Bewerbung Weg mit Arbeitszeugnissen!

Jedes Unternehmen ist gesetzlich dazu verpflichtet, seinen Arbeitnehmern Zeugnisse auszustellen. Wissenschaftler der FH Jena fordern jetzt: Weg damit! Warum Arbeitszeugnisse sinnlos sind.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Jeder Arbeitnehmer hat in Deutschland ein Recht auf ein Arbeitszeugnis. Quelle: Fotolia

Arbeitszeugnisse können sich Unternehmen sparen. Zumindest wenn es nach Wissenschaftlern der Ernst-Abbe-Hochschule in Jena geht. In einer Studie, an der 200 Zeugnisaussteller und -auswerter aus deutschen Unternehmen teilnahmen, kommen die Studien-Autoren Steffi Grau und Klaus Watzka zu dem Ergebnis, dass das Erstellen von Arbeitszeugnissen "zu einem relativ sinnfreien Ritual" geworden ist. Das Problem: Es dauert viel Zeit und kostet eine Menge Geld. Es nützt Mitarbeiter und anderen Personalern aber herzlich wenig.

Doch in Deutschland hat jeder Arbeitnehmer einen Rechtsanspruch auf ein Arbeitszeugnis, das zumindest die persönlichen Daten wie Name, Beruf und akademischer Grad sowie Art und Dauer der Tätigkeit umfasst. "Das Arbeitszeugnis muss der Zeugniswahrheit entsprechen, gleichzeitig aber auch wohlwollend formuliert sein, sodass der berufliche Werdegang des Arbeitssuchenden nicht unnötig erschwert wird", erklärt Arbeitsrechtler Alexander von Chrzanowski von Rödl & Partner .

Und das führt dann häufig zu doppeldeutigen Formulierungen im Arbeitszeugnis: "Er hat ein gesundes Selbstvertrauen und eine gesellige Art." Oder: "Er begreift das Wesentliche."

Kennen Sie die Bedeutung folgender Floskeln?

Diese Formulierungen klingen erst einmal harmlos, lassen sich von Personalern und Chefs aber auf unterschiedliche Weise interpretieren – und sind Taktik: Denn zumindest in der Theorie hat der Arbeitnehmer die Möglichkeit, seinen ehemaligen Arbeitgeber auf Zeugnisberichtigung oder Schadensersatz zu verklagen.

Zwar muss der Arbeitnehmer beweisen, dass sein Arbeitszeugnis der Grund dafür ist, dass er keinen neuen Job findet – was laut Arbeitsrechtler fast unmöglich ist. Doch die meisten Unternehmen gehen einem Rechtsstreit lieber aus dem Weg, indem sie solche Formulierungen wählen oder für das Arbeitszeugnis Generatoren und vorab formulierte Textbausteine benutzen. "Es ist für das Unternehmen sinnvoll, sich an ein bestimmtes Schema zu halten, da es mit wenig Aufwand verbunden ist und das Risiko minimiert, rechtlich belangt zu werden", sagt von Chrzanowksi. Die Folge: Laut Untersuchung fertigt noch ein Bruchteil der Befragten Arbeitszeugnisse individuell an – was vermutlich auch daran liegt, dass nur die Hälfte der Studienteilnehmer eine Schulung besucht hat.

Da ist es auch nicht verwunderlich, dass nur die Hälfte der Befragten den Zeugnissen eine hohe Bedeutung beimessen. "Bei der Analyse einer Bewerbungsmappe sind Arbeitszeugnisse mit großem Abstand auf Lebenslauf und Anschreiben nur das drittwichtigste Dokument", heißt es in der Studie. Die große Mehrheit schenkt dem Zeugnis maximal drei Minuten Aufmerksamkeit.

Das liegt neben dem zweifelhaften Wahrheitsgehalt auch an der Sprachwahl. Laut Studien-Autoren zeigt ein Test deutlich, dass es bei Arbeitszeugnissen keine einheitliche und eindeutige Sprache gibt. Die Befragten sollten fünf typischen Zeugnisformulierungen die richtige Bewertung auf einer Skala zuordnen: Einer von 88 war in der Lage, alle Aussagen korrekt zu bewerten.

Zwar kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass die Zeugnisse nur schwer zu interpretieren sind. Arbeitsrechtler von Chrzanowski weiß allerdings, dass es in den meisten Schreiben genug Möglichkeiten gibt, zwischen den Zeilen zu lesen. "Wenn der Zeugnisschreiber viele Informationen weglässt und sich über Nichtigkeiten äußert, ist das oft ein Hinweis, dass er unzufrieden mit seinem Mitarbeiter war."

Doch die meisten Unternehmen machen sich nicht die Arbeit, Zeugnisse zu deuten – zumal sie ohnehin häufig mit ihren Interpretationen daneben liegen. Aus diesem Grund fordern die beiden Studien-Autoren, dass die Zeugnispflicht abgeschafft wird – unter der Voraussetzung, dass Unternehmen ihren ehemaligen Mitarbeitern auf eine andere Weise ihre Tätigkeit bestätigen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%