WHU-Professorin Kammerlander „Zu viele Abschlussarbeiten werden kaum gelesen“

Die Masterthesis kann den Berufseinstieg nach dem Abschluss prägen, sagt WHU-Professorin Nadine Kammerlander. Quelle: imago images

Nadine Kammerlander sitzt in der Jury des Supermaster-Wettbewerbs. Im Interview mit der WirtschaftsWoche im Januar 2020 erklärte die WHU-Professorin, wie die Masterthesis den Berufseinstieg prägen kann und womit Studierende beim Verfassen Probleme haben.

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Prof. Dr. Nadine Kammerlander leitet den Lehrstuhl für Familienunternehmen an der WHU - Otto Beisheim School of Management. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf den Themen Innovation, Governance und Nachfolge von Familienunternehmen.

Frau Kammerlander, Sie küren als Jurorin des Supermaster-Wettbewerbs die beste wirtschaftswissenschaftliche Masterarbeit. Was müssen Studierende liefern, wenn sie eine Chance auf den Sieg haben wollen?
Eine herausragende Masterarbeit ist in sich rund. Sie bearbeitet ein spannendes, relevantes Thema, bezieht die aktuelle Literatur mit ein, zeichnet sich durch eine robuste Datenanalyse aus und bietet interessante Schlussfolgerungen. Zu guter Letzt ist sie verständlich und gut geschrieben.

Welche Themen überzeugen Sie dabei besonders?
Wir, damit meine ich Wirtschaft und Gesellschaft, stehen vor vielfältigen neuen Herausforderungen. Digitale Technologien, veränderte globale Beziehungen, aber auch demographischer und kultureller Wandel. Diese müssen wir verstehen und dafür müssen wir Lösungsansätze finden. Arbeiten, die sich mit solchen Fragen beschäftigen, begeistern mich thematisch mehr als alter Wein in neuen Schläuchen.

Nadine Kammerlander kürt als Jurorin des Supermaster-Wettbewerbs die beste wirtschaftswissenschaftliche Masterarbeit. Quelle: PR

Auch als Professorin beschäftigen Sie sich regelmäßig mit den Abschlussarbeiten Ihrer Studierenden. Womit tun sie sich am schwersten?
Eine der größten Herausforderungen ist sicherlich, sich zu fokussieren. Studierende wollen oft alles erforschen und nehmen sich gleich eine ganze Reihe an Fragen vor. Leider übersehen sie dabei, dass über die vergangenen Jahre und Jahrzehnte bereits so viel an Wissen generiert wurde, dass diese breiten Felder im Rahmen einer zeitlich beschränkten Abschlussarbeit gar nicht ergründet werden können.

Was folgt daraus?
Im Ergebnis fehlt die Tiefe und letztlich dann leider auch die Aussagekraft. Vor allem bei neuen Themen ist die Versuchung besonders groß, ein breit angelegtes Phänomen mit vielen darunterliegenden Fragen zu untersuchen. Besser wäre es, sich auf eine davon zu fokussieren.

Haben bestimmte Themengebiete oder Methoden derzeit besondere Konjunktur?
In der Tat interessieren sich immer mehr Studierende für aktuelle Fragestellungen. Dazu gehört beispielsweise der Einsatz von künstlicher Intelligenz in den Industriebetrieben. Aber auch gesellschaftliche Phänomene wie die Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt erfreuen sich immer größerer Beliebtheit. Das Thema Nachhaltigkeit ist seit einigen Jahren ein Dauerbrenner. Methodisch sehen wir eine zunehmende Vielfalt. Und das ist auch gut so. Die Methodik sollte aber stets gemäß der gestellten Forschungsfrage gewählt werden. Große Datenbanken sind nicht immer besser als qualitative Interviewdaten – und umgekehrt.

Für wie wichtig halten Sie eine Masterarbeit für die späteren Berufsaussichten?
Eine Masterarbeit zu schreiben, fördert und fordert viele Kompetenzen: Wissen über ein Phänomen, wie zum Beispiel künstliche Intelligenz, eine Methodik oder eine Theorie. Zugleich aber zeigt es, wie jemand selbständig ein Projekt in einer vorgegebenen Zeit erfolgreich erledigen kann. Insofern kann eine sehr gute Note in der Masterarbeit ein tolles Signal an Personaler sein. Und wenn dann auch noch Thema oder Methodik zum erhofften Job passen, umso besser.

Gilt das auch für Studierende, die eine akademische Laufbahn anstreben?
Die Masterarbeit ist oft die erste eigenständige wissenschaftliche Arbeit und damit sehr wichtig für die mögliche spätere Karriere in der Wissenschaft. Im besten Fall lernt man bereits währenddessen das Rüstzeug für die wissenschaftliche Publikation. Sie kann aber auch als Lackmustest dienen: Wie viel Spaß macht mir das wissenschaftliche Arbeiten? Das Lesen von Forschungsliteratur? Das Sammeln und Analysieren von Daten? Das Schreiben an sich? Insofern kann die Masterarbeit durchaus Hinweise geben, ob man an einer wissenschaftlichen Karriere Freude haben wird. Die besten Abschlussarbeiten, die ich betreut habe, wurden in hochkarätigen Fachzeitschriften veröffentlicht. Das ist natürlich eine große Auszeichnung und der erste Schritt, sich in der Wissenschaft einen Namen zu machen.

Sind die Erkenntnisse, die Studierende in einer Abschlussarbeit gewinnen, denn für die Wissenschaft überhaupt relevant?
Das hängt vom Thema und der Qualität ab, aber auch davon, was mit ihnen geschieht. Dass nobelpreisverdächtige, bahnbrechende Erkenntnisse in einer Masterarbeit gewonnen werden, ist wegen der zeitlichen Beschränkung und der fehlenden Erfahrung natürlich eher unwahrscheinlich. Dennoch darf man nicht unterschätzen, welch wichtige Mosaiksteine an Erkenntnissen jedes Jahr durch schlaue Masteranden generiert werden. Zusammengenommen können sie durchaus einen sehr wertvollen Beitrag leisten. Leider verschwinden viel zu viele Abschlussarbeiten immer noch in der Schublade und werden kaum gelesen.

Diesen Arbeiten mehr Öffentlichkeit zu geben, ist ein erklärtes Ziel des Supermaster-Wettbewerbs. Was kann man als Student noch tun, um für seine Arbeit mehr Sichtbarkeit zu bekommen?
An meinem Lehrstuhl haben wir über einige Jahre hinweg die besten Abschlussarbeiten in einem Sammelband „Faszination Familienunternehmen“ veröffentlicht. Über alle Fachrichtungen hinweg bietet beispielsweise das Junior Management Science Journal (JUMS) die Möglichkeit, die eigene Abschlussarbeit zu veröffentlichen und die Erkenntnisse zu verbreiten.


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Sie selbst sind zwar BWL-Professorin, haben aber ein Diplomstudium in Physik absolviert. Wie haben Sie die eigene Abschlussarbeit erlebt?
Meine Diplomarbeit trug den Titel „Metallized DNA: Synthesis, Analyses und Properties“ und wurde mit der Note 1,0 bewertet. Kurz gesagt, habe ich darin versucht, kleine Silber-Nanopartikel in bestimmten Mustern auf einem Gitter aus künstlicher DNA wachsen zu lassen. Das war echte Grundlagenforschung. Manche der durchgeführten Versuche gelangen, viele scheiterten. Ich erinnere mich an viel, viel Arbeit, aber auch an viel Spaß. Und an das Gefühl, an etwas Neuem, etwas Eigenständigem zu arbeiten.

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