Für viel Wirbel um einfachere Bewerbungsverfahren hat jüngst die Deutsche Bahn mit der Abschaffung des Anschreibens für Azubis gesorgt. Der DAX-30-Konzern Henkel verzichtet schon seit 2017 auf das Begleitschreiben und auch das Versandhaus Otto hat es bereits 2016 ersetzt. Aber gilt das, was für angehende Zugbegleiter oder Versandmitarbeiter eingeführt wurde, auch für zeitnotgeplagte Fach- und Führungskräfte?
Die Deutsche Bahn jedenfalls sieht zurzeit keinen Handlungsbedarf, auch bei Akademikern auf ein Anschreiben zu verzichten. „Im akademischen Bereich ist das etwas anders. Wir schauen uns die Anschreiben und Zeugnisse genau an, aber letztlich entscheidend sind Berufserfahrung, Qualifikation und Begeisterung für den Job. Darauf liegt später im persönlichen Auswahlverfahren der Fokus“, sagt Kerstin Wagner, Head of Talent Acquisition bei der Deutschen Bahn.
Von den 19.000 Stellen, die die Deutsche Bahn noch 2018 besetzen möchte, fallen 1000 auf Ingenieure, insbesondere Bau- und Elektroingenieure, und weitere 1000 auf IT-Spezialisten vom Projektleiter bis zum Digital-Experten für Mobilfunk. Neben Technik und IT sind auch Marketing- und Kaufleute sowie Personaler gefragt, daneben Führungskräfte in allen Bereichen.
Wenn mit Anschreiben, Lebenslauf und Zeugnissen die vollständigen Bewerbungsunterlagen auf dem Karriereportal des Staatskonzerns eingegangen sind, greifen die Recruiter bei vielversprechenden Kandidaten zum Hörer: „Wenn uns ein Profil zusagt, dann folgt meist ein Telefonat, in dem wir noch offene Fragen klären. Danach laden wir zum persönlichen Interview ein, das auch mit Fallstudien-Aufgaben angereichert sein kann, je nach Beruf und Position. Auch ein zweites Interview ist möglich. Immer dabei: Die einstellende Führungskraft sowie ein Mitarbeiter der Personalgewinnung“, so DB Chefrecruiterin Wagner. Welche Rolle spielt nach diesen mehrstufigen Verfahren eigentlich noch die Probezeit? „Im Idealfall spielt die Probezeit keine große Rolle mehr, wenn man vorab genügend Zeit hatte, sich gegenseitig genau kennenzulernen“, sagt Wagner.
Auch beim Otto-Versand geht es nicht ganz ohne Anschreiben: Gefragt ist stattdessen ein Motivationsschreiben. Offene Fragen klären die Personaler dort ebenso wie die DB in einem Vorab-Telefonat- oder Skype-Interview. Erst danach geht es in das persönliche Auswahlverfahren – vorausgesetzt, alles hat gestimmt.
Ähnlich praktiziert Henkel die Beschleunigung des Bewerbungsprozesses – und verzichtet offenbar tatsächlich gänzlich auf das Anschreiben.„Wir möchten das Bewerbungsverfahren so effizient wie möglich gestalten und sehr schnell auf Bewerbungen reagieren. Deshalb haben wir uns entschieden, auf das klassische Anschreiben zu verzichten. Durch den persönlichen Kontakt – zum Beispiel in einem ersten Telefonat – erfährt man in der Regel viel mehr über den Menschen als durch ein Anschreiben“, sagt Katrin Klein, Global Head of Recruitment bei Henkel. Ist das Telefonat mit den HR-Mitarbeitern erfolgreich, folgt optional je nach Beruf und Position noch ein Online-Assessment. Nach der Vorauswahl durchlaufen Fach- und Führungskräfte dann bis zu vier persönliche Vorstellungsgespräche bei dem Waschmittel- und Klebstoffkonzern.
Was Bewerberinnen und Bewerber zu den Auswahlverfahren sagen, ist beispielsweise auf dem Arbeitgeberbewertungsportal Kununu zu lesen: 54 Henkel-Bewerber haben durchschnittlich nur 2,5 von 5 Sternen vergeben und beklagen die vielen Auswahlrunden. Auch die 277 DB-Kandidaten kritisieren lange und ineffiziente Bewerbungsverfahren und kommen nur auf knappe 2,8 Sterne für den Staatskonzern, der „Menschen verbinden“ möchte. Allein zu den Bewerbungen bei Otto sagen dann doch recht viele „Find ich gut“: 142 Bewertungen bescheren immerhin fast vier Sterne.
Leichter Erstkontakt, intensive Bestenauslese
Diplom-Psychologe Jürgen Hesse vom Büro für Berufsstrategie, der seit über 25 Jahren zu Bewerbungsstrategien berät, beobachtet aktuell zwei gegenläufige Trends bei dem Wettbewerb der Unternehmen um die Talente am Markt. Der erste ist der beschleunigte Erstkontakt: „Der Bewerber soll positiv gestimmt werden. So nach dem Motto: Kommt alle her und wir – und der Kollege Computer – sondieren schon, wer für uns interessant ist.“ Zweitens beobachtet er eine Verschärfung der Auswahlbedingungen in den vergangen zehn Jahren: „Früher waren ein bis zwei Gespräche Standard. Heute kann man von drei bis vier ausgehen. Früher war es nur für Spitzenkräfte, dass man ihnen eine Aufgabe gegeben hat: ‚Denken Sie mal drüber nach, was sind Ihre Lösungsvorschläge und tragen Sie uns das vor.‘ Das wird heute zunehmend auch bei Studienabsolventen verlangt.“
Außerdem sei es heute nicht unüblich, zwischen Telefonat und persönlichen Gesprächsrunden noch eine Vorauswahl via Online-Assessment zu schalten. Einfach und schnell ist der Einstieg also allenfalls bei der Vorauswahl – und vor allem für Personaler, die sich nicht mehr durch hunderte, kaum noch voneinander unterscheidbare, Anschreiben lesen müssen. „Neu ist eigentlich nur, dass man heute besonders große Netze auswirft, um erst einmal möglichst viele Fische zu fangen – wenn es dann aber darum geht, tatsächlich einen Arbeitsvertrag anzubieten, dann kommen nur noch die ganz fetten Fische zum Zuge“, schätzt Hesse die aktuelle Recruiting-Lage ein.
Auf das eigentliche Auswahlverfahren folgt dann noch der Probezeit-Darwinismus: „Neun von zehn Kunden, die wir im Büro für Berufsstrategie beraten, klagen mittlerweile darüber, dass ihr Einstieg in das neue Unternehmen sehr schwer war, weil sie nicht wirklich eingearbeitet wurden“, sagt Hesse. „Unternehmen suchen sich in aufwendigen Assessments die vermeintlich Besten heraus – aber danach fehlt immer häufiger das Interesse, die neuen Mitarbeiter auch mit aller Unterstützung einzuarbeiten“, sagt der Berufsberater. Da herrsche dann oft die Denke: Dann soll der auch mal beweisen, dass er tatsächlich der Beste ist. Da wird eine gewisse Bringschuld erwartet. Konkurrenzgedanken spielten auch eine Rolle: Wer hilft schon jemanden, um dann überholt zu werden?
Bewerbungsfrust: Worüber sich Jobsucher ärgern
U-form Testsysteme, ein Anbieter von Eignungstests in der Ausbildung und bei Bewerbungen, hat bei 950 Bewerbern und Azubis nachgefragt, was sie bei ihrer Bewerbung auf eine Stelle im öffentlichen Dienst am meisten geärgert hat. Mehr als 300 Teilnehmer beschwerten sich, dass sie sehr lange auf eine Antwort von der Behörde warten mussten – falls überhaupt eine kam. So sagt einer der Befragten: „Bis heute (4 Jahre später) keine Unterlagen zurück bekommen, keinerlei Reaktion. Auf Anrufe hin wurde man stets vertröstet.“ Ein anderer bekam die Absage immerhin nach einem Jahr.
„Die schlecht strukturierte Internetadresse und die oft auch komplizierte, umständlich auszufüllende oder zu allgemeine Online-Bewerbung“ stört viele Bewerber. So es überhaupt die Möglichkeit gebe, sich online zu bewerben. So moniert ein weiterer Teilnehmer, „die weiten Wege, die man teilweise auch unnötig oft in Anspruch nehmen muss, etwa um Unterlagen zum Unterschreiben abzuholen.“ Er fragt: „Geht das nicht per Post/Mail?“
Viele Bewerber berichten, dass Schreiben an sie – egal ob Absagen oder Einladungen zum Vorstellungsgespräch – an andere Personen adressiert oder die Namen falsch geschrieben waren, oftmals stimmte die Anrede Herr/Frau nicht. Einer der Bewerber mokiert sich, dass er eine „Absage mit zahlreichen Rechtschreibfehlern erhalten“ habe. Ein anderer berichtet, von ein und demselben Unternehmen dreimal zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden zu sein.
„Ich wurde von einer Behörde nicht in die nächste Bewerbungsrunde aufgenommen, weil mein Hauptwohnsitz nicht in der Gemeinde ist. Es bestünde das Risiko, dass ich nach der Ausbildung in die Nachbargemeinde gehen würde und nicht beim Ausbildungsbetrieb bleiben würde“, berichtet ein Teilnehmer.
Ein anderer beklagt „die Ungleichbehandlung aufgrund der Herkunft aus einem ostdeutschen Bundesland“, der nächste, dass er nicht eingeladen wurde, weil er im "falschen Bundesland" seinen Schulabschluss gemacht habe.
Viele Bewerber, gerade die frisch von der Schule kommen, wünschen sich Feedback, warum sie abgelehnt werden. Sie wollen sich schließlich verbessern. Konkreter als "aufgrund der Vielzahl der Bewerbungen konnten wir Ihre Bewerbung nicht weiter berücksichtigen" sei es jedoch nicht geworden.
„Ich bekam eine E-Mail mit dem Hinweis, dass ich aus dem Bewerbungsprozess ausgeschieden bin, da ich einen amtsärztlichen Termin nicht wahrgenommen hätte. Jedoch hatte ich zuvor keine Einladung per Email zu diesem Termin erhalten“, erzählt ein anderer Umfrageteilnehmer. Und auch dass die Personalabteilung das Vorstellungsgespräch ganz vergisst, passiert nicht gerade selten. „Der Betrieb hatte mich eingeladen und am Tag des Termins wusste keiner etwas davon, das Gespräch war dann provisorisch auf dem Flur“, berichtet einer, dessen Bewerbungsgespräch vergessen wurde.
Viele Bewerber, die es zum Vorstellungsgespräch geschafft haben, berichten von desinteressierten und arroganten Gesprächspartnern „Meine "Gesprächspartner" haben immer die Augen verdreht, wenn ich etwas gesagt habe und auf meine anschließend gestellten Fragen wurde mir gar nicht erst geantwortet. Verabschiedet wurde ich mit den Worten "War ja nicht so dolle." Ein paar Tage später kam die Absage“, erzählt einer der Teilnehmer.
Ein anderer berichtet, dass ihm erst am Ende des Bewerbungsgesprächs ein Glas Wasser angeboten wurde. „An einem Sommertag mit 35 Grad im Schatten im einem Dachgeschossbüro, wo die gesamte Zeit die Sonne auf mich schien, während die Gesprächsführer im Schatten saßen.“
Fragen nach der Gesundheit, Familienplanung, Schwangerschaft? Keine Seltenheit. „Eine Freundin beispielsweise wurde nicht angenommen, weil sie vor 4 Jahren in einer Klinik für Essstörungen war- da war sie 14! Das ist einfach beschämend“, sagt eine Bewerberin auf einen Ausbildungsplatz.
Außerdem beklagen viele Mütter, dass ihnen die Eignung für einen Job oder eine Ausbildung abgesprochen wurde, weil sie Kinder hätten. Am meisten geärgert habe sie, „dass ich mich rechtfertigen musste, wie ich meine Ausbildung mit 2 Kindern schaffen will“, sagt eine junge Frau. Eine Teilnehmerin an der Umfrage sei auch explizit nach ihrem Kinderwunsch gefragt worden und einer anderen habe man deutlich zu verstehen gegeben, dass Teilzeit in einer Behörde nicht möglich sei.
Am meisten hat einen Bewerber (Geschlecht: unbekannt) ein Auswahlgespräch geärgert, „bei dem mir sehr offen gesagt wurde, dass ich aufgrund meines Geschlechts, selbst bei besserer Eignung wohl eher keinen Platz bekäme, da dies einen größeren (logistischen) Aufwand bedeutet hätte.“
Mit 30 noch eine Ausbildung machen? Geht gar nicht. Bekamen jedenfalls 30-Jährge zu hören, die eine Ausbildung machen wollten. So berichtet ein Bewerber, dass er sich sehr über eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch geärgert habe, „bei dem es dann darauf hinauslief, dass ich zu alt für die Ausbildung sei - das hätte man sich von vornherein sparen können.“ Andere Bewerber berichten vom umgekehrten Fall. Sie seien mit 17 zu jung für eine Lehrstelle.
Viele hören auch, sie seien zu gut für eine bestimmte Ausbildung. So wie dieser Kandidat: „Als mich mein Gegenüber während eines Vorstellungsgespräches bei einer großen bekannten Krankenkasse, sehr deutlich darauf aufmerksam machte, wie sinnentleert er es finde, dass ich mich mit Fachhochschulreife um einen Ausbildungsplatz beworben und kein Studium in Angriff genommen habe. Nachdem ich Ihm meinen bisherige Situation erläutert und eine Vielzahl von Gründen genannt hatte, hat er begonnen mit mir zu diskutieren. An dieser Stelle wurde es mir zu bunt und ich Ihm höflich zu verstehen gegeben dass dies meine Entscheidung ist.“
Kein Scherz: Vielen Unternehmen sind angehende Azubis zu jung – und haben zu wenig Berufserfahrung für eine Ausbildung. „Das mir am Ende eines Gesprächs fehlende Praxiserfahrung gesagt wurde, was man aber bereits aus der Bewerbung hätte sehen können“, habe ihn am meisten geärgert, sagt ein Befragter.
Für eine Ausbildungsplatz bei einer bestimmten Behörde hätte sie sich eine kleine Tätowierung am Unterarm entfernen lassen müssen, erzählt eine Bewerberin. Sie findet das unverständlich.
Eine andere Teilnehmerin erzählt, dass sie im Vorstellungsgespräch nur gefragt worden sei, wie sie sich in ihrer Freizeit kleide und „ob ich auch vorhätte so ins Unternehmen zu kommen“.
Viele Bewerber berichten außerdem von Vorstellungsgesprächen, die nur fünf oder zehn Minuten lang dauerten. „Ich weiß nicht, wie eine Firma einen Bewerber oder Bewerberin in unter 10 Minuten kennen lernen kann“, sagt einer davon. Ein anderer nennt es „eine Frechheit mich zu einem Gespräch einzuladen um zu gucken, ob ich zwei Sätze geradeaus sprechen kann und dann war`s das!“
Viele, gerade sehr junge Bewerber, beklagen, in einem Gespräch mit fünf oder mehr Personalern und potentiellen Kollegen gesessen zu haben. So berichtet einer: „Ich fand es manchmal komisch, wenn beim Bewerbungsgespräch 10 bis 15 Personen im Raum mit saßen, die einen nur beobachtet haben. Ich fühlte mich dadurch sehr unwohl und war noch aufgeregter.“
Andere beschwerten sich über das, was abgefragt wurde. Nämlich ging es in den meisten Fällen wenig um die Person an sich. So schildert eine Bewerberin: „In einigen Betrieben wurde beim Bewerbungsgespräch nur reines Wissen abgefragt. Man hat nicht versucht den Bewerber als Person kennen zu lernen. Ich finde, dass ein gutes kollegiales Verhältnis auf der Arbeit wichtig ist und man deshalb auch versuchen sollte, die Bewerber als Person kennen zu lernen.“
Vielen Bewerbern wurde im Vorstellungsgespräch ein anderer Job angeboten – meist zu schlechteren Konditionen und oft in ganz anderen Fachbereichen. „Mir wurde im Vorstellungsgespräch ein ganz anderer Ausbildungsberuf angeboten, als der auf den ich mich beworben habe. War für mich eine Enttäuschung“, beschwert sich ein Teilnehmer.
Viele Bewerber mussten erleben, dass sie nur pro forma zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurden. Tatsächlich habe längst fest gestanden, wer die Stelle oder die Ausbildung bekommt. „Teilweise waren die Stellen bereits besetzt und als ich dann zu meinem Gesprächstermin erschienen bin, hat man sich nicht wirklich für mich interessiert. Es gab keine Fragen an mich und es wurde praktisch nur Werbung für das eigene Unternehmen gemacht“, beschreibt ein Teilnehmer das Erlebte.
Dafür, dass manche Unternehmen erst nach Wochen, Monaten oder sogar Jahren auf Bewerbungen reagieren, erwarten sie von ihren Bewerbern – auch von angehenden Azubis – mitunter binnen zwei Tagen eine feste Zusage, wie viele Umfrageteilnehmer erzählen. So erzählt ein Kandidat: „Mein kuriosestes Erlebnis war, dass ich eine Zusage per Telefon von einem Rechtsanwalt bekam, aber mich sofort entscheiden musste ob ich die Ausbildungsstelle antrete oder nicht. Obwohl ich vorher in einem Brief erklärt habe, dass ich noch eins zwei Wochen um Zeit bitte, weil ich noch auf eine andere eventuelle Zusage gewartet habe.“
Auch das Stichwort Unsicherheit kommt sehr häufig in den Antworten der Bewerber vor. Einer der Befragten sagt, er habe die Einladung zum Vorstellungsgespräch rund vier Wochen vor Ausbildungsbeginn bekommen. Und ein anderer erzählt, dass viele Unternehmen die Bewerbungen zwar bereits ein Jahr vor Beginn der Ausbildung erwarten, dafür war „die Vertragsunterzeichnung erst 2 Wochen vor Arbeitsbeginn.“
Eine Zusage – egal ob mündlich oder schriftlich muss nichts heißen, so die Erfahrung vieler Bewerber. „Z.B. habe ich im Februar eine Zusage bekommen und habe auch schon den Ausbildungsvertrag unterschrieben und im Juni kam eine Absage aus unternehmerischen Gründen“, erzählt einer. Umgekehrt gibt es den Fall aber auch: „Mein kurioseste Erlebnis war, dass ich zunächst eine Absage erhalten habe, um dann einige Monate später doch noch theoretisch eine weitere Chance zu erhalten, weil sich offenbar niemand 'besseres' gefunden hat. Das habe ich natürlich abgesagt.“
Zwei Trends, die auch die Statistiken des Personaldienstleisters Robert Half bestätigen: Einerseits zeigt die Arbeitsmarktstudie 2017, dass knapp 60 Prozent der Personaler in Deutschland Bewerbungen ohne Anschreiben, wenngleich nicht aktiv ausrufen, so doch zumindest akzeptieren. Andererseits bringt eine aktuelle Unternehmerumfrage aber auch ans Licht, wie genervt die Bewerber von ausufernden Auswahlrunden sind – und abspringen. So senken zu lange Rückmeldungszeiten in ausschweifenden Bewerbungsschleifen die Qualität der Neueinstellungen von Unternehmen, die doch eigentlich nur Eins wollten: die Besten. Da insbesondere große Organisationen sich aber offenbar schwer tun, die Auswahlrunden zu reduzieren, soll zumindest der technologische Fortschritt es den Bewerbern und Bewerberinnen etwas bequemer machen.
„Je enger der Bewerbermarkt wird, desto wichtiger ist es, ein optimales Bewerbererlebnis zu erzeugen. Eine zeitgemäße Bewerbung soll im besten Fall Spaß machen und auf jeden Fall einfach und intuitiv sein. Wir schauen uns unsere Zielgruppen genau an und prüfen dann, was Technologie leisten kann“, sagt Kerstin Wagner von der Deutschen Bahn. Deshalb gehen viele Großunternehmen noch weiter: Sie wollen nicht nur kein Anschreiben, sondern auch keinen klassischen Lebenslauf mehr: Für die Erstauswahl reicht ihnen ein Internetprofil, so heißt es zumindest immer häufiger auf Karriereplattformen und in Jobinseraten.„Unsere Karriere-Plattform haben wir ganz neu so eingerichtet, dass Bewerber ihre Profile bei Xing oder LinkedIn auslesen und übertragen lassen können“, so Wagner von der DB.
Henkel setzt schon länger auf vereinfachte Bewerbungsprozesse ohne Anschreiben und via Ein-Klick-Verfahren über Xing oder LinkedIn. Und Otto führte bereits 2013 die mobile Kurzbewerbung via Xing ein, worüber Kandidaten ihr Interesse an einem Job bekunden können. Ein Klick – und schon erfolgreich beworben? Erfahrene Bewerbungs- und Karriereberater sehen dieser One-Click-Bewerbungen mittels Xing oder LinkedIn eher kritisch. Denn die Profile in den beruflichen Netzwerken sind nicht auf das spezielle Unternehmen und die Position zugeschnitten und gehen meist auch nicht auf Referenzprojekte und Erfolge ein. Wie also damit positiv von der Konkurrenz abheben?Hinzu kommt, dass nicht alle Karriereportale technologisch ausgereift sind – und manches Mal in mühsamer Handarbeit Informationen nachgetragen werden müssen.
Letztlich erleichtern weder das Weglassen von Anschreiben noch die Übertragung des Lebenslaufs via Klick das Auswahlverfahren, denn das ist mit vorgeschalteten Telefonaten und Online-Assessments gefolgt von bis zu vier Auswahlrunden angereichert mit Assessment-Elementen im Laufe der Jahre immer mehr ausgeufert.
Und apropos Bewerbung ohne Anschreiben bei der Deutschen Bahn: Selbst Schülerinnen und Schüler kommen zwar ab 2019 am Anschreiben vorbei, nicht aber an verschärften Auswahlverfahren – schon 2013 eingeführt: Ein Onlinetest, der zeigt, was potenzielle Azubis jenseits ihrer Schulnoten tatsächlich mitbringen.