Betriebe auf der Suche Azubi-Speeddating zeigt die Probleme wie unter einer Lupe

Seite 2/2

„Wer sich nur ein bisschen Mühe gibt, der kann bei uns was werden“ 

Für die ganz jungen Schulabgänger muss die Masse an möglichen Handwerksberufen noch überwältigender und die Tragweite der Entscheidung für einen davon noch schwieriger sein. Es gibt die ganz bekannten Ausbildungsberufe wie Friseur, Elektroniker, Kfz-Mechatroniker oder Sanitärtechniker. In diesen Branchen fangen jedes Jahr mehrere Tausend Azubis eine Lehre an. Aber wer hat in dem Alter schon davon gehört, dass man auch Weintechnologe, Vergolder, Bestattungsfachkraft, Präzisionswerkzeugmechaniker oder Glasveredler werden kann? In diesen Berufen gehen pro Jahr nur ganz wenige Auszubildende an den Start, zum Teil nicht einmal eine Handvoll.

Eine kleine Gruppe von Hauptschülern aus Benrath ist zur besseren Orientierung mit ihrer Berufseinstiegsbegleiterin Alina Richter nach Düsseldorf gefahren. „Geh doch mal zu dem Stand“, ermutigt die Frau von der Arbeiterwohlfahrt einen ihrer 16-jährigen Schützlinge. „Und nimm vorher deine Kappe ab“, ruft sie noch hinterher. Der schlaksige Junge scheint sie nicht zu hören. Einige Momente später sitzt er aber tatsächlich aufrecht am Tisch eines Betriebs – ohne Käppi.

„Ich bin erstaunt, wie anders sie sich hier verhalten als in der Schule“, sagt Alina Richter. Fast staatsmännisch bewegen sich die Jungs, nur an ihrem Businessoutfit könnten die Jogginghosenfans noch feilen. Aber gerade das ist beim Speeddating keine Bedingung, locker soll es ja sein. Richter ist hier, weil es im vergangenen Jahr gut lief. Mit 15 Schülern war sie hergekommen, vier hatten nach wenigen Stunden Speeddating einen Ausbildungsplatz in der Tasche – drei sind dabeigeblieben. Ein guter Schnitt.

Aziz, ein großer Junge aus Syrien mit flaumigem Oberlippenbart, ist besonders umtriebig. Der 16-Jährige will KfZ-Mechatroniker werden und hier auf der Messe gibt es zwei Betriebe mit sechs freien Ausbildungsplätzen. „Ich interessiere mich für Autos“, begründet er seine Wahl. Ersatzweise dürfte es auch der Beruf des Lackierers sein – zehn Plätze sind zu vergeben.

„Ich beobachte, dass gerade die jungen Flüchtlinge extrem motiviert an die Ausbildungssuche gehen“, sagt Alina Richter. Jugendliche wie Aziz würden manchmal eine ganze Gruppe mitreißen. „Sie sehen einfach die große Chance für sich, in Deutschland auf diese Weise Fuß zu fassen“, sagt Richter. Die Berufseinstiegsbegleiterin sieht nicht den Trend, dass Jugendliche in Deutschland immer weniger motiviert seien. Die Schulausbildung habe aber nachgelassen. Wem die Grundlagen fehlen, der ist in der Ausbildung schneller frustriert. Dafür gibt es Hilfsprogramme wie die Berufseinstiegsbegleitung und Berufskollegs.

Ein junger Flüchtling aus Afghanistan ist auch die vielleicht letzte Hoffnung von Simon Kronenberg. Der Metallbaumeister aus Neuss hat sehr schlechte Erfahrungen mit Azubis gemacht – und wollte eigentlich schon gar keine mehr. „Der letzte hat nach drei Jahren hingeschmissen, ein halbes Jahr vor Ende der Ausbildungszeit. Da fällt einem nichts mehr ein“, berichtet Kronenberg. Im dritten Lehrjahr sei der Azubi kaum noch zur Schule gegangen, hätte seine eigene Mutter angelogen. „Als wir das herausgefunden haben, war es zu spät und das Vertrauen zerstört. Wir mussten ihn per Aufhebungsvertrag rauswerfen“, sagt der Meister. Mit seiner Frau sitzt er an einem der Tische und wartet auf „Kundschaft“. Drei Jugendliche hätten sich bereits vorgestellt, erzählt Kronenberg – und der Afghane sei am besten vorbereitet gewesen.

Kronenberg steckt in dem Dilemma, das tausende Betriebe im Land kennen: Die kleine Familienschlosserei, die sein Urgroßvater 1920 gründete, bietet Auszubildenden eine solide Handwerksausbildung. Mehr aber auch nicht. Weder können sie eine besonders hohe Ausbildungsvergütung bieten, noch handelt es sich um einen Beruf, der für Jugendliche einen besonderen Glanz verströmt. Schlosser, das bedeutet zum Beispiel Balkongeländer oder Gartentörchen herstellen. Ein altes Handwerk ohne viel Hightech.

Dafür bietet der Betrieb eine sichere Übernahme an, denn Johannes Kronenberg, der Senior im Betrieb, will sich mittelfristig aus dem Geschäft zurückziehen. Eigentlich eine großartige Chance für einen jungen, motivierten Auszubildenden. Mit genau diesem Versprechen hofft Simon Kronenberg noch auf den richtigen Treffer: „Wer sich nur ein bisschen Mühe gibt, der kann bei uns was werden.“ 

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%