Immer mehr Firmen lassen ihren Mitarbeitern weitgehende Freiheit zu entscheiden, ob sie statt im Büro lieber zuhause oder sonst wo arbeiten wollen. Zwar gibt es weiterhin Vorbehalte, doch Arbeitgeber, die wie Yahoo-Chefin Marissa Mayer 2013 das Rad zurückdrehen und Heimarbeit unterbinden, müssen mit öffentlichem und vor allem firmeninternem Unmut rechnen. Zu rechtfertigen – zumindest vor den Investoren – wäre das Verbot von Heimarbeit allenfalls, wenn es gute Argumente dafür gäbe, dass sie die Produktivität schwächt, weil sich die Angestellten zuhause verdrücken.
Die beiden Stanford-Ökonomen Nicholas Bloom und John Roberts haben das in einem Feldexperiment überprüft http://qje.oxfordjournals.org/content/early/2014/11/20/qje.qju032.full.pdf+html . Sie kamen zu einem Ergebnis, das selbst Befürworter von Heimarbeit positiv überraschen wird.
Ihr freiwilliges Versuchskaninchen war die Firma Ctrip, der größte Reiseveranstalter der Volksrepublik China. Das Unternehmen will Heimarbeit aus zwei Gründen einführen: um Büro-Kosten zu sparen (die in Ctrips Heimatstadt Schanghai enorm steigen) und um die enorme Fluktuation der Angestellten (50 Prozent in einem Jahr!) zu verringern, also um schlicht attraktiver am Arbeitsmarkt zu werden.
Der neun Monate laufende Test fand also nicht als Simulation unter Laborbedingungen statt, sondern im wahren Geschäftsleben. Außerdem war James Liang, einer der Mitgründer des Unternehmens und Vorstandsmitglied, in das Untersuchungsteam eingebunden.
Homeoffice: 10 Regeln für Arbeitgeber
Flexible Arbeitsmodelle erfordern klare Vereinbarungen. Nur wenn die Rahmenbedingungen transparent und Erwartungen eindeutig formuliert sind, kann daraus eine vertrauensvolle neue Arbeitskultur entstehen.
Flexible Arbeitsmodelle eignen sich nicht für alle Aufgaben. Firmen müssen deshalb klare Regeln für den Rahmen für die Nutzung (wer kann flexibel arbeiten) und die Umsetzung (Anwesenheitspflichten, Arbeitsumfang, Verfügbarkeit) vorgeben. Gallup hat in verschiedenen Studien herausgefunden, dass gerade Mitarbeiter im Home-Office häufig nicht genau wissen, was von ihnen erwartet wird. Deshalb müssen Führungskräfte ihre Erwartungen und die Aufgaben besonders deutlich formulieren.
Nicht für jeden Mitarbeiter eignet sich Arbeiten im Home-Office: Jedem Mitarbeiter sollte freigestellt sein, diese Angebote im Unternehmen zu nutzen.
Die Ausschöpfung des vollen Leistungspotenzials hängt stark von der Motivation und persönlichen Stärken ab. Für Personen, die ein sehr großes Bedürfnis nach sozialer Interaktion haben, ist die Arbeit im Home-Office nicht ideal. Ein häufiger Fehler ist, flexible Arbeitsmodelle als „Belohnung“ für besondere Leistungen einzusetzen. Das schafft falsche Anreize. Daher sollte aufgrund der Stärken oder Arbeitsweisen des einzelnen Mitarbeiters entschieden werden, ob dieser Home-Office oder mobiles Arbeiten nutzen kann und darf.
Als Arbeitgeber sollte man seinen Mitarbeitern vertrauen und „loslassen“ können.
Die bloße Anwesenheit ist kein Indikator für die Qualität der Arbeit. Schafft ein Mitarbeiter seine Arbeit zu Hause schneller als im Büro, sollte sich die Führungskraft darüber freuen – und nicht aus Prinzip auf das Erfüllen von Zeitkontingenten bestehen. Generell sollte eine Führungskraft den Rahmen für die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter schaffen, sich selbst einbringen zu können.
Die Leistung von Mitarbeitern muss objektiv definiert und gemessen werden.
Jeder Mensch entwickelt seine eigene Arbeitsweise. Gleiches gilt für die Zeitplanung bei flexiblen Arbeitsmodellen. Starre Zeitkorsetts demotivieren und behindern eine produktive Arbeitseinteilung. Der Mitarbeiter muss an seinen Leistungen gemessen werden. Dies erfordert ein grundlegendes Performance Management im Unternehmen, das Leistungen objektiv definiert und misst.
Aus den Augen, aber nicht aus dem Sinn: Auch Mitarbeiter ohne permanente Anwesenheit brauchen Führung.
Bei Heimarbeitern sollte das Feedback bewusster und regelmäßiger erfolgen als bei den Kollegen vor Ort. Wenn Führungskräfte ein ehrliches Interesse an ihren Mitarbeitern zeigen, deren Arbeit regelmäßig bewerten und über die persönliche Weiterentwicklung sprechen, können sie die Mitarbeiter auch über große Distanzen hinweg binden.
Arbeitgeber haben eine Fürsorgepflicht. Das gilt insbesondere für flexible Arbeitsplatzmodelle.
Wenn der Mitarbeiter spätabends noch E-Mails schreibt, ist er dann überlastet? Oder ist das nur sein persönlicher Arbeitsstil? Um diese Frage zu beantworten, müssen sich Führungskräfte auch für den Mitarbeiter als Menschen interessieren und dessen Stärken, Routinen und familiäres Umfeld kennen. Gallup hat über 10 Millionen Menschen weltweit zum Thema »Mein Vorgesetzter/ Meine Vorgesetzte oder eine andere Person bei der Arbeit interessiert sich für mich als Mensch« befragt. Personen, die diesem Satz zustimmen, bleiben häufiger in ihrem Unternehmen, haben mehr emotional gebundene Kunden, sind erheblich produktiver und erwirtschaften mehr Gewinn.
Neue Meetingkulturen erleichtern effiziente Arbeitsprozesse innerhalb der Teams.
Für ein gemeinsames Verständnis der Ziele und Aufgaben ist ein enger Austausch im Team notwendig. Auch und gerade bei flexiblen Arbeitsmodellen. Häufig sorgen jedoch schwierige Terminabstimmungen oder ungenügende Kommunikationswege für Reibung. Regelmäßige Statusmeetings ermöglichen allen Beteiligten, Projektstände auszutauschen, Ideen vorzustellen, Aufgaben zu besprechen und frühzeitig Schwächen aufzuzeigen.
Den direkten Austausch fördern, sich gegenseitig schätzen – und so das Gemeinschaftsgefühl stärken.
Der Mensch benötigt täglich 6 Stunden soziale Interaktion, um sich wohl zu fühlen und gesund zu bleiben. Wenn Kollegen und Vorgesetzte sich auch über das Berufliche hinaus schätzen, entsteht ein positives Arbeitsumfeld und ein stärkeres Gemeinschaftsgefühl. Für die zwischenmenschlichen Beziehungen sind regelmäßige persönliche Treffen unverzichtbar.
Mitarbeiter müssen sich im Unternehmen willkommen fühlen und haben ein Anrecht auf einen Arbeitsplatz.
Die Anforderungen an Arbeitsplätze haben sich in den vergangenen Jahren aufgrund neuer Informationstechnologien und Arbeitsmodelle stark verändert. Doch noch immer gilt: Mitarbeiter brauchen eine Arbeitsumgebung, in der sie produktiv arbeiten können, in der sie sich wohlfühlen und willkommen sind. Das gilt ebenso für flexible Arbeitsmodelle. Maximale Flexibilität bedeutet auch, dass ein Mitarbeiter neben dem Arbeitsplatz z.B. im Home-Office auch Zugriff auf einen Arbeitsplatz im Team hat. Wie dieser gestaltet ist (z.B. durch Tablesharing oder Rollcontainer) muss vorab geklärt sein und dem Bedarf angepasst sein.
Neue Arbeitsstrukturen können nur erfolgreich sein, wenn sie mit der Unternehmenskultur und den Unternehmenszielen vereinbar sind.
Mitarbeiter, die der Aussage zustimmen „Die Ziele und die Unternehmensphilosophie meiner Firma geben mir das Gefühl, dass meine Arbeit wichtig ist“, sind produktiver und bleiben ihrem Unternehmen länger treu. Umso wichtiger ist es, dass Unternehmenskultur und flexible Arbeitsmodelle aneinander angepasst werden: In Unternehmen, in denen ein Kontrollzwang herrscht, werden Home-Office und mobiles Arbeiten nicht zum Erfolg führen. Und wer von der Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder von Flexibilität spricht, muss dies auch in der Praxis einlösen.
Alle Mitarbeiter des Call-Centers der Abteilung für Flug- und Hotelbuchungen in Schanghai durften sich entscheiden, ob sie für neun Monate an vier von fünf Arbeitstagen zu hause arbeiten möchten. 255 von 508 Mitarbeitern meldeten sich, die Hälfte von ihnen (diejenigen mit geradem Geburtsdatum) durfte von zuhause arbeiten. Die anderen blieben als Kontrollgruppe in der Firmenzentrale.
Beide Gruppen arbeiten gleichzeitig in derselben Schicht, unter denselben Schichtleitern, mit demselben Computersystem. Nur der Arbeitsort unterschied sich. Ctrip registriert sehr genau mit Hilfe seines Computersystems, wie lange die Mitarbeiter arbeiten, wieviele Abschlüsse sie tätigen und auf welche Weise sie den Kunden begegnen. Diese Daten erlaubten Bloom und Roberts einen exakten Vergleich der durchschnittlichen Leistung der Heim- und der Büroarbeiter.
Ergebnis: Die messbare Leistung der Heimarbeiter nahm im Laufe der neun Wochen deutlich um 13 Prozent zu. Der Grund dafür war, dass ihre Netto-Arbeitszeit länger war, weil sie weniger lange Pausen machten und seltener krank waren als zuvor. Aber auch auf die Arbeitsminute umgerechnet waren die Heimarbeiter produktiver als die im Büro. In begleitenden Befragungen begründeten die Mitarbeiter dies mit den ruhigeren Arbeitsbedingungen zuhause.