Universitäten Cottbuser Informatiker für die Welt

Hier lernen die jungen Informatiker, die selbst Weltkonzerne umwerben: die btu Cottbus von oben.Bildquelle: BTU Cottbus-Senftenberg.

Klein, aber fein: Intel, Google und Co haben ein Auge auf Absolventen der Brandenburgischen Technischen Universität in Cottbus geworfen. Die Region, die die schlauen Köpfe dringend braucht, verliert.

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Jacob Lorenz sieht aus, als sei er in seiner Zukunft schon angekommen. Das blaue Hemd ist akkurat gebügelt. Seine Erscheinung strahlt Professionalität aus. Allein der abgesessene Stuhl auf dem er in dem kleinen Raum sitzt und die in die Jahre gekommene Computer-Hardware verraten, dass er noch nicht in einem modernen Büro eines Weltkonzerns arbeitet, sondern noch in einem alten Trakt seiner Uni. Lorenz liegt in den letzten Zügen seiner Master-Arbeit an der Brandenburgischen Technischen Universität (btu) Cottbus. Anders als es das Klischee des Bummelstudenten suggeriert, sitzt ihm nicht allein die Frist zur Abgabe im Nacken, sondern auch schon sein zukünftiger Arbeitgeber. Seinen Vertrag für einen Job in Berlin bei SAP hat der Informatik-Student schon seit Monaten unterschrieben. Jetzt muss seine Arbeit nur noch vor dem ersten Arbeitstag fertig werden.

Abgabefrist vor Augen, Arbeitsvertrag in der Tasche – für Studenten der Informatik an der btu Cottbus ist es die Regel. Ihnen steht die Welt offen. Weltkonzerne wie SAP recken sich nach den Absolventen, locken mit guten Einstiegsgehältern, schönen Büros und Standorten in Metropolen.

Das Problem der Arbeitgeber in Cottbus: Im Wettbewerb um die Talente können sie kaum oder gar nicht mithalten. Die Region möchte nach dem Abbau von über 14.000 Stellen rund um den Abbau von Braunkohle wieder eine wirtschaftliche Perspektive. Und für die zarten Pflänzlein im IT-lastigen Mittelstand sind die Studenten der btu eigentlich eine wichtige Stütze.

Sie setzen auf familiäre Strukturen, kurze Wege zum Chef und die schnelle Umsetzung von Ideen, alles Dinge die in Konzernen häufig untergehen. Kai Garweg beschäftigt in seiner Gesellschaft für System- und Tankanlagentechnik 30 Mitarbeiter. Er bewirbt sein Unternehmen mit Flexibilität. Und gewohnter Umgebung. „Wenn sie bei uns starten, können die Studenten ihrer Unistadt treu bleiben“, sagt Garweg. SAP inszeniert derweil Start-Up-Kultur. „Wir duzen uns alle und bieten Arbeitszeitmodelle an, die zur Lebenssituation der Mitarbeiter passen“, sagt Cawa Younosi, Personalchef bei SAP.

Doch warum rangeln sich die Firmen ausgerechnet um die gerade mal 60 Informatik-Studenten pro Jahrgang von der btu? Dabei ist der gute Schlüssel Dozenten-Studenten nicht mal Plan. „Wir hätten gerne doppelt so viele Studenten“, sagt Claus Lewerentz, Sprecher des Instituts für Informatik. Und selbst dann wären es noch unterdurchschnittlich wenig Studenten. Die Qualität der Lehre an der btu Cottbus hat sich unter Arbeitgebern herumgesprochen. Im Uni-Ranking der WirtschaftsWoche platzierten Personaler die Informatik-Absolventen der btu Cottbus auf den elften Platz. Im Jahr 2010 war es noch Platz 31. Allein im Jahr 2017 sind vom Bund und vom Land Brandenburg 86 Millionen Euro in die Universität geflossen.

Das Geld wurde unter anderem in das brandneue, moderne Informatik-Gebäude investiert. Es ist keine fünf Gehminuten vom Institut für Verkehrstechnik entfernt. Dank der kurzen Wege arbeiten Studenten interdisziplinär. Informatiker entwickeln zusammen mit Elektrotechnikern und Ingenieuren zum Beispiel 3D-Modelle von Rolls-Royce-Triebwerken. Andere Teams entwickeln zur Zeit einen Sensor, der von der Decke des Zimmers den Herzschlag der Patienten in einem Krankenhaus messen kann. Wer über die lichten Gänge schreitet, vermutet hinter jeder Tür eine andere Innovation.

„Unsere Studenten werden früh in Forschungsvorhaben eingebunden“, sagt Claus Lewerentz. Bereits im zweiten Studienjahr entwickeln sie in Teams aus fünf Studenten ein eigenes Softwareprodukt. Die älteren Master-Studenten übernehmen das Projekt-Management. „Wer hier studiert hat, soll auch Führungsaufgaben übernehmen können“, sagt Lewerentz.

Für Außenstehende klingt das nach Spaß, nach ausprobieren und nach Chef-spielen. Doch fast die Hälfte der Erstsemester bricht das anspruchsvolle Studium ab. „Ihnen ist oft nicht bewusst, dass das Studium ein Vollzeit-Job ist“, versucht Lewerentz das Phänomen zu erklären. Er möchte dafür sorgen, dass weniger Studenten abbrechen. Doch die Prüfungen müssen sie letzten Endes doch alleine schaffen. Arbeitgeber notieren über die erfolgreichen Absolventen: Hat sich im herausfordernden Umfeld behauptet.

So wie Thomas Prescher, der Cottbus verlassen hat. „Die großen Firmen locken mit lukrativen Angeboten“, sagt er. Er hat sich auf den Bereich Betriebssysteme spezialisiert. Die Gruppe der Informatiker, die sich damit auskennen, ist um noch mal deutlich geringer als die der Informatik-Absolventen eh schon ist.

„Ich weiß genau, was die Cottbusser können“

Prescher entschied sich für Intel und ging in die USA. Wenn er über seine Motive erzählt, wird klar, weshalb Unternehmen aus der Region im War for Talents gegen die Tech-Giganten die Waffen fehlen. Intel sind die Informatik-Absolventen nämlich so viel wert, dass sie ihnen ein Angebot erstellen, dass die kaum ablehnen können, Prämien für Umzüge in die USA, Hilfe bei der Relocation und auf Wunsch veräußert Intel auch die eigene Immobilie in Deutschland. „In der Region Cottbus gibt es bisher zu wenige attraktive Arbeitgeber für Absolventen“, räumt Lewerentz ein. Die Technische Universität sollte Anfang der 90er ein Impuls sein – ein Impuls für die Hochschullandschaft des Ostens, die Attraktivität des Standorts ist jedoch ausbaufähig. Die Universität hat es immerhin geschafft, ein paar Unternehmen anzuziehen.

Ein Beispiel ist das Unternehmen Philotech aus München. Es hat 2006 in Cottbus einen Standort aufgebaut, um das Potenzial der btu-Absolventen zu nutzen. Und das hat geklappt. Mehr als die Hälfte der Mitarbeiter haben an der btu in Cottbus studiert. Der Ingenieurdienstleister für Luftfahrt und Mobilbau kann sie alle brauchen: Elektrotechniker wie Maschinenbauer. Und Philotech will sie am liebsten alle haben, besonders die Informatiker.

Im Jahr 2017 haben jedoch nur fünf Studenten ihre Urkunde als M.Sc. Informatik überreicht bekommen. Drei von ihnen sind zu Amazon gegangen, einer zu SAP. „Ein Großteil der Studenten wird direkt von der Uni weg rekrutiert“, sagt Daniel Scheibler von Philotech. Seit eineinhalb Jahren kann die Universität den Mitarbeiterbedarf von Philotech und anderen Unternehmen vor Ort nicht mehr decken. „Wir setzen gern auf die sogenannten Heimkehrer, die mit viel IT-Berufserfahrung zurück in die Lausitz kehren“, sagt Steffen Jurk vom Energieversorger LEAG. Er hat selbst an der btu Cottbus studiert und in Cottbus eine Familie gegründet. Er schätzt die kleine Stadt und hofft, dass künftige Absolventen der btu das auch tun und in sein Unternehmen kommen.

Das sind Deutschlands beste Unis
Das RankingFast 19.000 Studiengänge an knapp 400 Hochschulen gibt es in Deutschland. Bei so viel Auswahl tauchen schnell Fragen auf: Welche Uni oder Fachhochschule ist die beste? Welche verschafft mir den besten Start in die Karriere? Orientierung bietet dabei das exklusive Hochschulranking der WirtschaftsWoche. Mehr als 500 Personalverantwortliche fragte der Personaldienstleister Universum Global danach, von welchen Universitäten sie in verschiedenen Fächern am liebsten Absolventen rekrutieren. Die Top-Unis in den Bereichen BWL, VWL, Wirtschaftsingenieurwesen, Wirtschaftsinformatik, Maschinenbau, Elektrotechnik, Informatik und Naturwissenschaften im Überblick.Das große WirtschaftsWoche-Hochschulranking 2018 mit allen Ergebnissen für Universitäten und Fachhochschulen finden Sie hier. Quelle: dpa
RWTH Aachen Quelle: RWTH Aachen/Peter Winandy
RWTH Aachen Quelle: dpa
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Ludwig-Maximilians-Universität München Quelle: imago images
LMU München Quelle: LMU/Jan Greune
Uni Mannheim Quelle: Universität Mannheim/Norbert Bach

Thomas Prescher bemüht sich heute persönlich um zukünftige Mitarbeiter. Nach seiner Karriere bei Intel ist Prescher zu einem Unternehmen für Internetsicherheit, Fireeye in Kalifornien, gewechselt. Mittlerweile hat er sein eigenes Unternehmen Cyberus Technology. „Rekrutiere ich Studenten aus Cottbus, weiß ich genau, was sie können und gelernt haben, weil ich die Vorlesungen selbst mitgemacht habe“, sagt der Software-Architekt. Er versucht Studenten, die kurz vor dem Abschluss stehen, von einem Praktikum zu überzeugen oder ihre Masterarbeit in seinem Unternehmen zu schreiben – inklusive Bezahlung. „Das ist mein Lieblingsweg, neue Leute zu bekommen“, sagt er. Er nutzt, dass er die Wege zu den Räumen kennt, in denen die Informatik-Studenten sich treffen. Manchmal komme er zurück nach Cottbus um Vorträge über Betriebssysteme zu halten. „Dann setze ich mich dort gern einfach mal zu den Studenten und spreche Sie direkt an.“ Wenn Thomas Prescher einen Mitarbeiter gewinnt, hat er Amazon, Google und SAP ein Talent weggeschnappt. Verlierer bleibt Cottbus: Cyberus Technology sitzt in Dresden.

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