Die Stadtverwaltung in Celle hat sie bereits eingeführt, große Dax-Konzerne wie die Deutsche Telekom oder die Deutsche Post zumindest in einigen Abteilungen – und der ebenfalls börsennotierte Technologiekonzern Siemens denkt darüber nach: über die Bewerbung ohne Foto.
Denn Bilder in Job-Bewerbungen sind aus Sicht der Siemens-Personalchefin Janina Kugel überflüssig. Ihrer Meinung nach besteht bei herkömmlichen Bewerbungen das Risiko, dass Firmenverantwortliche auf Basis der Bilder beeinflusst würden und dadurch nicht die richtigen Personalentscheidungen träfen. „Ganz eindeutig ist es wissenschaftlich bewiesen, dass Menschen durch ein Foto Rückschlüsse auf deren Qualifizierung ziehen, auch wenn das überhaupt nicht möglich ist“, sagt Kugel.
Die häufigsten Schlagwörter in deutschen Bewerbungen
Sieht man sich die Selbstbeschreibungen Berufstätiger in Karrierenetzwerken an, liest man auf vielen Profilen dasselbe: die Menschen sind verantwortungsvoll. „Mir ist alles egal“ sollte allerdings auch niemand in eine Bewerbung oder eine Jobprofil schreiben. Im Bewerbungsfloskel-Ranking des Karriereportals LinkedIn landet das Adjektiv auf Platz zehn. Erstaunlich: In internationalen Stellenanzeigen und Profilen taucht das Wort unter den Top Ten gar nicht auf.
Quelle: LinkedIn
Kreativ ist man dagegen sowohl in Deutschland als auch international gleichermaßen: Bei den Bewerbungen nimmt „kreativ“ im Floskel-Ranking den neunten Platz ein.
Egal wie rückwärtsgewandt und veränderungsresistent jemand sein mag - online und in Bewerbungen bezeichnen sich eigentlich alle als innovativ. Entsprechend landet das Wörtchen auf Rang acht im deutschsprachigen Raum. International brüstet man sich nicht mit seiner Innovationsfähigkeit.
Ohne Leidenschaft geht nichts, glauben die deutschen Bewerber – und schreiben das Wort fleißig in ihre Bewerbungen.
Bevor Sie auf die Idee kommen, Ihr Alter zu verraten, schreiben Sie lieber, dass Sie erfahren sind. Das machen die anderen auch so. Im Bullshit-Bingo belegt "erfahren" im deutschsprachigen Raum entsprechend Platz sechs.
Und damit der Personaler nicht glaubt, hier bewirbt sich ein Idiot, heben die Bewerber fleißig ihr „Expertenwissen“ hervor. International belegt diese Phrase Platz sieben.
"Guck mal da, en Eichhörnchen!". Damit niemand glaubt, man lasse sich ständig ablenken, beschreiben sich natürlich alle als fokussiert. International belegt "focused" Rang sechs.
"Du machst erst das, dann tust du jenes und dann sage ich, dass das meine Idee gewesen ist." Schließlich handelt niemand planlos, deutsche Bewerber sind allesamt „strategisch“.
Will man in Erinnerung bleiben, sollte man sich von der Masse abheben. Da leider fast jeder Bewerber angibt, "Führungsqualitäten" zu haben, wird das schwierig.
Ein Königreich den Fachidioten: Sowohl im deutschsprachigen Raum als auch international geht die Goldmedaille für die meistgenutzte Phrase an "spezialisiert."
Wer das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) strikt auslegt, dürfte ohnehin keine Bewerbungen mit Foto annehmen. Das AGG besagt nämlich, dass ein Jobsuchender wegen seiner ethischen Herkunft, seines Glaubens, seines Geschlechts, Alter, sexueller Identität – oder eben wegen seines Aussehens – keine Nachteile haben darf. Seit dem Inkrafttreten des AGG im Jahr 2006 darf deshalb kein Unternehmen mehr von seinen Bewerbern verlangen, dass sie persönliche Angaben machen – oder ein Foto mitschicken. "Ein Unternehmen darf bei einer Absage nur sachbezogene Gründe angeben", erklärt Arbeitsrechtler Christoph Abeln von der gleichnamigen Kanzlei. Das heißt: weil der Bewerber nicht die in der Stellenanzeige geforderten Qualifikationen mitbringt oder ein Mitstreiter besser ausgebildet ist. Wer anhand des Fotos entscheidet, nach dem Motto „Der kann es ohnehin nicht“, verstößt damit gegen das AGG. Nur überprüfen lässt sich sowas natürlich nur schwer.
Hinzu kommt: "Den Jobsuchenden ist das AGG egal", wie Karriereexpertin Birte Püttjer sagt, die ihre Klienten vom Anschreiben bis zum Vorstellungsgespräch berät. In Deutschland sei es deshalb weiterhin üblich, dass Jobsuchende angeben, wie sie heißen, woher sie kommen, wie alt und ob sie männlich oder weiblich sind – in der Hoffnung, dadurch bessere Chancen auf den Job zu haben.
Die Celler Stadtverwaltung und die Deutsche Telekom sowie die Deutsche Post fordern deshalb komplett anonymisierte Unterlagen – also ohne jegliche persönliche Informationen, bis auf Angaben zur Qualifikationen. "Anonymisierte Verfahren sind leicht umsetzbar, sie erlauben eine gezielte Personalauswahl und sie sorgen für Chancengleichheit", sagt Sebastian Bickerich, Pressesprecher der Antidiskriminierungsstelle des Bundes.
Bei Bosch ist man jedoch anderer Auffassung. „Ohne Fotos würde sich nichts gravierend ändern“, sagt Bosch-Personalchef Christoph Kübel und verweist auf entsprechende Untersuchungen von Baden-Württembergs Landesregierung. Man nehme in Deutschland Bewerbungen mit und ohne Bilder. „Wir stellen sicher, dass wir nicht nach Fotos auswählen.“
Grundsätzlich begrüßt Püttjer es, wenn Unternehmen auf Fotos bei Bewerbungen verzichten. Nur: Wenige Firmen weisen bei ihren Stellenausschreibungen explizit darauf hin, dass sie Bilder nicht wünschen. Manche schreiben seit der Einführung des AGG, dass Fotos nicht zwingend notwendig seien – sodass die Entscheidung bei den Bewerbern liegt. "Weil die fotolosen Bewerbungen erst in wenigen Unternehmen verpflichtend sind, rate ich meinen Klienten immer dazu, ein Bild mitzuschicken", erzählt Püttjer. Denn sie ist sich sicher, dass Bewerber ohne Fotos beim Verfahren schlechter abschneiden, sobald die Konkurrenz dem Anschreiben Fotos beilegt.
Genauso wie Siemens-Personalchefin Janina Kugel ist sie der Meinung, dass ein Personaler subjektive Entscheidungen trifft, sobald er ein Bild des Bewerbers sieht. "Sobald der Personaler auf das Bild schaut, entscheidet er unbewusst, ob ihm der Bewerber sympathisch ist", sagt Püttjer. Denn die große Mehrheit der Menschen – etwa 70 Prozent, schätzt die Expertin – reagiert vor allem auf visuelle Reize.
Natürlich sieht der Personaler den Bewerber spätestens beim Vorstellungsgespräch, aber: "Der Personaler sieht beim persönlichen Gespräch nicht nur die reine Optik, sondern auch, wie der Bewerber interagiert", sagt Püttjer. Heißt: Auch wenn dem Personaler das Aussehen des Bewerbers nicht gefällt, hat er immer noch die Möglichkeit, mit seinem Verhalten, Stimme und Gestik zu überzeugen.
In Kanada sind Fotos in Bewerbungen übrigens verboten. Und in den USA ist es bereits seit den 60er-Jahren üblich, dass Jobsuchende Unterlagen ohne jegliche persönliche Angaben verschicken. Auch in Großbritannien, Frankreich, Spanien sowie in den Benelux-Ländern haben sich die anonymisierten Anschreiben bereits etabliert.