Akademiker-Schwemme "Wir haben keine Jobs für all die Akademiker"

Der Trend zur Akademisierung steht in der Kritik. Jetzt sagt erstmals ein Arbeitgeberverband: Wir brauchen mehr Azubis und weniger Akademiker. Denn irgendwer muss deren Ideen auch in die Realität umsetzen können.

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Der VhU beklagt die Akademikerschwemme. Quelle: dpa/dpaweb

"Wir bilden immer mehr Akademiker aus, deren vorwiegend theoretische Kompetenz wir auf dem Arbeitsmarkt nicht in gleichem Umfang brauchen." Den Satz sollte man einmal auf sich wirken lassen. Gesagt hat ihn Volker Fasbender, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung hessischer Unternehmerverbände (VhU). Bei der Vorstellung der VhU-Studie „Fachkräfte für die Industrie 4.0 – für eine Neuorientierung im Bildungssystem“ ging er mit dem Studium für alle hart ins Gericht. Es ist das erste Mal, dass ein großer Arbeitnehmerverband so konkret gesagt hat: Wir brauchen die ganzen Theoretiker nicht, die die Unis reihenweise produzieren, wir brauchen Techniker, die mit ihren Händen arbeiten können.

"Der gut ausgebildete Facharbeiter ist für eine Industrie- und Exportnation gerade in der Entwicklung zur Industrie 4.0 unverzichtbar. Deshalb müssen Abitur und duale Ausbildung gleichwertige Chancen in das Berufsleben eröffnen, um alle Potenziale für die digitale Zukunft zu heben“, so Fasbender.

58 Prozent der jungen Deutschen studieren

Zuvor kamen diese Klagen überwiegend von den Handwerksverbänden. Es wird immer schwieriger, Fachkräfte zu finden, beklagt etwa der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). Obwohl das Handwerk ein gutes Image hat und viele der Berufe, die angeblich glücklich machen, klassische Handwerksjobs wie Koch oder Elektriker sind, will niemand mehr einen Ausbildungsjob. Während im Jahr 2000 noch rund 33 Prozent der Deutschen studierten, waren es 2015 schon 58 Prozent – Tendenz steigend.

"Mein Sohn lernt Bankkaufmann" oder "meine Tochter wird Restaurantfachfrau" – das will niemand mehr sagen müssen. Wird der Bursche dagegen Arzt und sie Anwältin, dann haben Mama und Papa alles richtig gemacht. Auch wenn andere Jobs viel dringender gesucht werden.

"Wir sind außerdem auf dem fatalen Weg, die duale Berufsausbildung auf ein System zu reduzieren, das nur noch diejenigen aufnimmt, die es auf keinem denkbaren Weg an die Hochschule geschafft haben", sagt Fasbender. Entsprechend könne schon mehr als ein Viertel der Ausbildungsplätze nicht mehr besetzt werden. Denn auch IT-System-Elektroniker, Informatikkaufleute oder Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung müssen etwas können. Wenn nur noch diejenigen eine Berufsausbildung machen, die mit Müh' und Not ihren Namen schreiben können, hat die Wirtschaft ein Problem.

Dagegen prügele man diejenigen, die einen guten Fachinformatiker oder einen guten Elektrotechniker abgegeben hätten, mit aller Gewalt an die Uni, wo diese Talente am Theoretischen scheitern. "Circa 25.000 Personen befinden sich aktuell in Hessen auf dem Weg zur Hochschulberechtigung über Fachoberschulen oder ähnliches, statt eine duale Ausbildung aufzunehmen. Die Abbruchquote liegt in technischen Studiengängen bei bis zu 50 Prozent", so Fasbender.

Aus diesen Gründen brechen Studenten ihr MINT-Studium ab

"Unsere im Ausland viel gelobte duale Berufsausbildung ist ein wesentlicher Faktor für die Stärke des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Wir dürfen diese Stärke nicht verspielen, indem wir einen weiteren Rückgang der dualen Berufsausbildung und einen weiteren Anstieg des akademischen Sektors einfach zulassen", so Fasbender.

Denn Akademiker sind eben auch nicht nur Ingenieure und Ärzte, die Sprösslinge werden eben auch Betriebswirt mit Schwerpunk Marketing, Doktor der Albanologie oder studieren Englisch und Kunstgeschichte auf Master – und finden keinen Job. Nicht, weil sie nicht gut oder engagiert genug wären, sondern weil es einfach nicht genügend Jobs für Theoretiker dieser Art gibt.

Zwar ist die Arbeitslosenquote unter Akademikern mit 2,5 Prozent so gering, dass man hier von Vollbeschäftigung spricht. Nur heißt diese Quote nicht, dass der Doktor der Geschichte dann nicht eben irgendwo Teller spült. Viele Akademiker machen irgendeinen Job, für den sie überqualifiziert und bei dem sie unglücklich sind. Und 2,5 Prozent finden letztlich gar keinen Job, weil der Arbeitgeber genau weiß, dass ein anderer den Job gerne und nicht aus Verzweiflung macht.

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