Berufseinstieg Einmal überqualifiziert, immer unterbezahlt

Absolventen droht eine Lohn-Falle. Einer neuen Studie zufolge gilt: Wer nach dem Abschluss unter seinem Ausbildungsniveau arbeitet, verdient noch Jahrzehnte später weniger Geld.

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Das sind die häufigsten Nebenjobs in Deutschland
Laut einem Bericht der Saarbrücker Zeitung hatten im Juni 2013 rund 2,61 Millionen Beschäftigte mit einer sozialversicherungspflichtigen Stelle mindestens einen Nebenjob. Das war jeder elfte Arbeitnehmer in dieser Gruppe. 2003 war es nur jeder 23. Beschäftigte. Damit hat sich die Zahl der "Multijobber" in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt. Das Blatt beruft sich für seine Angaben auf eine Stellungnahme der Bundesregierung zu einer Anfrage der grünen Arbeitsmarktpolitikerin Brigitte Pothmer. Warum so viele nebenher arbeiten, geht aus der Studie nicht hervor. Für Pothmer ist die Sache aber klar: "Der Lohn aus einem Job reicht für viele ganz offensichtlich nicht zum Leben." Sie fordert deshalb, den Mindestlohn von 8,50 Euro auch auf die Minijobs zu erstrecken. Quelle: dpa
Minijobber oder geringfügig Beschäftigte dürfen monatlich nicht mehr als 450 Euro verdienen. Das Einkommen ist steuerfrei und der Arbeitnehmer muss in der Regel keine Sozialversicherungsbeiträge bezahlen - ausgenommen die Rentenversicherung. Nur wer neben seinem Hauptberuf mehrere Minijobs ausübt oder regelmäßig über 450 Euro verdient, wird sozialversicherungspflichtig und braucht eine zweite Steuerkarte. Eine zeitliche Begrenzung für Nebenjobs gibt es nicht, solange die Gesamtarbeitszeit in Haupt- und Nebenjob zusammen 48 Stunden pro Woche nicht überschreitet. Der Chef muss den Nebenjob allerdings erlauben. Wer beispielsweise bei der Konkurrenz etwas dazu verdienen will oder wegen des Minijobs jeden Tag zu spät zur Arbeit kommt und da auch noch einschläft, sollte nicht mit zu viel Wohlwollen seitens des Arbeitgebers rechnen. Quelle: dpa
Laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit haben Frauen häufiger einen Nebenjob als Männer. Demnach hatten im Juni 2013 rund 1,5 Millionen Frauen einen Minijob neben ihrem Hauptberuf, aber nur 1,1 Millionen Männer. Wie viele Jobs die Deutschen - unabhängig vom Geschlecht - haben, geht aus der Statistik nicht hervor. Auch welche Berufsgruppen besonders häufig nebenher arbeiten (müssen), ist nicht erfasst. Dafür aber die häufigsten Nebenbeschäftigungen.... Quelle: dpa
Kinderbetreuung und NachhilfeRund 3,9 Prozent der gemeldeten Nebenjobs entfallen auf den Bereich Bildung und Betreuung. Sei es die Nachhilfe in Mathe oder die Nachmittagsbetreuung der Nachbarskinder. Der Job des Nachhilfelehrers ist auch bei Studenten sehr beliebt. Quelle: dapd
ZustellerZeitungen oder Werbeblättchen austragen ist nicht nur ein Job für Schüler: 4,3 Prozent der gemeldeten Nebentätigkeiten entfallen auf Zusteller- und Paketdienste. Quelle: AP
Putzen4,5 Prozent sind Putzjobs. In der Regel gehen die Deutschen bei Bekannten oder in der Nachbarschaft putzen. Quelle: dpa
VerkäuferViele schlüpfen nach oder neben ihrem regulären Beruf auch in die Rolle eines Verkäufers. Rund fünf Prozent der Nebenjobs sind im Handel. Quelle: obs

Schule, Uni, gut bezahlter Job. So sieht das Idealkonstrukt der meisten Akademiker aus. Aber was, wenn nach dem Master-Diplom zuerst mal Aushilfs- und Nebenjobs herhalten müssen?

Amerikanische Wirtschaftswissenschaftler der Duke Universität und der Universität North Carolina-Chapel Hill haben in einer Studie herausgefunden, dass selbst kurzfristige Nebenjobs nach dem College-Abschluss noch Jahrzehnte das Einkommen negativ beeinflussen können.

Uni-Absolventen, die Aushilfsjobs wie Barkeeper oder Kellner annehmen und damit in ihrem ersten Job überqualifiziert sind, verdienen im Durchschnitt auch in den folgenden Jahren weniger als Kommilitonen, die direkt nach dem Abschluss eine Stelle finden, die ihrem Ausbildungsniveau entspricht.

In ihrer Studie beziehen sich die Ökonomen auf Daten einer Langzeiterhebung, in denen 14- bis 22-Jährige aus dem Jahr 1979 hinsichtlich ihrer beruflichen Anstellungen, fachlichen Qualifikationen und ihrer Gehaltsentwicklung beobachtet worden sind.

Der Studie zufolge ist eine berufliche Überqualifikation bei Akademikern in den ersten Jahren auf dem Arbeitsmarkt am wahrscheinlichsten (62,3 Prozent) Danach sinkt die Wahrscheinlichkeit einer Überqualifizierung mit den Jahren auf dem Arbeitsmarkt – allerdings nur schleichend: Denn auch ein Jahr nach dem Eintritt in das Berufsleben blieben rund zwei Drittel der Überqualifizierten unterhalb ihrer Ausbildungskompetenzen.

Strumpfmodel, Schlangensteher oder Poker-Ass
Der SchlangensteherGeld verdienen mit Herumsitzen oder Stehen ist möglich. Wer keine Lust hat, für das neue iPhone vorm Apple Store zu zelten oder für Konzertkarten Schlange zu stehen, kann das andere für sich machen lassen - gegen Geld natürlich. In den USA vermittelt Robert Samuel, Gründer von Same Ole Line Dudes (SOLD Inc.), professionelle Schlangensteher. Diese "line sitters" bekommen für die erste Stunde 25 Dollar, für jede weitere halbe Stunde zehn Dollar. Pro Woche sind für die "line sitters" durchaus 1000 Dollar drin - fürs Herumstehen. Quelle: dpa
Der FahrzeugüberführerIn Hamburg steigt der Fahrer ins Auto und fährt bis zum Flughafen in Lissabon, Portugal. Dort gibt er das Auto ab und steigt in den nächsten bestellten Wagen. Ziel: Berlin, Deutschland. Nicht immer müssen es gleich 5000 Kilometer sein. In der Regel schafft ein Überführer die Wagen innerhalb Deutschlands von A nach B. Der Verdienst liegt zwischen 40 und 80 Cent pro gefahrenem Kilometer. Ralf Müller, Inhaber einer Fahrzeugüberführungsagentur in Berlin, stellt nur Leute an, die mindestens 25 Jahre alt sind, ein sauberes Führungszeugnis vorweisen können und ein positives Erscheinungsbild haben. Außerdem: "Mindestens fünf Jahre Fahrpraxis sind unerlässlich." Die meisten Leute, die er beschäftigt, arbeiten auf freier Basis. Wer so etwas macht? "Arbeitslose, Polizeibeamte, Feuerwehrleute - Leute, die ab und zu genug Zeit haben, um ein Auto von Berlin nach München zu bringen." Die Kosten für die Rückfahrt übernimmt der Kunde. Auch Banken bietet Ralf Müller seine Dienste an. "Wenn jemand nicht mehr die Leasingraten zahlt, dann wollen die Häuser natürlich das Auto zurückhaben". Das verlangt Fingerspitzengefühl. Man muss die Autobesitzer informieren, bevor der Fahrer mit dem Wagen wegfährt. Das kann auch gefährlich werden: "Nicht alle Autobesitzer sind einsichtig. Manche wehren sich mit einer Axt oder einem Vorschlaghammer." Quelle: gms
Das AnprobemodellDas Modell lies ihre Beine in Strumpfhosen fotografieren. Talentscouts hatten Genevieve beim Schlendern in der Innenstadt angesprochen. Sie sollte ihre langen Beine für die Unterwäsche in Übergroßen zur Verfügung stellen. "Es war leichtverdientes Geld", erzählt die Kunststudentin aus Berlin. Dafür bekam sie einmalig 300 Euro. Ihre Beine sah sie Jahre später noch in den Vitrinen diverser Einkaufshäuser. Quelle: Reuters
Der HausaufpasserAuf das Haus Dritter aufzupassen, hat seine Vorzüge. Stephan, 27 Jahre alt, Student in Vancouver, Kanada, erzählt: "Ein luxuriöses Haus wird schnell zum Urlaubsdomizil." Besonders wohlhabende Leute sorgen sich darum, dass die vier Wände während des Urlaubs gut betreut sind. Allerdings soll sich der Hausaufpasser auch um weniger mondäne Dinge kümmern, wie etwa Unkraut jäten, den Garten in Schuss halten oder die Hunde Gassi führen. Wird die Arbeit richtig erledigt, dann ist das positiv für den Ruf. Stephan sagt: "Du willst empfohlen werden. Wenn du dich als Hausaufpasser bewährt hast, stehen die Chancen gut, dass du Angebote der Nachbarn bekommst". Eine Woche Hauswächter spielen, Hunde Gassi führen und eine Stunde Gartenarbeit pro Tag machen 245 Euro. Quelle: WirtschaftsWoche
Der SimulationspatientDas Alter der Probepatienten liegt zwischen 14 und 84 Jahren. Praktisch alle können mitmachen. "Sie sollten Interesse am Schauspiel mitbringen und die Motivation haben, die Kommunikation zwischen Patienten und Ärzten zu verbessern", erklärt Jana Jünger von dem Universitätsklinikum Heidelberg. Diese Schauspielpatienten werden dann in der praktischen Ausbildung innerhalb des Medizinstudiums eingesetzt. "Die Schauspielpatienten müssen zwei bis acht verschiedene Erkrankungen gut darstellen können und die Symptome simulieren, wie etwa schwere Atemnot, Schmerzen oder tiefe Niedergeschlagenheit. Die angehenden Ärzte müssen dann herausfinden, woran der Patient leidet", sagt Jünger. Gewünscht ist auch die Fähigkeit zur Improvisation. "Wenn der Laiendarsteller etwa Bezug nimmt auf die Großmutter, die auch was mit Blutdruck hatte", erklärt Jünger, "dann soll er auch die Rolle der Großmutter bei Rückfragen gut erklären können". Wichtig ist auch, dass der Schauspielpatient fähig ist, später ein kritisch-konstruktives Feedback zu geben. "Schauspieler, die gut in verschiedene Rollen schlüpfen, aber nicht fähig sind, später auf die jungen Nachwuchsärzte einzugehen, nehmen wir nur einmal", sagt Jünger. Für eine Stunde Patientensimulation gibt es zwischen 16 und 21 Euro. In der Regel kommen die Laiendarsteller für drei bis vier Stunden in die Klinik. Bei Ärzteprüfungen können es bis zu sechs Stunden werden. Quelle: dpa
Die Promilletester In Hamburg betreibt Manuela Ganschow die Promille-Polente. Teams aus vier Personen schwärmen in die Hamburger Nacht aus, verkleidet als Polizisten. Sie gehen durch die Kneipen und bieten den Kunden einen Promilletest an. "Pro Test berechnen wir 2,50 Euro", erklärt Ganschow, "wir benutzen die gleichen Geräte wie die Polizei". Einen Euro davon bekommt der Mitarbeiter. "Am Wochenende können da schon zwischen hundert und zweihundert Tests anfallen", sagt Ganschow. Die Arbeitszeiten sind nicht für Jedermann. Wer als Promilletester arbeitet, der ist schon mal von 0 Uhr nachts bis fünf, sechs Uhr morgens unterwegs. Ein Nebenjob, für den man, neben dem Willen zur Prävention von alkoholbedingten Unfällen, viel Spaß mitbringen muss. Und bisweilen eine dicke Haut. "Das Partyvolk hat bei einem hohen Alkoholpegel eine lockere Zunge ", erzählt Ganschow, "viele wollen dann von unseren weiblichen Promille-Polenten mit den Handschellen gefesselt werden". Quelle: dpa
Der PokerspielerTagsüber paukt Simon Peters (Name geändert) in Eichstätt Katholische Theologie - nachts pokert er an fünf Rechnern parallel im Internet. Seine Gegner kommen von überall her, sie sind unterschiedlich stark. Oft heißt der Gewinner: Simon Peters. Die Einsätze sind verschieden hoch, er streut das Risiko. Im Schnitt verdient er aber genug zum Leben - etwa um die 1500 Euro im Monat oder mehr. Steuerfrei. Zum Leben reicht das allemal. Auf Turnieren lockt noch mehr Geld. "Einmal bin ich mit dem Gewinn für einen mehrwöchigen Urlaub mit meiner Freundin nach Neuseeland geflogen", sagt Peters. Kommt er nicht in moralische Konflikte mit seinem Studium? Peters, der seitdem 15. Lebensjahr zockt, fürchtet sich mehr vor der Missgunst und dem Neid anderer. Weshalb er wenigen von seiner Nebentätigkeit erzählt. Richtig Angst hat er aber nur vor dem Finanzamt. Quelle: dpa

Zusätzlich können die Forscher aus den Ergebnissen schließen, dass Frauen tendenziell überqualifizierter sind als ihre männlichen Kollegen. Ein Umstand, den die Ökonomen auf die häufigeren Bedürfnisse nach flexiblen Arbeitsbedingungen zurückführen.

Den nachhaltigen, negativen Effekt einer frühen Job-Überqualifizierung verdeutlichen die Forscher anhand eines Vergleichs: Berufseinsteiger, die nach 18 Jahren Berufsausbildung einen Job unter ihrem Ausbildungsniveau annahmen, verdienten zwar zunächst pro Stunde mehr als ihre Kommilitonen, die auf einen geeignete Stelle warteten. Aber spätestens nach vier Jahren wendete sich das Blatt.

Nach zehn Jahren der Gehaltsentwicklung wird der langfristige Unterschied besonders deutlich: Während die qualifizierten Arbeitnehmer ihr Einkommen um rund zehn Dollar pro Stunde erhöhen konnten, war es bei denen, die zunächst einen unterqualifizierten Job annahmen, gerade einmal vier Dollar.

Und auch wenn ehemalige „Aushilfsjobber“ es einmal in eine adäquate Position geschafft haben, wirkt das Phänomen nach. Denn selbst wer vor vier Jahren noch in einem „schlechten“ Job gearbeitet hat, verdient heute in einer angemessenen Stelle bis zu 4,2 Prozent weniger als Kollegen, die niemals überqualifiziert waren.

Mit den Ergebnissen ihrer Studie kritisieren die Ökonomen ebenfalls politische Umstände der (amerikanischen) Arbeitslosenunterstützung. Ihrer Ansicht nach werden Berufseinsteiger dazu gedrängt, jede verfügbare Berufsstelle anzunehmen – auch wenn sie deutlich unterhalb ihres Qualifikationsniveaus liegen.

Daraus prognostizieren die Ökonomen eine düstere Zukunft für die (amerikanische) Wirtschaft. Denn wenn Überqualifizierte weiterhin dauerhaft weniger verdienen als ihnen eigentlich, angesichts ihrer Ausbildung, „zusteht“, werden sie auch in Zukunft weniger Geld für Ausgaben und Konsum zur Verfügung haben.

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