Der Kandidat hat zwar eine hervorragende Qualifikation, sein Name und Aussehen indes verraten ausländische Wurzeln: Ob Thomas Edathy unter den 47 Bewerbern um die Stelle als Stadtwerke-Chef in Celle prompt zur Vorstellung eingeladen worden wäre, ist fraglich. Da Celle den Spitzenposten jedoch als bundesweit erste Stadt mit einem anonymisierten Bewerbungsverfahren besetzte, machte Edathy das Rennen.
Als einzige Kommune beteiligte sich Celle zunächst an einem deutschlandweiten Pilotprojekt - inzwischen werden anonyme Bewerbungen von acht Bundesländern sowie Firmen und Kommunen getestet. Auch das Land Niedersachsen und die Landeshauptstadt Hannover sind nun dabei. Name, Alter, Herkunft und Geschlecht der Kandidaten erfährt die Personalabteilung dabei zunächst nicht, auch ein Foto gibt es nicht.
Bewerbungsstrategien für den Traumjob
Analysieren Sie, was Ihrem Traumarbeitgeber fehlt. „Das kann alles Mögliche sein, vom Youtube-Werbevideo über neue Vertriebsmethoden bis hinzu Beziehungen in einen interessanten Auslandsmarkt“, schreibt Karriereexpertin Svenja Hofert in Ihrem Buch „Die Guerilla Bewerbung“, das im Campus Verlag erschienen ist. Die Kunst ist, das Defizit vor dem Arbeitgeber zu erkennen und ihn davon zu überzeugen, dass er es mit Ihrer Hilfe beheben kann.
Schlagen Sie Ihr Adressbuch auf und suchen Sie zehn Kontakte heraus, die Ihnen bei der Suche nach Ihrem neuen Job behilflich sein könnten. Wichtig sind nicht nur Menschen, die direkt einen Arbeitsplatz für Sie haben könnten, sondern auch Personen, die viele interessante Kontakte haben. Schreiben Sie ein prägnantes Kurzprofil, schicken Sie es an Ihre Kontakte mit der Bitte es wiederum an zehn Kontakte weiterzuleiten.
Persönlich miteinander in Kontakt kommen, das ist die Idee hinter dieser Strategie. Suchen Sie sich Ihren Wunscharbeitgeber und überlegen Sie, wer vor Ort der beste Ansprechpartner sein könnte. Rufen Sie einfach an, erklären Sie Ihr großes Interesse an dem Unternehmen und bitten Sie um einen kurzen Termin zum Kaffeetrinken. So ist der erste Kontakt hergestellt.
Suchen Sie sich eine Aufgabe, die Ihrem Alter entspricht. Das hört sich erstmal hart an, ist aber ganz plausibel. Bewerben Sie sich nicht auf Inserate, die mindestens zwei bis drei Jahre Berufserfahrung voraussetzen, denn hier liegen nicht Ihre Stärken. Für viele ältere Führungskräfte, die es am Ende der beruflichen Laufbahn nochmal wissen wollen, ist die Position des Interimsmanager eine geeignete Aufgabe. Die Arbeitsagentur oder private Vermittler helfen gerne weiter.
Oftmals ist Projektarbeit der Einstieg in die Festanstellung. Deshalb überlegen Sie sich genau, erstens welches Projekt Sie realisieren könnten und zweitens für welche Institutionen oder Firmen es interessant sein könnte. Treten Sie an die potentiellen Interessenten heran und überzeugen Sie sie von Ihrer Idee. Die Bereitschaft in ein Projekt einzuwilligen ist höher, als eine neue Stelle zu schaffen. So können beide Seiten herausfinden, ob es passt.
Schaffen Sie sich Ihren Traumjob einfach selbst. Entdecken Sie den Bedarf an einer bestimmten Dienstleistung oder einem Produkt und schlagen Sie einem Träger vor, sich darum zu kümmern. Das funktioniert besonders gut im öffentlichen Bereich. Sind Sie von der Idee restlos überzeugt, können Sie es sogar wagen, einen eigenen Verein oder eine Stiftung zu gründen.
Schreiben Sie eine E-Mail, die der Leser nicht ignorieren kann. Finden Sie heraus, an welchen Stellen Ihr Lieblingsunternehmen Nachholbedarf hat und präsentieren Sie sich als Lösung. Das funktioniert natürlich nur, wenn Sie in der Branche schon Erfahrungen und Kontakte haben. Für diese Variante muss „Ihr Können und Ihr Hintergrund“ sehr interessant sein.
Sie kennen sich mit einer speziellen Aufgabe oder einem Themengebiet gut aus und haben mindestens fünf Jahre Berufserfahrung in diesem Bereich? Dann könnte die Expertenstrategie die richtige sein. Wichtig ist, ihr Spezialgebiet so umfassend zu definieren, dass sie auf viele Angebote passen, aber gleichzeitig so viel Expertise zu besitzen, dass nicht viele mit Ihnen konkurrieren können. Die Autorin nennt sich zum Beispiel Expertin für neue Karrieren und nicht Spezialistin für MBA-Programme.
Der neue Celler Stadtwerke-Chef Edathy räumte am Mittwoch bei seiner Vorstellung ein, an der unbewussten Diskriminierung von Bewerbern habe er sich bei der Auswahl von Arbeitnehmern früher selber beteiligt. „Auch ich habe Bewerbungen teilweise danach aussortiert, ob Bewerber ausländische Namen hatten, wenn gute Deutschkenntnisse gefragt waren, oder habe auf das Alter geguckt.“
Genau solche Benachteiligungen soll das in angelsächsischen Ländern seit Jahren praktizierte Verfahren vermeiden helfen. Auch Frauen fallen dadurch manchmal durchs Raster der Personalchefs, vor allem, wenn sie kleine Kinder haben.
„Ich war erst skeptisch“, erinnert sich Celles Personalchef Jockel Birkholz. Aber auch er habe oft unbewusst auf Aspekte geguckt, die mit der Qualifikation und Motivation für eine Stelle nichts zu tun haben. „Im üblichen Verfahren gucke ich aufs Foto, auf den Lebenslauf, auf die Familienverhältnisse, da schwingen Wertvorstellungen mit, trotz aller Bemühungen um Objektivität.“
Wirtschaft bleibt skeptisch
Ist das neue Verfahren ein Patentrezept, das dem besten Kandidaten zur Stelle verhilft und Diskriminierung ausschließt? Bei der Stadt Hannover, die testweise seit Januar im Tiefbauamt und Gebäudemanagement mit anonymisierten Bewerbungen arbeitet, gibt es da auch Zweifel. „Wir sind nicht zu 100 Prozent überzeugt von dem Ansatz in Celle“, sagte Stadtsprecher Andreas Möser. Die Stadt habe sich vorher bereits zum Ziel gesetzt, den Anteil von Frauen und Migranten zu erhöhen, bei gleicher Qualifikation seien sie bevorzugt worden.
Mittelständler tun sich schwerer
Skeptisch äußert sich auch die Wirtschaft. „Bei großen Firmen gibt es eher die Bereitschaft, das zu machen, als bei Mittelständlern“, meint der Hauptgeschäftsführer der Unternehmerverbände Niedersachsen, Volker Müller. Inhabergeführte Firmen setzten lieber auf Gefühl und Menschenkenntnis und wollten von Anfang an sehen, ob der potenzielle künftige Mitarbeiter ins Team passe. „Gerade vor dem Hintergrund der Globalisierung gehe ich davon aus, dass die Firmen ohnehin ein Interesse haben, Mitarbeiter mit Migrationshintergrund einzustellen.“
Lob für Celles Pionierarbeit hat Christine Lüders, die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die 2011/12 das Pilotprojekt initiierte. Gerade im kommunalen Bereich könnten anonymisierte Bewerbungen Kungeleien und eine Stellenvergabe unter der Hand verhindern, sagt sie. Thomas Edathy kam das vielleicht zugute - sein Bruder nämlich ist der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy. Dem schwarz-gelben Stadtrat von Celle wäre dies möglicherweise ein Dorn im Auge gewesen. Nach seiner Auswahl gab es für ihn aber Zustimmung aller Parteien - Thomas Edathy selber hat kein Parteibuch.