Niedergang einer Kultspeise Nachruf auf den Kraftriegel in der Produktion

Stillleben mit Plastikgabel: Die Currywurst mit ihren klassischen Beigaben Pommes frites und Mayonnaise. Quelle: dpa

VW verbannt die Currywurst aus seinem Wolfsburger Restaurant, auch sonst schwindet die Zuneigung der Deutschen für ihre einst liebste Speise. Doch das Schicksal eines Generationsgenossen macht Hoffnung. Eine Glosse.

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Vielleicht musste es so kommen, irgendwann frisst der sich wandelnde Zeitgeist seine Kinder eben alle. Nachdem der Autohersteller Opel sein Modell Manta schon 1988 letztmalig vom Band laufen ließ, scheint nun auch die Speise ihre besten Tage hinter sich zu haben, der er einst den Namen gab: die Currywurst, in Kombination mit Pommes frites und Mayonnaise einst als „Mantaplatte“ tituliert.

Für die nämlich geht es gerade Schlag auf Schlag bergab. Erst verlor sie im Mai ihren Titel als beliebtestes Kantinenessen hierzulande an den alten Rivalen Spaghetti Bolognese, jetzt geht der Autokonzern Volkswagen sogar noch einen Schritt weiter und verbannt die geschnittene Wurst in Soße aus seinem im Wolfsburger Markenhochhaus ansässigen Betriebsrestaurant, wie die Fließbandküchen von einst längst heißen. Auch der derzeit größte Fürkämpfer der Currywurst ist eine leicht aus der Zeit gefallene Figur: Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder, der ihr immerhin noch den schönen Beinamen "Kraftriegel des Facharbeiters" verpasste. 

Wann genau das gehaltvolle Gericht zum Lieblingsessen der Deutschen mutiert ist, lässt sich heute nicht mehr sagen. In Berlin gibt es zwar eine Imbissbude, welche die Erfindung für sich reklamiert, aber das dürfte ähnlich gut belegbar sein wie die deutlich unterhaltsamere Geschichte, die der Autor Uwe Timm um die Entdeckung der Currywurst herum ersonnen hat.



Dass diese Alleinherrschaft über die Pappschalen in Fußballstadion und Freibad jetzt einfach so zu Ende gehen soll, ist eigentlich kaum vorstellbar. Zu robust hat sich die Wurst bisher neben anderen, objektiv überlegenen Gegnern gehalten. Wie viel gesünder auch ein gut gefüllter Döner sein mag, wie viel facettenreicher auch die Welt der Pizza, im Leben der Nation gab es immer Momente, die unmissverständlich nach einer Currywurst verlangten, wie es Herbert Grönemeyer im gleichnamigen Hit 1982 auf den Punkt brachte: „Kommst du von der Schicht, was schöneres gibt es nicht, als ne Currywurst.“

Wahrscheinlich kostet die Currywurst nun genau das ihre Sonderstellung, was sie einst groß gemacht hat. Sie ist eine Speise für die Masse, wer sich damit absetzen will, hat schon verloren. Eine Pizza lässt sich mit Ziegenkäse und Birne veredeln, ein Burger mit Avocado und Wagyu-Rind.



Aber eine Currywurst? Eine Düsseldorfer Wurstbraterei hat sich vor Jahren mal an einer Variante mit Blattgold versucht, das sorgte zwar für viel Aufmerksamkeit, gekauft aber hat die Glitzerwurst kaum einer. Sie ist schon wieder Geschichte. Auch über die Kalorienbilanz der Wurst kann man sich schwerlich Illusionen machen, der fünfstufige Nutri-Score hätte hier wohl um die sechste Farbstufe Dunkelrot erweitert werden müssen, zum Glück aber gilt der nur für abgepackte Speisen.

Und so bleibt der Currywurst die Hoffnung, auch in Zukunft das Schicksal ihres Generationsgenossen Opel Manta zu teilen: Der soll bald als Elektroauto wieder aufgelegt werden. Die Aufgabe für die Volkswagen-Köche dürfte nicht kleiner sein, das Produkt Currywurst vegan, salz- und fettfrei zu imitieren.

Mehr zum Thema: Die Homeoffice-Pflicht ist Geschichte, doch viele Angestellte hadern mit der Rückkehr ins Büro. Um sie zu überzeugen, könnten Kantinen eine entscheidende Rolle spielen. Unternehmen bieten dort künftig mehr – und stellen, wie jüngst Volkswagen, sogar die heilige Currywurst zur Disposition.

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