Desksharing So endet die Rückkehr ins Büro nicht im Chaos

Gut besetzt: Wenn mit dem Juni die gesetzliche Homeoffice-Pflicht endet, dürften in den Büros zwar wieder mehr Mitarbeiter anwesend sein. Aber womöglich auch weniger Schreibtische. Quelle: imago images

Wer nach dem Ende der Homeoffice-Pflicht Kosten sparen will, verteilt die Bürorückkehrer auf wenige Schreibtische. Entweder in chaotischen Excel-Tabellen. Oder mithilfe von Desksharing-Software. Das bieten die Programme.

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Wenn ab diesem Donnerstag mit dem Ende der Homeoffice-Pflicht wieder mehr Beschäftigte in die Büros strömen, könnte sich vieles schnell vertraut anfühlen: der eigene Schreibtisch, die eingerahmten Selfies aus dem Urlaub und die grellen Post-its am Rand des Monitors, die einen daran erinnern, was man in einer Zeit vor dem pandemiebedingten Homeoffice-Siegeszug noch so dringend erledigen wollte. Bloß: Vielerorts wird von diesen Bürofossilen gar nicht mehr viel übrig sein. Plötzlich sollen sich die Mitarbeiter beim sogenannten Desksharing einen Tisch teilen und selbst entscheiden, wo sie sitzen wollen. Das klingt effizient, wollen doch viele Firmen ihre Mitarbeiter nun mehrere Tage pro Woche ins Homeoffice lassen.

Damit dieses Wechselspiel jedoch nicht im Chaos endet, braucht es neben bereitwilligen Mitarbeitern vor allem Bürokratie. Schließlich sollen die Mitarbeiter vielerorts schon im Voraus ihren Platz buchen können. Das mag bei kleinen Unternehmen noch in Excel-Listen, auf Zuruf oder in Mailverläufen funktionieren. Doch Experten raten gerade bei großen Unternehmen und Konzernen zu Software, mit der sich die Mitarbeiter online ihren Lieblingsplatz aussuchen können. Aktuell fluten immer neue Anbieter und Produkte den Markt. Schließlich ist die Auftragslage dank der auslaufenden Homeoffice-Pflicht und einer neuen Lust aufs Büro groß.

Die Berater – TimeFleX Solutions

Das spürt auch René Anstötz, der sein Tool für Desksharing schon seit Mitte 2019 anbietet. Seine Software TimeFleX Solutions entwickelte der Geschäftsführer der SDFE GmbH ursprünglich mal als Gruppenkalender für Unternehmen. Damit jeder von den Terminen der Kollegen weiß. Desksharing ist nur ein Modul der Software. Kunden können auch das Catering organisieren und digitale Türschilder betreiben.

von Jan Guldner, Dominik Reintjes

Für das Desksharing lässt Anstötz von einem anderen Dienstleister aus den Bauplänen der Gebäude schicke 3D-Ansichten der Büros erstellen. „Damit wollen wir Akzeptanz bei den Mitarbeitern schaffen, wenn die Pläne wirklich so aussehen wie ihr echtes Büro – und nicht wie ein schwarz-weißer Lageplan, der im Büro an der Wand hängt“, sagt der Unternehmer.
Die Kunden legen dann noch fest, über welche Ausstattung die Tische verfügen, wie früh im Voraus die Mitarbeiter buchen dürfen – und wie häufig sie einen Tisch reservieren dürfen. So beugen die Unternehmen dauerhaft belegten Plätzen vor. Die Mitarbeiter buchen dann wahlweise im Browser oder im Mailprogramm ihre Plätze.

Anstötz versteht sich nicht nur als Softwareanbieter. Der 53-Jährige will auch Berater sein. Schon vor dem Start des Desksharings können Unternehmen ihre Belegschaft mit einer anonymen Umfrage zu deren Anforderungen befragen: „Dort wird etwa gefragt, ob sie Wert auf ein persönliches Bild am Schreibtisch, das eigene Telefon oder ein Headset legen“, sagt Anstötz. Und auch Planungssicherheit will er den Kunden geben. Schließlich ist einer der größten Fehler beim Desksharing, jeden Tag mit denselben Durchschnittswerten für die Belegung zu planen.

Desksharing ist ein saisonales Geschäft. Und deshalb setzt Anstötz die Befragten konkreten Szenarien aus. Zum Beispiel: „Es ist ein warmer Sommertag mit erwarteten 29 Grad.“ Die Desksharing-Neulinge geben nun an, ob sie bei der Hitze lieber im Homeoffice oder im möglicherweise gekühlten Büro arbeiten wollen. Analog funktioniert es mit einem frostigen Tag, der viel Neuschnee bereithält und der Heizung alles abverlangt.

Die Pragmatiker – Flexopus

Das Stuttgarter Unternehmen Banauten setzt in der hauseigenen Software Flexopus vor allem auf simple Abläufe. In nur vier Schritten sollen die Mitarbeiter in der Software, die im dunkelgrauen Look mit grünen Akzenten daherkommt, ihren Platz buchen können: Erst den Zeitraum auswählen, dann die Etage, den Platz der Wahl – und bestätigen.

Anders als TimeFleX zeigt Flexopus das Büro nur von oben in einer 2D-Karte an. „Der Mehrwert, den schicke 3D-Karten bieten, rechnet sich für uns nicht“, sagt Banauten-Geschäftsführer Markus Merkle. Das passt auch nicht zum simplen Ansatz. Seine Kunden erhalten zwar eine Anleitung für das Programm. „Ich würde allerdings nicht darauf wetten, dass die jemals gelesen wurde“, sagt Merkle.
Für Unternehmen sind die Datenauswertungen besonders interessant, die Flexopus seinen Kunden anbietet: Aus den Buchungsdaten erstellt die Software zum Beispiel eine Heatmap. Eine Ansicht des Büros, die mit Farben zeigt, welche Plätze besonders begehrt sind – und welche nicht. Unbeliebte Plätze können die Unternehmen noch mal umstellen oder ganz wegfallen lassen. Und so Kosten einsparen.

Aktuell stellt Merkle im Geschäft einen „Ketchup-Effekt“ fest, nachdem nur wenige Firmen zu Beginn eine Lizenz bei ihm kauften. Doch nun „fühlen sich viele Unternehmen durch das Ende der Homeoffice-Plicht gezwungen, nun direkt ab Anfang Juli eine Lösung für das Desksharing zu finden und wenden sich teils ratlos an uns“, sagt Merkle. Zum Preis der Software präsentiert Merkle nur eine Beispielrechnung: „Wenn ein Unternehmen einhundert Arbeitsplätze hat, verlangen wir im Monat rund 250 Euro“, sagt Merkle. 2,50 Euro pro Arbeitsplatz.

Die Großen der Branche – Condeco, HotDeskPlus, Envoy und Robin

Die deutschen Unternehmen stoßen auf dem Markt auf reichlich ausländische Konkurrenz. Vor allem auf Anbieter aus den USA oder Großbritannien – wie so häufig bei Software. Die Funktionsweise ist meist sehr ähnlich. Die Bewerber unterscheiden bei den Funktionen, die sie neben dem Desksharing noch anbieten. Einer der Pioniere unter den Desksharing-Softwares kommt aus London. Condeco wurde bereits 2005 von Paul Statham gegründet. 2000 Kunden will das britische Unternehmen haben. Deutsche Anbieter wie TimeFleX und Flexopus sprechen von „Hunderten Kunden“.

Ebenfalls aus London stammt der Anbieter HotDeskPlus, der wie Flexopus auf simple Bedienung setzt und die Buchung mit einem Klick verspricht. Das US-amerikanische Envoy bietet neben dem Desksharing noch Lösungen für das Besuchermanagement, Raumbuchungen und zählt Digitalunternehmen wie Zoom, Stripe und Slack zu seinen Kunden. Das 2014 gegründete Start-up Robin aus Boston hat in drei Finanzierungsrunden bislang 30 Millionen US-Dollar eingenommen und lässt sich in bekannte Büro-Apps wie Outlook, Zoom, Slack und Teams einbinden.

Der Möbelhersteller, der keiner sein will – WINI

Und selbst Unternehmen, von denen man es nicht erwartet, bieten Lösungen für das Desksharing an. So auch WINI, ein mittelständischer Hersteller von Büromöbeln in Familienbesitz. Gegründet 1908 im niedersächsischen Duingen. Einem Ort mit nicht mal 5000 Einwohnern. Jan Hendrik Karsch führt das Unternehmen seit Jahresbeginn in vierter Generation. WINI versteht sich „schon lange nicht mehr als klassischer Möbelhersteller“, sagt der 31-jährige Firmenchef. Sondern als „Lösungsanbieter“.

Was Karsch mit der kryptischen Beschreibung meint? Interessiert sich ein Kunde für Desksharing, entwickelt Karsch gemeinsam mit Partnerunternehmen ein Konzept. Für spezielle Buchungsgeräte, die einem Untersetzer ähneln, lässt Karsch in die WINI-Tische Löcher bohren, damit die Geräte nicht unschön auf dem Tisch herumliegen. Nachdem der Mitarbeiter eingecheckt hat, fahren die Geräte den Tisch direkt auf die eingespeicherte Arbeitshöhe. Wie ein modernes Auto, das direkt die Lieblingsposition des Fahrers einstellt. Auch deutlich kleinere „NFC-Sticker“ hat WINI im Angebot. An diese halten die Mitarbeiter lediglich ihr Smartphone und checken so ein.

Der Kunde erhält dann von WINI Schreibtische samt Desksharing-Geräten, Rollcontainer, Spinde und digitale Türschilder. Für die technischen Komponenten arbeitet Firmenchef Karsch mit dem niederländischen Unternehmen GoBright zusammen. Doch selbst Unternehmen, die für ihr geteiltes Büro gar keine Tische, Rollcontainer oder Spinde von WINI benötigen, sondern nur die Geräte und die Software, seien bei dem Mittelständler richtig, sagt Karsch.

Nur WINI selbst nutzt die Desksharing-Produkte noch nicht. „Man darf nicht vergessen: Wir sind ein traditioneller Mittelständler vom Land. Zuallererst müssen wir uns auch kulturell auf die flexible Arbeitswelt einrichten“, sagt Karsch. Doch sein Unternehmen „sei auf dem Weg“.

Mehr zum Thema: Wenn bald die Pflicht zum Homeoffice fällt, wird vielen Rückkehrern ins Büro etwas fehlen: der eigene Schreibtisch. Desksharing soll Kosten sparen und Kollaboration fördern. Doch die Umsetzung ist komplizierter, als es scheint.

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