Bewerbung Streber sind im Nachteil

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Strebertum besonders in Deutschland verpönt

Klaus Boehnke verantwortete vor einigen Jahren eine der größten Studien zum Thema Streber. Damals befragte er mit seinem Team etwa 600 Schüler im sächsischen Chemnitz, im kanadischen Calgary und im israelischen Haifa. Das Ergebnis war nicht sonderlich überraschend:

Gute Schüler hatten Angst, als Streber diffamiert zu werden. Je besser ihre schulischen Leistungen waren, desto größer war ihre Furcht. Das zeigte sich in der Studie vor allem in Deutschland. Offenbar gilt Strebertum hierzulande als besonders verpönt.

Streber - eine Gefahr für den Betriebsfrieden?

Doch die negativen Folgen hören nach der Schule nicht auf, im Gegenteil: „Personalverantwortliche befürchten, dass Menschen mit besonders guten Leistungen im Prinzip auch im Betriebsalltag immer herausstechen werden“, sagt Boehnke. „Und dass sie daher immer eine Gefahr darstellen, den Betriebsfrieden zu stören.“

Daneben gebe es neben der psychologischen auch noch eine persönliche Komponente: Wer einen Einserkandidaten vor sich habe, entwickele automatisch ein Konkurrenzgefühl, wenn er selbst einst schlechtere Noten hatte. Andererseits gilt eben auch: Ein Unternehmen, das gute Abschlussnoten völlig missachtet, ignoriert wichtige Indizien. Denn tatsächlich deuten souveräne Leistungen im Studium durchaus auf Eigenschaften hin, die auch für Arbeitnehmer wichtig sind. Fleiß, Disziplin und Hartnäckigkeit etwa. Aber natürlich ist die Abschlussnote nicht das einzige Kriterium.

Sollten wir also aufhören, uns anzustrengen, um im Jobinterview keinesfalls mit herausragenden Leistungen, Lebensläufen und Arbeitszeugnissen zu punkten? Im Gegenteil: Denn zum einen gibt es auch weiterhin Berufe, in denen die Note entscheidend ist, etwa bei Juristen. Wer hier ein schlechtes Examen schreibt, hat kaum Chancen auf einen guten Job, und eine Karriere als Staatsanwalt oder Richter ist meist ausgeschlossen. In anderen Berufen, die gerade händeringend Fachkräfte suchen, rücken die Noten hingegen schon mal eher in den Hintergrund. Da stellen Arbeitgeber längst nicht immer die Jahrgangsbesten ein – sondern gerne jene, die während des Studiums Praktika absolviert oder interessante Freiwilligenprojekte übernommen haben.

Zum anderen sollten sich alle Bewerber aber bewusst machen, dass Kompetenzen wie Gewissenhaftigkeit, Ehrgeiz, Motivation oder Fleiß bei Arbeitgebern immer gut ankommen – und diese werden nun mal eher mit Prädikatsabsolventen als mit Bummelstudenten assoziiert.

Naturtalente sind authentisch, Streber nicht

Experten plädieren dafür, bei der Bewerberauswahl andere Kriterien stärker zu gewichten: „Wir müssen uns fragen, ob die Schulnoten wirklich so aussagekräftig sind“, sagt Psychologe Schmiel, „oder ob wir in der Schule nicht mehr Wert auf soziale Kompetenzen legen sollten.“ Zumal selbst Experten die Leistungen anderer Personen gerne mal falsch einschätzen.

Diese Fehler brechen Bewerbern das Genick
Ein Mann mit Fragezeichen über dem Kopf Quelle: Fotolia
Eine Kündigung liegt in einem Büro auf einem Kalender Quelle: dpa
Ein Mann hält einen Lebenslauf in der Hand Quelle: Blumenbüro Holland/dpa/gms
Ein unbefristeter Arbeitsvertrag Quelle: dpa
Frau zählt Geldscheine, die sie in der Hand hält Quelle: Fotolia
brennender 20 Euro-Schein Quelle: Fotolia
Frau macht ein nachdenkliches Gesicht Quelle: Fotolia

So geschehen in einem Versuch aus dem Jahre 2010: Hier zeigte Wissenschaftlerin Chia-Jung Tsay Musikern Kurzprofile von zwei Pianisten, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Der eine war ein fleißiger und ehrgeiziger Künstler, der andere ein Naturtalent. 20 Sekunden lang lauschten nun die geübten Ohren dem Klavierspiel beider Künstler. Was die Probanden nicht wussten: Beide Stücke wurden von der gleichen Person gespielt. Kaum zu glauben: Nicht der scheinbar fleißige und disziplinierte Künstler bekam die besseren Noten, sondern das Naturtalent – auch beschieden ihm die Experten eine größere Chance auf eine erfolgreiche Musikkarriere. Offenbar haben viele Menschen eine natürliche Präferenz für Talente.

Die Wissenschaftlerin Tsay hat auch eine Erklärung dafür: Naturtalente sind authentischer und in den Augen vieler vertrauenswürdiger. Dadurch wirken sie sympathischer und offener. Psychologen bezeichnen dieses Phänomen als naturalness bias, also gewissermaßen eine unbewusste Präferenz für Naturtalente. Und diese gedankliche Verzerrung kann für Unternehmen durchaus teuer werden. Dann zum Beispiel, wenn sich Personaler im Interview vom womöglich schlampigen, aber charmanten Genie blenden lassen und ihm den Vorzug vor dem emsigen Streber geben – der aber meist verlässlicher arbeitet.

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