Arbeitspsychologe erklärt Das Homeoffice hat uns neurotisch gemacht

Quelle: dpa

In viele Büros kehrt wieder Leben ein. Zeit, zu fragen, was das Homeoffice aus uns gemacht hat. Haben wir uns als Menschen verändert? Wird das Büro der Ort, der er einmal war? Arbeitspsychologe Zacher hat es erforscht.

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Hannes Zacher ist Arbeits- und Organisationspsychologe an der Universität Leipzig. Ende 2019 begann der Universitätsprofessor damit, fast 1000 Erwerbstätige zu ihrer physischen und psychischen Gesundheit zu befragen. Seit dem Ausbruch der Pandemie entwickelte sich daraus eine Langzeitstudie. Seit März 2021 werden die Teilnehmer monatlich befragt.

WirtschaftsWoche: Herr Zacher, sind auch sie mittlerweile aus dem Homeoffice ins Büro zurückgekehrt?
Hannes Zacher: Ja, ich bin wieder im Institut. Ich vermeide das Homeoffice, wenn es geht. Wie viele war ich voriges Jahr im Homeoffice. Aber ich habe vier Kinder, deswegen kann ich nicht gut von Zuhause arbeiten. Ich komme so oft wie möglich ins Büro und beherzige da meine Forschungsergebnisse, die sagen, dass man nicht dauerhaft im Homeoffice arbeiten sollte. Das galt übrigens schon vor Corona.

Wie oft sollten Menschen von Zuhause arbeiten?
Empfohlen wird maximal ein bis zwei Tage in der Woche. Generell kann man sagen, dass nach ein bis zwei Tagen die Zufriedenheit von Mitarbeitern im Homeoffice abnimmt. Das hat damit zu tun, dass sie auch unproduktiver werden, weil sie leichter abgelenkt sind, und es schwieriger wird mit den Kollegen zu kommunizieren und sich zu koordinieren.

In Ihrer Langzeitstudie befragen sie seit März 2020 monatlich fast 1000 Personen. Erkennen sie sich in den Studienteilnehmern wieder?
Absolut. Vielen Teilnehmern hat es die Unabhängigkeit gebracht, die sie sich immer gewünscht hatten: größere Flexibilität und dass Beruf und Privatleben besser miteinander vereinbar sind. Darin erkenne ich mich wieder. Insgesamt berichten unsere Studienteilnehmer aber, dass Homeoffice für sie ein zweischneidiges Schwert ist. Viele fühlen sich dort sozial isolierter - fast schon einsam. Das Gefühl kenne ich auch.

Hannes Zacher ist Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Leipzig. Quelle: Gordon Welters

Wie groß ist bei den Menschen der Drang wieder ins Büro zu kommen?
Der Frust und die Pandemiemüdigkeit sind über die Zeit gestiegen. Gerade sehen wir, dass viele wegen der Erfahrung aus dem vergangenen Jahr den Wintermonaten mit Grauen entgegenblicken. Nach dem Winter war der Wunsch groß, ins Büro zurückzukehren, weil die Menschen wenig persönlichen Kontakt hatten. Zum Sommer hat sich die Situation wieder entspannt, aber einige unserer Teilnehmer dürfen immer noch nicht an ihren Arbeitsplatz zurückkehren, wann sie wollen.

Hat die Heimarbeit die Menschen psychisch verändert?
Eine unserer Erkenntnisse ist, dass Menschen durch die Pandemie neurotischer, unsicherer und ängstlicher geworden sind. Die Einschränkungen der Pandemie haben sich auf die Persönlichkeit der Menschen ausgewirkt und ihr Verhalten geändert.

Was löst diese Neurosen im Homeoffice aus?
In Krisenzeiten gehen Struktur und Kontrolle verloren, das Beklagen auch unsere Studienteilnehmer. Im Büro gibt es dagegen soziale Taktgeber, wie der Gang in die Kantine oder gemeinsame Meetings vor Ort. Ohne solche Taktgeber lassen sich Menschen leichter ablenken. Mit Gegenreaktionen wird versucht, die Kontrolle wiederherzustellen. Viele checken deshalb ständig ihre Handys oder E-Mails.

Spaltet das Arbeiten allein zuhause Teams?
Ja, in jedem Unternehmen gibt es Menschen, die schwieriger aus dem Homeoffice arbeiten können. Beispielsweise hier an der Universität mussten Tiere in den Labors versorgt werden, oder die Pflanzen im botanischen Garten. Hier waren Mitarbeiter eingeschränkter als wir Wissenschaftler. In Gruppen gibt es außerdem unterschiedliche Bedürfnisse von Sicherheit und sozialem Kontakt. Teams zerfallen da in Untergruppen und es bilden sich Trennlinien.



Werden Menschen durch das Homeoffice unterschiedlich belastet?
Bei introvertierten Menschen hat die emotionale Erschöpfung und der Stress im Homeoffice abgenommen, weil die Konflikte eher im Büro gesehen wurden. Bei Extrovertierten ist der Grund ins Büro zurückzukehren der Kontakt zu Kollegen. Es gibt da einen Zwiespalt: Kollegen können eine große Quelle von Unterstützung und Freude sein, aber auch gleichzeitig ein Grund für Konflikte, Stress und Erschöpfung.

Sind wir vor der Pandemie anders miteinander umgegangen?
Auf jeden Fall unbeschwerter. Es gab zwar vor der Pandemie schon Konflikte in Teams, aber jetzt spiegeln sich auch solche in der Arbeitswelt wider, die gerade in der Gesellschaft zu beobachten sind. Etwa, weil es verschiedene Meinungen zum Tragen von Masken oder generell zum Einhalten von Regeln gibt. Einige haben große Angst sich anzustecken und gleichzeitig gibt es Unsicherheit, wie man mit Teamkonflikten umgehen soll. Vielen Menschen fällt es sehr schwer, das anzusprechen.

Welche Mitarbeiter zieht es besonders ins Büro zurück?
Unterschiede bei Bildung, Einkommen und Lebensumständen haben Einfluss darauf, wie gut jemand im Homeoffice arbeiten kann und wie sehr man das Büro wieder herbeisehnt. Dazu gehören beengte Wohnverhältnisse oder auch unzureichende Ausstattung. Uns berichten Teilnehmer, dass sie sich ins Bad zurückziehen, um zuhause ruhig arbeiten zu können. Das führt zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft im Homeoffice. Der Büroarbeitsplatz ist der „great Equalizer“, er bietet allen die Möglichkeit sicher, gesund und sozial eingebunden zu arbeiten.

Schätzen Menschen die Leistung ihrer Kollegen im Büro höher ein als im Homeoffice?
Das trifft die Redewendung „Aus den Augen, aus dem Sinn“ ganz gut: Die im Büro haben das Gefühl, die anderen machen sich eine schöne Zeit zuhause – und die im Homeoffice haben ein schlechtes Gewissen oder zumindest die Befürchtung, dass die anderen so über sie denken. Das führt dazu, dass Menschen öfter noch nach Feierabend oder am Wochenende arbeiten. Sie arbeiten auch ungesünder. Zum einen, weil die Ausstattung in den Büros besser ist, zum anderen, weil sie sich Zuhause schlechter ernähren und keine klare Struktur haben. Im Übrigen gilt das auch für Vorgesetzte, die Mitarbeiter im Homeoffice weniger fördern und sogar weniger befördern.

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In ihrer Befragung fanden sie heraus, dass Menschen in der Pandemie seltener negative sowie positive Gefühle wahrnahmen. Hat das Homeoffice unser Leben emotionsloser gemacht?
Homeoffice hat es in jedem Fall dröger gemacht. Arbeiten ist ja mehr als nur Geld verdienen: Es bietet Struktur, sozialen Kontakt und auch Klatsch und Gerüchte, kurz: alles was das Mensch sein ausmacht. Wenn wir Studienteilnehmer fragen, was bei ihnen im Berufs- und Privatleben passiert, kommt oft, dass durch das Arbeiten zuhause bei ihnen nichts los ist.

Was aus dem Homeoffice und der Krise werden wir in die Büros mitnehmen?
Dieses Gepäck aus Krise und Homeoffice ist mittlerweile ein Teil von uns geworden - das schütteln wir nicht so leicht ab. Die lange Zeit im Homeoffice hat das Selbstvertrauen vieler gesteigert und beinhaltet gleichzeitig einen Lerneffekt. Nämlich, dass die einen in Zukunft mehr im Homeoffice arbeiten wollen und die anderen zukünftig eine Garantie verlangen, dass sie ins Büro gehen können. Diese Erfahrungen müssen wir jetzt Aufarbeiten, um in Zukunft für solche Situationen besser gewappnet zu sein.

Mehr zum Thema: Im Homeoffice lauern erstaunlich viele Störquellen. Mit ein paar Tricks lassen die sich minimieren. Manchmal hilft aber nur noch die Flucht.

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