Wohnen Wohnen im Verbindungshaus: Die Bruderschaft

In den schicken Villen von Studentenverbindungen und Corps leben uralte Traditionen fort – das muss nicht immer Spaß machen.

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Erst auf den zweiten Blick entpuppt sich das Inserat als Lockvogelangebot. „Studieren – wohnen – feiern!“ steht da und ist an Studienanfänger in Hannover gerichtet. Da suchen ein paar Studenten neue Mitbewohner für eine vierstöckige 1000-Quadratmeter-Villa mit „riesigem Südwest-Balkon“ und Grillmöglichkeit, Köchin und Putzfrau inklusive, uninah und preisgünstig. Ein Traumangebot – glaubt der Neuling. Ältere Semester aber haben längst durchschaut, wer sich solch attraktiven Wohnungsanzeigen verbirgt. Es sind Corps, Verbindungen oder Burschenschaften. Sie bieten einige der schönsten Schlafstätten der Stadt. Doch dafür erwarten sie bedingungslose Begeisterung für ihre Gemeinschaft. Die ominösen Studentenzirkel genießen in Hochschulkreisen nicht gerade den besten Ruf. Sie gelten mal als Trupp trinkfester Haudegen, mal als rechtsradikale Kraftmeier. Andere dagegen sehen in ihnen eine moderne Eliteschmiede, ein Sprungbrett für Karrieristen und ein prima Netzwerk für den Start ins Berufsleben. Zahlreiche Wirtschaftsgrößen, darunter Gottlieb Daimler und Wilhelm von Opel, gehörten einem Corps an, ebenso der Künstler wie der Komponist Robert Schumann. Otto von Bismarck, der erste Reichskanzler war Corps-Student, genauso wie Karl Marx und Tierforscher Alfred Brehm. Gegründet im 18. Jahrhundert als akademische Zusammenschlüsse, die sich für ein geselliges und honoriges Hochschulleben einsetzten, waren Corps bald Teil der gesellschaftlichen Avantgarde. Hier gaben sich im 19. Jahrhundert die höheren Söhne der Bourgeoisie ein Stelldichein. In Studentenverbindungen feierten sie rauschende Bälle und pflegten ihren Ruf als deutsche Elite. Wer sich stärker politisch engagieren wollte, trat einer Burschenschaft bei. Nachwuchsprobleme Dort werden die Traditionen von vor hundert Jahren auch heute noch gepflegt. „Es gibt laufend politische Vorträge bei uns“, berichtet Markus Fleischer, Mitglied der Würzburger Burschenschaft Arminia, der im ersten Semester Medizin studiert und sich in der Gruppe aufgehoben fühlt. Für 90 Euro im Monat wohnt er in einem von sechs Zimmern über den Festsälen eines Jahrhundertwende-Hauses. Zwei Duschen gibt es auf dem Flur und eine doppelte Dachterrasse mit Blick über die Würzburger Altstadt. „Bei dem Wohnungsmangel in der Stadt ist das natürlich toll“, sagt Fleischer. Grundsätzlich sei das Haus offen für Jedermann, betont der 21-Jährige. Und das ist durchaus wörtlich zu nehmen. Traditionell nehmen nahezu alle Studentenverbindungen, Corps oder Burschenschaften ausschließlich männliche Hochschüler auf. Frauen betreten die ehrwürdigen Häuser nur zu offiziellen Feiern oder wenn sie auf der Durchreise sind. Corps sind reine Männerdomänen, und das zeigt sich vor allem abends. Dann holen die Verbindungsbrüder der Arminia ihre Fechtanzüge aus dem Schrank und üben sich im Schaukampf. „Viermal die Woche treffen wir uns auf dem hauseigenen Fechtboden“, erzählt Medizinstudent Fleischer. Danach steht oft noch ein bisschen Krafttraining auf dem Gemeinschaftsprogramm. Oder ein geselliger Bierabend, bei dem natürlich auch das traditionelle Farbenband getragen wird, das Erkennungsmerkmal einer Verbindung. Verbindungsstudenten lieben die Tradition und folgen zum Teil recht antiquierten Riten. Das erkennen auch Hochschulneulinge schnell. Nicht viele halten es deshalb lange in den Corpshäusern auf. Zwar bieten einige Verbindungen Erstsemestern an, eine Zeit lang ganz unverbindlich in ihren Häusern Probe zu wohnen. Doch wer nicht wirklich an einer Mitgliedschaft interessiert ist, darf meist bald wieder ausziehen. „Viele Verbindungen haben ganz klar Nachwuchsprobleme“, bestätigt Thomas Seeger, Geschäftsführer der Corps-Dachvereinigung Kösener Senioren-Convent-Verband (http://www.corpsstudent.de). Ein bisschen Werbung mit einer hübschen Villa in Zeiten studentischer Wohnungsnot wirkt da durchaus Wunder.

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