So werden Noten mehr und mehr zur Farce. Und die wirklich „Guten“ und „Sehr Guten“ werden benachteiligt, weil man sie nicht mehr von den Mittelmäßigen, aber auch mit „Sehr gut“ Benoteten, unterscheiden kann. Die Biologie ist da mit 98 Prozent der Abschlussnoten nicht ungewöhnlich - auch die Absolventen in Psychologie (97 Prozent), Philosophie und Geschichte, aber auch in Physik und Chemie wurden fast komplett „sehr gut“ oder „gut“ benotet. 95 Prozent aller Abschlüsse in den Geisteswissenschaften werden mit den Noten „Sehr gut“ und „gut“ schlecht bedient.
Diese Entwicklung hat wohl maßgeblich damit zu tun, dass man es sich als Professor nicht erlauben kann, auf längere Zeit schlechtere Noten als die Kollegen zu verteilen, sonst blieben die Masterstudenten weg. Deren Zahl ist politisch vorgegeben und wir brauchen sie auch für die Forschung.
Ganz anders die Situation in den Rechtswissenschaften. Eine „1“ ist dort fast unbekannt (nur 0,1 Prozent aller Kandidaten erhielten diese Note), die Durchschnittsnote republikweit ist eine 3,3 und 92 Prozent aller Noten waren „befriedigend“ oder „mangelhaft“. Etwa ein Drittel aller Staatsexamenskandidaten bestanden diese Prüfung nicht einmal. Die Juristen (genauer die Landesjustizprüfungsämter, denn die benoten die Staatsexamina) haben Recht. Eine 3 sollte die Note eines durchschnittlichen Studenten und eine 1 den wirklichen Überfliegern vorbehalten sein.
Denn wie sieht die berufliche Situation am Ende aus? Ein durchschnittlicher Biologe, der mit einer 1 seinen Master gemacht hat, wird bestenfalls in einem Job als Pharmareferent landen können wo er Ärzten die neuesten Medikamente aufzuschwatzen versuchen muss. Ein begabter Jurist jedoch, der „gut“ benotet wurde, wird sich die Starkanzlei mit einem mehrfachen des Gehalts des angeblichen Einser-Biologen aussuchen können. Damit will ich natürlich nicht implizieren, dass Juristen etwas Nützlicheres tun als Biologen, nur weil sie besser bezahlt werden.
In den USA werden keine Noten für Dissertationen vergeben, sondern allein ein „pass“ oder ein „fail“. Da wird es dem Markt überlassen zu beurteilen, ob ein Ph.D.-Titel aus North Dakota genauso viel zählt wie eine Abschlussarbeit aus Princeton. Auch dies ist kein perfektes System, weil es natürlich auch an den Eliteunis schwache Dissertationen gibt und exzellente aus weniger angesehenen Fachbereichen oder Universitäten.
Ich habe die Noteninflation an der Harvard Universität persönlich während meines Studiums erlebt. Dort will man Studenten, deren Eltern sehr viel Geld für das Studium bezahlen, nicht entmutigen. Auch das ist ein falscher Weg, denn allein der Abschluss aus Harvard, egal mit welcher Note, ist ja schon ein Türöffner für eine steile berufliche Karriere.
In Deutschland müssen wir zurück zu einer ehrlicheren und faireren Benotung. Und wir sollten aufhören, den Studenten etwas vorzumachen. Die Professoren wissen natürlich schon längst, dass da etwas nicht im Lot ist. Insbesondere die Riege der „Exzellenzuniversitäten“ in Deutschland sollte vorangehen und genügend Selbstvertrauen entwickeln, um Noten des gesamten Spektrums wieder nach einer Normalverteilung zu vergeben. Nicht jeder Doktorand oder Habilitand sollte gut genug sein für einen Titel oder sogar eine Note „sehr gut“. Nur dann werden Noten auch wieder etwas zählen und Abschlüsse einiger Universitäten mehr zählen, als die von anderen.