Karriereleiter
Unser Kolumnist schlägt eine Mutprobe vor: Alle aus dem Homeoffice ab in die Workation. Quelle: obs

Statt Großraumbüro: Kämpfen Sie für Ihr ganz eigenes Kreativ-Ambiente

Brillante Ideen, Feinschliff und Visionen entstehen selten auf Zuruf oder in der Kaffeeküche. Ein Umfeld, das Ihr kreatives Potenzial wachküsst, ist kein Schickimicki, sondern wegweisend effizient.

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Wie heben Sie möglichst Ihr ganzes kreatives Potenzial? Bevor ich dazu komme: Es gab eine Zeit, vielleicht noch so bis vor zehn Jahren, da galt es als das Non-plus-Ultra, die Belegschaft im Konferenz-Raum bei Kaffee und Keksen aus der blauen Dose an der Flipchart zusammenkommen zu lassen: „Wer schreibt vorne mit?“ Die Idee dahinter: Im Brainstorming kommt eins zum anderen, die Hirne überschlagen und überbieten sich und am Ende steht da der kreative Erguss aller.

Das System lebte von einem verführerischen Irrglauben: Wenn alle gemeinsam zu diesem Ergebnis gekommen sind, dann muss das ja das Beste sein, zu was wir in unserem Unternehmen in der Lage sind. Und wer will dem Resultat widersprechen? Er und sie waren ja an der Exegese beteiligt.

Dieses Alles-Zusammenschmeißen war auch Grundlage für die nächste süße Verführung: das Großraumbüro. Leider bauen bis heute Firmen Bürofläche ab, reißen Wände und Türen raus und kombinieren Mietersparnis mit dem alten Traum vom Gemeinschaftsgehirn: einfach alles auf kurzem Dienstweg abstimmen. Unbürokratisch, flott, flexibel. Mit Mut machenden Titeln wie Newsdesk, Stern, Kreativpool. Wer da sagt: „Ich will aber mein eigenes Büro haben“, gilt schnell als Eigenbrötler mit Hang zum Prestigedenken. Von gestern eben. Vermeintlich.

Alle alles zusammen gleichzeitig verhindert oft Brillanz

Die Arbeitswelt staunte damals, als Yahoo vor rund acht Jahren bekannt gab, Homeoffice zu verbieten. Nämlich aus genau der beschriebenen Logik: „Einige der besten Entscheidungen und Erkenntnisse kommen auf dem Flur und der Cafeteria zustande, bei spontanen Treffen.“ Das waren damals die Worte der Yahoo-Personalchefin. Doch in der „New York Times“ revidierte sie nun diese Einstellung. Sie hatte sich geirrt. Eine Studie von 2019 kommt zu dem Ergebnis: Auch das Großraumbüro liefert selten die erhofften fruchtbaren Begegnungen.

Der Großraum-Kreativ-Glaube verkennt eins: Alle alles zusammen gleichzeitig verhindert oft Brillanz. Es fehlt Zeit, Ruhe und Muße, um sich in einen Gedanken hineinzubohren, in Details abzutauchen, Ideensplitter wirken zu lassen und im eigenen Kopf abzuwägen.

Oder anders gesagt: Wenn einem dauernd einer reinquatscht, kann man keinen klaren Gedanken zu Ende bringen.

Ich bin fest davon überzeugt: Kreative Brillanz braucht einen ganz individuellen Raum. Und jeder und jede von uns brilliert auf seine und ihre Weise. Wenn wir in der Kantine jeden Tag aus sechs Mahlzeiten aussuchen dürfen, in der Café-Ecke aus acht Kaffeespezialitäten, auf der Dienstreise im Hotel eins von vier Kissen aus dem Pillow-Büffet wählen – warum sollte dann, wenn es inhaltlich wirklich darauf ankommt, gelten: alles für alle gleich und dann auch noch gleichzeitig?

Es ist nicht anmaßend, sondern professionell zu sagen: Ich brauche meine ganz persönliche Wohlfühl-Atmosphäre, damit ich für dich, lieber Arbeitgeber, zur kreativen Höchstleistung auffahren kann. So sind wir Menschen nun einmal. Alles, was uns davon abhält, in Ruhe in Gedanken abzutauchen, mindert den Ertrag. Und solange der Kompromiss vermeidbar ist, lohnt es sich, selbstbewusst mehr Kreativ-Qualität einzufordern. Zugunsten des Unternehmensziels. Eine kostenlose Nussmischung für alle und eine Telefonier-Kabine küsst unser Potenzial nicht wach. Aber was dann? Finden wir es heraus.

1. Keine Hemmungen: Wohlfühlen ist kein Incentive-Bullshit

Freie Auswahl! Fragen Sie sich: Wie kann ich mich am besten konzentrieren? Alles ist erlaubt. Denn das Gute ist: Dank moderner Kommunikationsmittel ist heute sehr viel mehr möglich. Zusammenarbeiten und trotzdem Freiraum für ganz in Ruhe sich selbst befruchtende Gedanken nur im eigenen Kopf. Fragen Sie sich nicht: Was erlaubt meine Firma wohl am Ende? Sondern als erstes einzig und allein: Welches Umfeld entfacht in mir meine besten Ideen? Erinnern Sie sich: Wann waren Sie besonders gut? Alles ist drin: vom Tag, an dem Sie alleine im Großraum saßen bis hin zur Was-ich-noch-alles-im Leben-machen-will-Liste im Urlaub am Strand.

2. Was befreit Sie wie wann?

Als ich damals als Moderations-Anfänger zum ersten Mal Moderationstexte für eine ganze Staffel des TV-Wissenschaftsmagazins WOW für Kinder geschrieben habe, hat mir mein Chef erlaubt, von Zuhause aus zu arbeiten. Weil ich dort eins konnte: laute Selbstgespräche führen. Die Moderationen ausprobieren. Auf und ab gehen, Ideen nicht nur denken, sondern aussprechen, mit mir selber diskutieren. Das war damals der Kreativitäts-Booster. Mundtot am Rechner im Dreierbüro hätte ich das einfach nicht hinbekommen.

Mein erstes Homeoffice. Damals noch mit viel Skepsis beäugt von den anderen. Ja, mit eigenem Klo, besserem Kaffee und der Möglichkeit, mich zum Nachdenken aufs Bett zu legen und aus dem Dachfenster in den Himmel zu gucken. Faul? Zu luxuriös? Nein: ertragreich.

Sie führen keine Selbstgespräche? Warum nicht? Weil Sie es schon ausprobiert haben und dem nichts abgewinnen können? Dann lassen Sie es ganz entspannt sein. Weil Sie das irgendwie für irre halten? Dann probieren Sie aus.

Gerade in diesen Monaten sitze ich wieder an meinem nächsten Roman. Und der entsteht nicht einfach zwischen Tür und Angel. Wenn ich weiß, dass ich gleich noch einen Telefontermin habe, der Schreibtisch unaufgeräumt ist oder ich noch eine E-Mail vor mir herschiebe, fällt es mir schwer, in die Roman-Handlung abzutauchen. Ich habe erkannt: Ich brauche einen freigeräumten inneren Desktop genauso wie einen frisch gewischten echten Schreibtisch. Dann kann es ohne Bremse losgehen.

Gleichzeitig kann ich im ICE bestens abschalten: Ohrenstöpsel rein und schreiben. Weil ich weiß, dass ich jetzt im Zug ohnehin nichts anderes tun kann. Keine Termine außer fahren.

Ich kenne Leute, die kommen mit tollen Ideen vom Joggen oder Rennradfahren zurück. Ich stelle bei mir immer wieder fest, dass ich beim Duschen in Gedanken abdrifte, in die Handlung meiner Geschichten abtauche, über Projekte nachdenke und mir nächste Meilensteine vornehme, noch bevor ich zum Handtuch greife. Anfangs hatte ich ein kleines schlechtes Gewissen, zwanzig Minuten unter dem heißen Wasser gestanden zu haben. Mittlerweile plane ich langes Duschen ein, wenn ich in Ruhe nachdenken möchte.



Glauben Sie, dass es Sie beflügeln würde, morgens vor der Arbeit kurz ins Meer zu springen? Lachen Sie nicht. Wir sammeln erst mal.

3. Was folgt daraus für den Arbeitsalltag?

Wenn Sie (idealerweise alle im Team) einmal gesammelt haben, was jeden und jede beflügeln würde, kommt die nächste Phase: Was lässt sich davon im Arbeitsalltag umsetzen? Werfen Sie alte Hemmungen über Bord.

Beispiel: Wenn Sie seit Monaten ununterbrochen im Homeoffice arbeiten, Zugriff auf alle Verwaltungs- und Kommunikationsprogramme haben, alle Inhalte und Dokumente auf die Entfernung teilen können und per Videocall alles Relevante sogar auf Zuruf besprechen können, was spricht eigentlich dagegen, dieses Office für ein paar Wochen in ein Hotel am Strand zu verlegen? Und zwar zusätzlich zum Jahresurlaub? Solange sich alle darauf verlassen können, weiter genauso im Team mit Ihnen arbeiten zu können? Und schon wäre der Sprung ins Meer vor der ersten Videokonferenz ganz real. Der Kaffee am Pool in der Mittagspause und eine Runde Joggen an der Seepromenade am Feierabend statt durch den heimischen Stadtpark.

Workation. Work + Vacation. Arbeiten im Urlaubsambiente. Besprechen Sie selbst solche dicken Bretter mit Ihren Vorgesetzten. Das Gute ist: Es spricht nichts Durchschlagendes dagegen. Es müssen ja nicht gleich zwölf Stunden Zeitverschiebung sein.

Klein-Klein, aber großer Effekt

Was ich sagen will: Es geht sogar die große Nummer. Und kleiner geht sowieso.

- Sie wollen eine Rede schreiben? Graben sie sich für ein, zwei Tage daheim ein. Nicht wegen Luxus. Sondern weil es gut werden soll.

- Ihnen fehlt der Tiefgang im Brainstorming? Verteilen Sie Aufgaben: Jeder bekommt die, die ihm am besten liegt, geht alleine in sich und bringt seine Überlegungen das nächste Mal mit. Verantwortung verteilen statt teilen. Und so Tiefgang erlauben.

- Sie brauchen ein ansprechendes Umfeld, um gute Ideen zu haben? Investieren Sie ein paar Euro in ein schöneres Büro. Es muss nicht gleich die große Kernsanierung sein. Gönnen Sie sich einen neuen Wasserkocher, ein dekoratives Poster, einen niedlichen Kaktus. Eben was Ihnen liegt und Freude macht. Klingt nach Klein-Klein, aber der Effekt kann groß sein.

- Ihnen fällt im Büro oder zuhause von Zeit zu Zeit die Decke auf den Kopf? Vereinbaren Sie verlängerte Mittagspausen mit ein paar Stunden Arbeitszeit vom Café aus.

- Das Großraumbüro ist zu laut? Vereinbaren Sie, dass Gespräche telefonisch über Tische hinweg geführt werden. Dass Telefone leiser gestellt werden. Dass Standleitungen über Tisch-Tablets per WLAN aufgebaut werden. Die Verbindung reicht sogar bis ins Homeoffice. Für ein Nebeneinander-Gefühl sogar über unendlich viele Kilometer.

Letztendlich sind all diese Überlegungen Teil des Kampfes gegen alte Zöpfe. Eine ältere Kollegin sagte mir einmal: „Im Büro will ich keine Wohnzimmeratmosphäre. Ich bin hier zum Arbeiten.“ Wohlfühlabstriche als Zeichen von Hingabe. Bitte nicht! Die hochgelegten Füße, der gute Tee, der Spaziergang durch den Wald, institutionalisierte Eigenkreativ-Phasen statt mittelmäßige Massen-Brainstormings, mobiles Büro im Café statt Großraum – all das sind individuelle Lösungen für mehr Entspannung, Freiraum, Abwechslung und Spaß im Job. Wer so arbeitet, ist zufriedener und hat auch bessere Ideen. Beim Alten bleiben, weil es irgendwie immer so war, ist das allerschlechteste Argument.

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Lernen Sie sich besser kennen. Was wäre für Sie ganz persönlich ideal? Und suchen Sie dann gemeinsam mit dem Team die beste Lösung für den Arbeitsalltag. Probieren Sie gemeinsam die Extreme aus. Dann wissen Sie, was alles geht. Mutprobe: Alle aus dem Homeoffice ab in die Workation. Jeder an seinen Lieblingsort. Wetten, dass danach nichts schlechter läuft, aber vieles besser? Jetzt ist die Zeit für große Umbrüche. Viel Erfolg.

Mehr zum Thema: Die Arbeit vom heimischen Schreibtisch ist flexibler, kann Umzüge ersparen und ist oft konzentrierter. Gäbe es da nicht ein Problem: die Kommunikation mit den Kollegen.

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