor Frank Baajens, er wünsche sich eine Änderung der Kultur. An der technischen Hochschule studieren bis jetzt auch mehrheitlich Männer. Das wolle er aufbrechen, auch durch weibliche Vorbilder. „Spiegel Online“ sagte er, es gebe „keinen Grund, warum nicht die Hälfte unserer Studenten männlich und die andere Hälfte weiblich sein sollte“. Er verwies auch auf die unbewussten Vorurteile, die Männer eher Männer und Frauen eher Frauen einstellen ließen. Dies sei durch Studien hinreichend bewiesen. Um den Frauenanteil zu erhöhen, braucht es damit vor allem: Frauen, die bereits da sind. Hier setzt die 100-Prozent-Maßnahme von Eindhoven an.

Die Reaktionen auf die Maßnahme reichen von Begeisterung bis zu Buh-Rufen, die die Diskriminierung von Männern beklagen, die nun für das diskriminierende Gehabe früherer männlicher Generationen bestraft würden. Natürlich ist das ein Punkt zu fragen: Haben heutige Männer es verdient, ausgeschlossen zu werden, weil dieses Unrecht in der Vergangenheit häufiger Frauen widerfahren ist? Baajens wies das zurück: Es gehe nicht darum, Männer auszuschließen, sondern auch darum, Diversität zu schaffen. Die schlage sich positiv in Leistung und Kreativität von Forschungsteams nieder. „Wenn man nicht aufpasst, sagen die Leute: Du hast die Stelle bekommen, weil du eine Frau bist. Aber wir wissen, dass es einen impliziten Genderbias gibt, dass wir beispielsweise eher einen Mann als eine Frau mit 'exzellent' etikettieren, obwohl sich ihre Leistungen nicht unterscheiden.“

In Deutschland gibt es eine Handvoll Unis, die einen Professorinnenanteil von mehr als 30 Prozent aufweisen. Nach einem Ranking der WBS-Gruppe vom vergangenen Jahr ist die FU Berlin Spitzenreiterin mit 37,8 Prozent weiblicher Lehrstuhlinhaber. Die HU Berlin kommt auf 32,4 Prozent, aber auf den höchsten Wert in absoluten Zahlen: 223 Frauen lehren dort. Vorne dabei sind auch die Universitäten Koblenz Landau mit 36,4 Prozent, Paderborn mit 37,3 Prozent, Bielefeld mit 31,5 Prozent, Hamburg und Bremen mit je rund 31 Prozent sowie die Fernuni Hagen mit 30,6 Prozent.

Helga Arend, Gleichstellungsbeauftragte der drittplatzierten Uni Koblenz, steht der Situation ambivalent gegenüber. „Wenn man etwas für Frauen in der Wissenschaft tut, hat man auch gute Chancen, gute Zahlen zu erreichen. Wir haben durch eine Menge von Maßnahmen, durch das hohe Potential an weiblichen Studierenden sowie viele Projekte in der Nachwuchsförderung den Anteil in dem oberen Bereich vergrößert“, sagte sie unserer Redaktion. Allerdings: Die aus einer PH hervorgegangene Universität hat eben auch mit 75 Prozent Absolventinnen einen großen Pool an möglichen Nachwuchskräften. Dennoch: Vor den Fördermaßnahmen sei der Anteil der Professorinnen deutlich niedriger gewesen.

Frauen halten seit Jahren die gleichen Faktoren von akademischen Laufbahnen fern: Der Weg in eine Professur kann locker bis ins mittlere Lebensalter dauern; nur wenige erreichen eine klassische Professur mit unter 40 Jahren. Die Jahre zuvor sind geprägt von der Arbeit der beiden Must-Haves Dissertation und Habilitation. Während der Erstellung dieser umfangreichen wissenschaftlichen Arbeiten müssen die Jungwissenschaftler meist noch Lehr- oder Assistenzaufträge an der Universität erfüllen und eigene Artikel für Fachpublikum veröffentlichen.

Der Druck ist also groß. Nun ist es nicht so, dass Frauen diesem weniger gut gewachsen wären. Doch fällt diese Phase bei der klassischen Laufbahn auch mit möglicher Familiengründung zusammen. „Die Hürde zwischen Promotion und Habilitation beziehungsweise Professur ist die, wo ganz viele Frauen herausfallen. Da muss man mehr tun“, sagt die Gleichstellungsbeauftragte. Laut Statistischem Bundesamt waren die Autoren von Habilitationsschriften 2018 durchschnittlich 42 Jahre alt, die Autorinnen sogar 42,5 Jahre. An vielen Hochschulen fehlen gleichzeitig die Voraussetzungen, Kind und Karriere gleichzeitig zu haben – oder eben eine Habilitation zu schreiben. „In der Wissenschaft ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen immer noch ein großes Handicap. Auch bei unseren Professorinnen ist der Anteil derjenigen ohne Kinder relativ hoch“, sagt Helga Arend.

Männliche Kollegen werden zwar auch Vater, fühlen sich aber im Zweifel dann offenbar doch mehr der Wissenschaftskarriere verpflichtet als dem Kind, sodass sie dieses Handicap weniger häufig spüren. Sie seien auch flexibler bei Ortswechseln, wenn schließlich mit um die 40 der Ruf als Professor an eine Universität erfolgt. „Die Juniorprofessuren haben für Frauen allerdings etwas zum Positiven verändert“, sagt Arend. „Sie kommen jünger in den Wissenschaftsbetrieb und können auch in der Professur an der jeweiligen Universität bleiben.“

Was bliebe, sei die an vielen Hochschulen nach wie vor ausgeprägt männliche Kultur, die sich eben auch in Berufungsverfahren niederschlägt. „Es wird nur nicht mehr ausgesprochen, aber viele trauen Frauen immer noch weniger zu“, sagt Arend. Das erklärt womöglich, warum viele Unis sich mittlerweile genaue Leitfaden auferlegt haben, wie eine freiwerdende Professur zu besetzen ist. In Stuttgart etwa, das mit 15 Prozent Frauenanteil unter den Professoren in dem WBS-Ranking auf dem viertletzten Platz landet, sieht die Ordnung vor, dass „mindestens zwei fachkundige Frauen“ zusätzlich ins Auswahlgremium berufen werden, außerdem nimmt die Gleichstellungsbeauftragte an den Sitzungen teil.

Eine Radikallösung wie in Eindhoven könne zwar Klagen von Männern nach sich ziehen, glaubt Helga Arend aus Koblenz. Andererseits: „Vom Gefühl her würde ich aber sagen, ja, ein guter Ansatz. Wir haben es schon so lange auf moderate Weise versucht, Frauen an die Spitze zu bekommen, vielleicht ist es an der Zeit, es etwas härter durchzuziehen.“ Genau das ist auch die Erfahrung von Eindhovens Uni-Rektor Frank Baajens. Bis 2020 wollte er 20 Prozent Frauen auf den Lehrstühlen erreichen. Doch alle Maßnahmen hätten nicht oder zu langsam gewirkt. „Deshalb brauchen wir eine neue Lösung.“

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